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Nachhaltigkeit in der Europäischen UnionSchluss mit Klima-Kram

Die EU-Kommission streicht ihren „Green Deal“ zusammen. Während Gewerkschaften und Öko-Gruppen wütend sind, sind Unternehmensverbände voll des Lobes.

Ursula von der Leyen nach ihrer Ankunft in Brüssel: Thema der wöchentlichen Sitzung war der Green Deal Foto: Wiktor Dabkowski/imago

Brüssel taz | Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise in Europa und harter Konkurrenz aus den USA und China will die Brüsseler Behörde ihren „Green Deal“ zur Klimapolitik überarbeiten und vier Nachhaltigkeits-Gesetze lockern. Außerdem möchte sie die Industrie fördern und die Energiepreise senken.

Die am Mittwoch in Brüssel vorgestellten Maßnahmen gehen deutlich über die bisherigen Planungen dazu hinaus. So soll die Anwendung der europäischen Lieferkettenrichtlinie verschoben werden. Sie war im Mai 2024 verabschiedet worden und sollte eigentlich 2027 in Kraft treten. Nun ist von Juni 2028 die Rede.

„Wir können kein Business as usual mehr machen“, begründete Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis den Vorstoß. Angesichts der Annäherung zwischen den USA und Russland beim geplanten Ukraine-Deal könne sich die EU nicht mehr auf ihren amerikanischen Partner verlassen. Auch China müsse man etwas entgegensetzen.

Die Lieferketten-Richtlinie ist dabei nur eines von vier Nachhaltigkeits-Gesetzen, die die EU-Kommission radikal „entschlacken“ will. Betroffen sind auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD, die sogenannte Taxonomie für nachhaltige Finanzprodukte sowie der CO2-Grenzausgleich CBAM. Sie werden im sogenannten „Omnibus“-Verfahren überarbeitet.

Viele Details werden erst noch bekannt

Vom CO2-Grenzausgleich CBAM werden jetzt 90 Prozent der europäischen Unternehmen ausgenommen. Trotzdem würden immer noch 99 Prozent der Treibhausgas-Emissionen erfasst, sagte Klimakommissar Wopke Hoekstra. Man wolle die Meldepflichten vereinfachen, der Kern der politischen Ziele werde jedoch nicht berührt.

Von den Berichtspflichten der Unternehmen (CSRD) sollen nur noch große Konzerne betroffen sein, kleine und mittlere Unternehmen werden ausgenommen. Die verbleibenden Betriebe – nur noch 20 Prozent der ursprünglich angepeilten Zahl – sollen zudem erst zwei Jahre später als vorgesehen die Berichte liefern müssen.

Weitere Details dürften erst nach und nach bekannt werden, da die Kommission ihre Vorschläge am Mittwoch erst in allerletzter Minute vor­gelegt hat. Die sonst üblichen Kon­sultationen mit den betroffenen „Stakeholdern“ wurden ebenso gestrichen wie eine Folgen­abschätzung. Auch das ­Europaparlament, das den nun revidierten Gesetzen ur­sprünglich zugestimmt hatte, wurde nun übergangen.

Die EU-Behörde versuchte, ihr Vorgehen gegen Kritik zu verteidigen. „Europa kann sich reformieren, und zwar ohne Kettensäge“, sagte Industriekommissar Stéphane Séjourné. Dabei spielte er auf Argentiniens rechtsradikalen Präsidenten Javier Milei an, der sein Land mit der „Kettensäge“ und sozialem Kahlschlag umbauen will.

„Noch haben wir die Chance, die Industrie erfolgreich zu modernisieren“, betonte Klimakommissarin Teresa Ribera. Sie will 1 Milliarde Euro aus dem laufenden EU-Haushalt für „saubere“ Technologien bereitstellen. Außerdem sollen europäische Unternehmen künftig den Vorzug in öffentlichen Ausschreibungen erhalten.

Noch haben wir die Chance, die Industrie erfolgreich zu modernisieren

Teresa Ribera, Klimakommissarin

Ob das reichen wird, um den Rückstand gegenüber den USA und China aufzuholen, ist allerdings fraglich. Brüssel orientiert sich zwar an einem Bericht des früheren Zentralbankchefs Mario Draghi, der Entbürokratisierung empfohlen hatte. Er war jedoch auch für einen „Marshall-Plan“ für Investitionen.

Hier bleibe die EU-Kommission eine Antwort schuldig, kritisieren Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften unisono. Ansonsten gehen die Meinungen aber weit auseinander. So warnt der BUND vor einem „Angriff auf den Green Deal“. Der Industrieverband Business Europe spricht dagegen von einem „Meilenstein“, der Europa wieder attraktiver für die Unternehmen machen könne.

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