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Wo es regnet, da wächst was

Die Welt ist voller schlechter Nachrichten, Schönreden ist da keine Option. Warum wir gerade jetzt die kleinen Erfolge feiern sollten – und weshalb konstruktives Denken hilfreicher ist, als ständig positiv zu sein

Dreimal die „gute Nachricht“, aus den wochentaz-Ausgaben vom 27. April 2024 (links), 13. Juli 2024 (rechts unten) und 4. Januar 2025 (rechts oben) Grafiken: Anna Eschenbacher, Johanna Hartmann, Francesca Morini

Von Yannik Achternbosch

Um zu erkennen, wie schlecht es um die Welt bestellt ist, reicht der Blick auf die Startseite des Internetauftritts einer seriösen Zeitung. Dabei kann man sich eines nicht so richtig vorstellen: dass es so etwas wie zu viel Positivität geben­ kann.

Seit ich mich beruflich um gute Nachrichten kümmere, stolpere ich in sozialen Netzwerken immer wieder über Accounts, die „good news“ verbreiten – oder das zumindest wollen. Die Idee dahinter: Wir sollten alle ein bisschen positiver auf die Welt und die Ereignisse um uns herum schauen.

Doch obwohl das generell richtig sein mag, kann ein positiver Blick auf die Welt auch zu positiv werden. Toxische Positivität lautet der populärwissenschaftliche Begriff für einen krampfhaft positiven Blick auf die Welt. Er führt dazu, dass wir negative Emotionen unterdrücken und Probleme und Krisen kleinreden.

Kurzfristig mag diese Haltung eine gute Strategie zur Bewältigung akuter Probleme sein. Langfristig verstärkt eine übertriebene Positivität psychische Krisen aber eher noch. Das bestätigt die Persönlichkeitspsychologin Astrid Schütz von der Uni Bamberg. „Wenn jemand stark damit beschäftigt ist, negative Emotionen zu unterdrücken, hat das psychisch, aber auch sozial ungünstige Effekte.“

In unserer Redaktion kommen wir jede Woche zusammen und diskutieren darüber, was die nächste „gute Nachricht“ im Zukunftsteil der wochentaz werden soll. Die Grundlage für diese Diskussionen ist ein ehrlicher Blick auf die Realität. Das erfordert, dass wir Krisen und Probleme anerkennen und uns fragen, welche guten Nachrichten wirklich Lösungen für die realen Probleme anbieten.

Das ist auch eine publizistische Verantwortung. Denn unsere Le­se­r:in­nen bringen uns großes Vertrauen entgegen, indem sie unsere Zeitung abonnieren und sich darauf verlassen, dass wir nur Dinge als positive Entwicklung darstellen, die wirklich zu einer besseren Welt führen.

Aber wie gut ist es zum Beispiel wirklich, dass weniger Frauen in den USA an Gebärmutterhalskrebs sterben? In unserer Zeitung schrieben wir dazu, dass die Impfungen gegen Gebärmutterhalskrebs sehr wirksam Todesfälle verhindern – und damit einen Weg zu immer weniger Todesfällen durch HPV ebnen. Noch aber sterben viel zu viele Frauen daran, weshalb es zynisch daherkommen könnte, diese Veränderung als gute Nachricht zu beschreiben.

Oder: Wie gut ist es, dass das Fernsehen in Deutschland zwar diverser wird, queere Rollen aber weiterhin nur in fünf Prozent der Programme vorkommen? Diese Nachricht ist, wie so oft, ein Schritt in die richtige Richtung – aber eben auch nicht mehr. Positive Entwicklungen können Mut machen, auch wenn sie in einem problematischen Kontext stattfinden.

Ein weiteres Beispiel für gute Nachrichten, über die wir regelmäßig diskutieren, ist das Elektroauto. Auf den ersten Blick erscheint es positiv, wenn in Deutschland ein größerer Anteil der neu zugelassenen Autos einen Elektroantrieb verwendet. Doch sobald jemand vorschlägt, das in unserem Format „Die gute Nachricht“ zu vermelden, kommen direkt die „Abers“ auf den Tisch: Festigen Elektroautos nicht nur den Fokus auf eine ineffiziente Form des Individualverkehrs? Nimmt vielleicht sogar die Zahl der neu zugelassenen Autos zu, werden die Straßen also noch voller? Sind Elektroautos und ihr massiver Bedarf an Lithium und seltenen Erden wirklich nur positiv, oder gehen damit nicht auch neue Formen der Ausbeutung einher? Sind Elektroautos nicht außerdem viel zu groß und haben dadurch einen viel höheren Stromverbrauch, als eigentlich nötig wäre?

Abwägungen wie diese führen dazu, dass wir oft mit zahlreichen Ideen für gute Nachrichten in eine Besprechung gehen und am Ende im besten Fall ein oder zwei Ideen übrig bleiben. Und selbst dann kann es sein, dass wir eine Idee doch noch verwerfen müssen, weil ein „Aber“ aufgetaucht ist, das vor der tiefergehenden Recherche niemand bedacht hatte. Manchmal ist etwa die Aussage des Datensatzes doch nicht so eindeutig wie erwartet, teilweise stellen sich Zahlen einfach als zu alt heraus.

Um zu verstehen, warum diese kleinen oder großen Einwände so relevant sind und oft dazu führen, dass auf den ersten Blick gute Nachrichten sich später als nicht gut genug erweisen, muss man die Idee des konstruktiven Journalismus, dem wir uns auf den Zukunftsseiten der wochentaz verschrieben haben, näher betrachten.

Wenn ich jemandem konstruktiven Journalismus erklären muss, und das kommt gar nicht so selten vor, dann beginne ich damit, dass wir lösungsorientiert arbeiten wollen. Dafür machen wir uns klar, welche Probleme es gibt. Die müssen wir anerkennen, auch in ihrer oft überwältigenden Größe. Wenn wir das nicht tun, sind wir auf einem direkten Weg zur toxischen Positivität. Doch von den Problemen ausgehend denken wir über Lösungen nach und suchen nach ihnen, in inspirierenden Projekten im Kleinen und systematischen Veränderungen im Großen. Auf keinen Fall bleiben wir in der Problembeschreibung stehen.

Der konstruktive Journalismus ist gewissermaßen der Versuch einer Antwort darauf, dass immer mehr Menschen aufgrund der Flut schlechter Nachrichten ihren Nachrichtenkonsum deutlich reduzieren oder ganz einstellen. Denn das ist nicht nur schlecht für Zeitungen, sondern auch für die Menschen und den informierten öffentlichen Diskurs. Sinnvoll aufbereitete Informationen sind die Grundlage für mündige Entscheidungen und eine Meinungsbildung über die Welt.

Ein lösungsorientierter Blick kann im besten Fall dazu ermutigen, dass Menschen selbst handeln, politisch aktiv werden oder eigene Lösungsideen entwickeln und umsetzen. „Gute Nachrichten können Menschen Kraft geben, etwas zu verändern“, sagt die Psychologin Schütz.

Umso erfreulicher ist es, dass wir für kaum ein Format so viele Rückmeldungen bekommen wie für die gute Nachricht. Mal ein einfaches Dankeschön, oft aber auch Nachfragen oder Anmerkungen zum Inhalt.

„Gute Nachrichten können Menschen Kraft geben, etwas zu verändern“

Astrid Schütz, Psychologin

Im Juli 2024 haben wir beispielsweise eine gute Nachricht dazu veröffentlicht, dass mehr Menschen auf dem Fahrrad einen Helm tragen. Diese Nachricht ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch wir nicht immer gute Nachrichten auftreiben, die die Welt auf den Kopf stellen. Wir haben vor der Veröffentlichung natürlich diskutiert und waren uns einig, dass mehr Helme im besten Fall zu weniger Kopfverletzungen bei Fahrradunfällen führen. Doch die Leser:innen, die sich bei uns meldeten, waren sich einig, dass eigentlich eine sichere Infrastruktur und weniger Autos die Lösung wären.

Die Sache ist: Sie haben ja recht. Aber in manchen Wochen ist die Suche nach einer wirklich guten Nachricht zehrend – und wir müssen uns trotz hoher Ansprüche an uns selbst eingestehen, dass sich manchmal lediglich eine Entwicklung abbilden lässt, die für sich genommen positiv ist, aber nicht immer an den Ursachen eines Problems ansetzt.

Meistens geht die Rechnung allerdings auf. Und dann entfaltet die gute Nachricht ihre volle Kraft, indem sie eine Entwicklung zeigt, von der vielleicht noch kaum jemand gehört hat, die positiv überrascht und das Gefühl hinterlässt, dass immer irgendwo irgendwer daran arbeitet, dass die Welt ein Stückchen besser wird.

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