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Omnibus gegen Nachhaltigkeit

Die EU-Kommission will Vorgaben für Unternehmen vereinfachen. Kritiker befürchten die Demontage des „Green Deals“

Textilarbeiterinnen in Bangladesch protestieren gegen schlechte Arbeitsbedingungen – da soll eigentlich auch das EU-Lieferkettengesetz helfen Foto: Depositphotos/imago

Aus Brüssel Eric Bonse

Arbeitnehmer und Gewerkschaften sind schon auf den Barrikaden: Mit Protestplakaten und Slogans wie „Big Business Omnibus“ und „Endstation: Deregulierung“ protestierte der Europäische Gewerkschaftsbund am Dienstag im Brüsseler Europaviertel gegen das nächste Mammutprojekt der EU-Kommission.

Am Mittwoch will die Brüsseler Behörde die sogenannten Omnibus-Verordnungen vorstellen. Sie sollen vier europäische Nachhaltigkeitsgesetze überarbeiten und vereinfachen. Kritiker fürchten: abschwächen. Außerdem will die EU-Kommission den „Clean Industrial Deal“ vorlegen – damit wird der Klimaschutz auf die Bedürfnisse der Industrie ausgerichtet.

Überraschend kommen diese Initiativen nicht. Kommissions-chefin Ursula von der Leyen (CDU) hatte sie zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit im Dezember angekündigt. Das Ziel – weniger Bürokratie, mehr Wettbewerbsfähigkeit – wurde schon bei der Europawahl diskutiert. CDU/CSU und die Europäische Volkspartei EVP warben damit um Stimmen.

Doch nach dem Wahlsieg von CDU-Chef Friedrich Merz und dem absehbaren Abschied der Grünen aus der Regierung kommt dem Vorstoß neue Bedeutung zu. „Das ist eine große Gefahr für den Green Deal“, warnt der grüne Europaabgeordnete Michal Bloss. Der Klimapolitik drohe ein „starker Backlash“– nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel.

Bloss hofft zwar, dass die Kommission auch noch ein neues Klimaschutzziel für 2040 vorstellt. Wenn der CO2-Ausstoß wie erwartet um 90 Prozent gegenüber 1990 verringert werden soll, wäre das „der Polarstern für die wirtschaftliche Modernisierung“. Die Pläne der EU-Behörde können aber noch bis zur letzten Minute verändert werden.

Dies gilt auch für den „Clean Industrial Deal“, der vorab durchgesickert war. Das darin enthaltene Sozialkapitel sei völlig unzureichend, kritisieren die Gewerkschaften. Auch die Arbeitgeber sind nicht zufrieden. So mahnt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft „effiziente Umsetzungsstrategien und Investitionsanreize“ an.

Am meisten Kritik gibt es aber am „Omnibus“, der zunächst vier Gesetze betrifft: die Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD, das Europäische Lieferkettengesetz, die sogenannte Taxonomie sowie den CO2-Grenzausgleichsmechanismus. Diese Regulierungen sollen entschärft werden, obwohl sie vielfach gerade erst verabschiedet wurden.

So sollen die Unternehmen nach dem Lieferkettengesetz künftig nur noch ihre direkten Lieferanten überprüfen – und nicht, wie bisher vorgesehen, Zulieferer über die gesamte Lieferkette hinweg. Dabei sei das Gesetz noch nicht einmal in Kraft, kritisiert der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange, es fehlten konkrete Erfahrungswerte.

Die Berichterstattungspflichten nach der CSRD sollen nur noch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro gelten. Der Kreis würde also deutlich eingeschränkt. Damit werde der Schutz der Arbeitnehmer abgeschwächt, warnt der Europäische Gewerkschaftsbund.

Der Klimapolitik drohe ein „starker Backlash“, warnt der EU-Abgeordnete Michael Bloss

Rückendeckung bekommt die EU-Kommission dagegen von CDU/CSU und FDP. Man dürfe die Schrauben für Unternehmen nicht zu stark anziehen, meint der FDP-Abgeordnete Andreas Glück. „Die Europäische Kommission macht endlich Ernst beim Bürokratieabbau“, freut sich der umweltpolitische Sprecher der EVP, Peter Liese (CDU).

Die Initiative gehe auch auf den Druck der Christdemokraten zurück, so Liese. „Der persönliche Einsatz von Friedrich Merz gegenüber Ursula von der Leyen und anderen EVP-Spitzenpolitikern in der EU zeigt Wirkung.“ Genau das ist aus Sicht der Grünen aber das Problem. Sie hatten von der Leyens Wiederwahl im November unterstützt, um den „Green Deal“ zu retten.

Doch nun sei das „Vertrauen erschüttert“, klagt Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini, die den Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments leitet. Von der Leyen müsse wenigstens für eine ordentliche parlamentarische Beratung sorgen, fordert sie. Selbst das war vor der Vorstellung der Omnibus-Gesetze nicht gesichert. Sie sind im Eilverfahren ausgearbeitet worden, ohne die sonst üblichen Konsultationen.

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