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SPD in der KriseDer schwere Weg zur Groko

Die SPD steckt in ihrer größten Krise, während die CDU als Wahlsieger die Regierungsbildung vorantreibt. Merz drängt auf schnelle Sondierungsgespräche.

Keine rosige Zukunft für die SPD: Saskia Esken und Lars Klingbeil auf dem Weg zur Pressekonferenz am 24. Februar Foto: Matthias Gränzdörfer/imago

Berlin taz | Ganz Ostdeutschland ist braun! Ganz Ostdeutschland? Nein, ein kleiner Wahlkreis geht an die SPD, nämlich Potsdam-Mittelmark-Teltow. Dort wählen die Menschen den Kandidaten Olaf Scholz direkt in den Bundestag. Man kann es schon als Situationskomik bezeichnen, dass der Kanzler und Spitzenkandidat, mit dem die Sozialdemokratie am Sonntag die größte Wahlniederlage ihrer Geschichte erlebte, das einzige Direktmandat in den östlichen Bundesländern sichert. Doch nach Lachen ist Scholz und den Sozialdemokraten derzeit nicht zumute.

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Der noch amtierende Bundeskanzler, der am Tag nach der Wahlniederlage aussieht, als hätte er die Sozialdemokraten vor gut 160 Jahren mitgegründet und seitdem keine Nacht geschlafen, übernimmt am Montag in der Parteizentrale erneut die Verantwortung für das „bittere“ Ergebnis. Künftig will er als einfacher Abgeordneter mithelfen, dass die SPD in diesem Land als Stimme der Gerechtigkeit wahrgenommen werde.

Scholz ist also bald weg von der großen Bühne, aber reicht das? SPD-Parteichef Lars Klingbeil überraschte schon am Sonntagabend auf der SPD-Wahlparty – sie glich eher einer Beerdigung – mit der Ankündigung: Die SPD brauche eine organisatorische, programmatische und personelle Neuaufstellung. Er selbst wolle Parteichef bleiben und will am Mittwoch auch für den Frak­tionsvorsitz kandidieren.

Also kein Rücktritt, sondern Machtakkumulation. Und Co-Parteichefin Saskia Esken zog am Montag nach und erklärte, dass auch sie im Amt bleiben wolle. Die Parteispitze, die maßgeblich den Wahlkampf prägte, will also weitermachen. Kritik kommt von den Jusos, doch auch parteiintern wird heftig getuschelt, wenn auch nicht öffentlich

Denn noch ist die SPD in Schockstarre. Mit 16,4 Prozent ist die Partei erstmals unter die 20-Prozent-Marke gefallen. Die Fraktion, die sich am Dienstag zum ersten Mal trifft, hat 87 Mitglieder verloren und schrumpft auf 120 Sitze.

Viele müssen diese historische Niederlage verdauen

Viele Ge­nos­s:in­nen müssen diese historische Niederlage erst einmal verdauen. „Das Wahlergebnis ist übelster Mist, diplomatischer kann ich es nicht sagen“, meint die sächsische Parteivorsitzende Rasha Nasr. Nasr zieht über die Landesliste wieder in den Bundestag ein, doch ihr Wahlkreis, der sich von der barocken Altstadt Dresdens bis zu den Plattenbauten in Prohlis erstreckt, geht erstmals an die AfD. Die SPD müsse dieses Wahlergebnis nun zum Anlass nehmen, gründlich zu analysieren, welche Themen liegen gelassen wurden, sagt Nasr. Doch viel Zeit zum Nachdenken bleibt der SPD nicht.

Denn die weltpolitische Lage mit einem feindlich gesinnten Russland im Osten und einer auf Konfrontation getrimmten Trump-Regierung im Westen ist turbulent, Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas braucht schnell eine stabile Regierung. Und die einzige demokratische Zweiterkoalition, die derzeit geht, ist eine wenn auch arg gerupfte Große Koalition. Es muss also beides gleichzeitig passieren: Selbstfindung und Annäherung.

Das künftige Kraftzentrum der SPD, Lars Klingbeil, sieht die Notwendigkeit, dass die Partei schnell handlungs- und entscheidungsfähig sein müsse. Betont aber: „Ob die SPD in eine Regierung eintritt, steht noch nicht fest. Der Ball liegt bei Friedrich Merz, auf die Sozialdemokratie zuzukommen.“

Wahlsieger und CDU-Chef Friedrich Merz will bereits kommende Woche mit den Sondierungsgesprächen beginnen und spätestens Ostern mit einer Regierungsbildung fertig zu sein. „Wir bieten der SPD gute, konstruktive und vertrauensvolle Gespräche an“, rüstet Merz bereits rhetorisch ab. Und auch der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte am Montag, dass die Union „mit Demut und Verantwortung“ in die Verhandlungen mit der SPD gehen solle. Es dürften jetzt keine Vorfestlegungen gemacht oder roten Linien gezogen werden. Demonstrativ lobte er SPD-Chef Klingbeil als Politiker, „den wir über viele Jahre kennen und schätzen und mit dem es auf jeden Fall diese Vertrauensbasis gibt“.

Über die Wahlrechtsreform will Merz noch einmal sprechen

Die neue Zuvorkommenheit der CDU ist auch dem Wahlergebnis geschuldet. Die hatte auf ein Ergebnis deutlich über 30 Prozent gesetzt – und landete bei 28,5 Prozent, das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.

Noch vor der Wahl hatte die Union in einem Sofortprogramm 15 Punkte aufgelistet, die sie sofort nach Regierungsbildung umsetzen will, darunter: die Rückabwicklung des Heizungs- und des Cannabisgesetzes sowie des Bürgergeldes. Auch über die Wahlrechtsreform will Merz noch einmal sprechen.

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Als wichtigste Themen sieht der künftige Kanzler jedoch die Außen- und Sicherheitspolitik sowie Migration und die wirtschaftliche Lage im Land, besonders die Zukunft der Industrie. „Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, Lösungen zu finden“, sagte Merz in Richtung SPD. Klare Bedingungen formulierte er am Montag nicht mehr. Allerdings lägen die Vorschläge der Union zur Migrationspolitik weiterhin auf dem Tisch. Gemeint ist der Fünfpunkteplan, der unter anderem Zurückweisung von Geflüchteten an der Grenze vorsieht. Die SPD hatte im Januar ihre Zustimmung verweigert mit Verweis auf die europarechtlichen Schwierigkeiten.

Ein weiteres schwieriges Thema zwischen SPD und Union wird das Thema Verteidigung, genauer wie man die absehbar steigenden Ausgaben bezahlt. 2028 sind die 100 Milliarden aus dem Sondervermögen der Bundeswehr aufgebraucht. Wenn eine unionsgeführte Regierung, wie angekündigt, künftig 2 Prozent und mehr des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung stecken will, bräuchte sie mindestens 80 Milliarden Euro zusätzlich – entweder aus dem Haushalt oder über neue Schulden.

Deftige Kürzungen bei Rente, Gesundheit oder Pflege dürften mit der SPD nicht zu machen sein. Zumal Generalsekretär Matthias Miersch schon eine weitere Hürde eingezogen hat – die SPD-Mitglieder sollen über den Koalitionsvertrag entscheiden.

Grünen sind aufgeschlossen für eine Grundgesetzänderung

Bleiben also neue Kredite für steigende Ausgaben, die allerdings durch das Grundgesetz streng gedeckelt sind. Für eine Reform der grundgesetzlichen Schuldenbremse ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig – und die ist nach der Konstituierung des neuen Bundestages ohne Stimmen von Linken oder AfD nicht mehr möglich. Viel spricht also für ein neues ­Sondervermögen, einen Schattenhaushalt, der mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag beschlossen werden kann.

Auf Nachfrage wollte Merz allerdings nicht ausschließen, noch mit der Mehrheit des alten Bundestags Änderungen im Grundgesetz zu beschließen. Das neue Parlament tritt voraussichtlich Ende März zusammen, es bliebe also nur ein knapper Monat Zeit für Verhandlungen mit den FDP-Abgeordneten, die gerade ihre Büros räumen, sowie mit SPD und Grünen, deren Anhänger Merz noch einen Tag vor der Wahl als „Spinner“ bezeichnet hatte. Die Grünen wären aufgeschlossen für eine Grundgesetzänderung, genauso wie die SPD.

Überhaupt dürfte die Union mit Klingbeil, der die SPD mehr auf Wirtschaft und weniger auf Bürgergeld trimmen will, und Verteidigungsminister Boris Pistorius, der für einen konsequenten Aufrüstungskurs steht, gut zurechtkommen.

Andere SPD-Fraktionsmitglieder haben aber deutliche Zweifel, dass die Annäherung an die Union ein Selbstläufer wird wird. „Der Weg zu Merz ist extrem weit für die SPD“, glaubt Ralf Stegner. Auch der brandenburgischen Abgeordneten Maja Wallstein fehlt derzeit noch die Fantasie für eine Groko unter einem Kanzler Merz. „Er hat Wäh­le­r:in­nen verächtlich gemacht und als linke Spinner geschimpft. Wie soll ich jemanden zum Kanzler wählen, der die Menschen, die mich gewählt haben, beleidigt?“, fragt sich Wallstein. Außerdem nimmt sie Merz bis heute übel, dass er Ende Januar im Bundestag eine Mehrheit mit der AfD gesucht und gefunden hat. „Sein Kuscheln mit den Rechtsextremen war unfassbar schädlich und wirkt noch lange nach.“ Denn wenn man Rechtsextremen die Hand reiche, stärke das am Ende nur diese.

Auch Wallstein musste ihr 2021 errungenes Direktmandat an im Wahlkreis Cottbus-Spree-Neiße an die AfD abtreten.Insgesamt hat die SPD 720.000 Menschen an die extrem Rechten verloren, den weitaus größeren Teil aber, nämlich fast 1,8 Millionen, an die CDU.

Linke Sozialdemokraten wie Wallstein und Nasr glauben, dass es ein Fehler war, dass im Wahlkampf vor allem über Migration gesprochen wurde. Nasr fordert: „Wir müssen zurück zu unseren sozialpolitischen Wurzeln.“ Man müsse Merz Zugeständnisse abverhandeln. Doch insgeheim hofft sie: „Hoffentlich verkaufen wir uns nicht zu billig.“

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