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TarifverträgeEin bisschen ungleich darf es sein

Unterschiedliche Bezahlung für die gleiche Nachtarbeit trotz Tarifvertrag? Das geht in Ordnung, sagt das Bundesverfassungsgericht.

Nachtarbeit: Arbeiter im Instandhaltungswerk der S-Bahn in München Foto: Robert Haas/picture alliance

Freiburg taz | Die Tarifparteien sind zwar an das Gleichheitsgrundrecht gebunden, doch die Arbeitsgerichte haben nur begrenzte Kontrollbefugnisse. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und hob zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts auf.

Es ging um Nachtarbeitszuschläge in der Ernährungsindustrie. Der Tarifvertrag gewährte für regelmäßige Nachtschichten 25 Prozent Zuschlag, während Gelegenheitsnachtarbeiter 50 Prozent erhielten. Ein Brauereischichtarbeiter fand das ungerecht und forderte ebenfalls 50 Prozent.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied 2020, dass es keinen sachlichen Grund für unterschiedlich hohe Nachtarbeitszuschläge gebe. Es ordnete daher eine „Anpassung nach oben“ an: auch Schichtarbeitende sollen einen 50-prozentigen Zuschlag für ihre Nachtarbeit erhalten. 2023 bestätigte das BAG seinen Ansatz in einem weiteren Urteil.

Die betroffenen Unternehmen erhoben gegen die BAG-Urteile jeweils Verfassungsbeschwerde. Mit Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht hob die BAG-Urteile auf und klärte die Rolle der Arbeitsgerichte bei Tarifverträgen.

Laut Bundesverfassungsgericht sind die Tarifparteien (also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) mittelbar an den Gleichheitsgrundsatz gebunden. Ungleichbehandlungen der betroffenen Beschäftigten oder der Betriebe sind in Tarifverträgen daher nur mit sachlichem Grund möglich.

Bei anderen Diskriminierungen hört der Spaß auf

Zum Schutz der Tariffreiheit dürfen die Arbeitsgerichte bei Tarifverträgen in der Regel aber keine strenge Kontrolle vornehmen, sondern nur willkürliche Ungleichbehandlungen beanstanden, so die Karlsruher Vorgabe. Eine volle Kontrolle ist nur bei möglichen Diskriminierungen wegen Geschlecht, Religion oder Behinderung erlaubt. Die Ungleichbehandlung von Schichtarbeitenden einerseits und der gelegentlich Nachtarbeitenden andererseits hätte das BAG nicht rügen dürfen. Diese Ungleichbehandlung sei nicht willkürlich, so Karlsruhe, da Schicht­ar­bei­te­r:in­nen besser planen können und laut Tarifvertrag auch zusätzlichen Freizeitausgleich erhalten [glauben die doch selber nicht, oder; d. säzz.].

Für verfassungswidrig erklärte Karlsruhe auch die „Anpassung nach oben“ für Schichtarbeitszuschläge. Hier hätte es auch genügen können, die Ungleichbehandlung im Tarifvertrag besser zu begründen. Die Anpassung nach oben sei schon deshalb nicht naheliegend gewesen, weil Nachtschichtarbeit viel häufiger ist als sonstige gelegentliche Nachtarbeit.

Die Karlsruher Entscheidung fiel im Ersten Senat unter Präsident Stefan Harbarth mit 7 zu 1 Richterstimmen. Richter Heinrich Amadeus Wolff, der einst von der FDP nominiert wurde [lesen Sie weiter, jetzt wird es noch mal lustig; d. säzzer], wollte die Prüfungskompetenz der Arbeitsgerichte auch bei diskriminierenden Tarifregelungen einschränken, weil die Grundrechte grundsätzlich nur den Staat binden.

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