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Afghanistan-UntersuchungsausschussDas Protokoll des Scheiterns

Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss legt seinen Abschlussbericht vor. Daraus wird deutlich: Deutschland verschloss sich lange den Problemen vor Ort.

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt im Dezember als Zeugin im Afghanistan-Untersuchungsausschuss aus Foto: dpa

Berlin taz | Das Chaos hat nun zumindest eine Seitenzahl: Der Untersuchungsausschuss zum Abzug der Deutschen aus Afghanistan hat am Dienstag seinen Abschlussbericht vorgelegt. Auf 1.410 Seiten beschreibt er das Fiasko, dessen Bilder im August 2021 um die Welt gingen: Mit Menschen, die sich auf den Tragflächen startender Flugzeuge vor der erneuten Machtübernahme der Taliban retten wollten. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, SPD-Politiker Ralf Stegner, erklärte bei der Vorstellung des Berichts, die Nato hätte ihr Einsatzziel über die 20 Jahre ihres Engagements kritischer hinterfragen müssen.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss hatte seine Arbeit vor etwa zweieinhalb Jahren aufgenommen. Ziel des Gremiums war, die Entscheidungen der Bundesregierung zwischen Februar 2020 und dem Ende der militärischen Evakuierungsmission in Afghanistan Ende September 2021 zu analysieren.

Am 29. Februar 2020 hatte die damalige Regierung von Präsident Donald Trump mit den Taliban den Abzug der US-Truppen besiegelt, ohne diesen Rückzug an Bedingungen zu knüpfen oder sich mit den Nato-Partnern abzustimmen. „Die Taliban wurden damit zu einer Regierung im Wartestand“, sagte Stegner nun.

Doch dies wurde in Berlin lange Zeit nicht so wahrgenommen und der Abzug der Deutschen und ihrer Ortskräfte entsprechend nicht von langer Hand geplant. „Das Doha-Abkommen war ein Wendepunkt, der die Machtübernahme der Taliban besiegelte, alles andere war Wunschdenken“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, der CSU-Politiker Thomas Erndl.

Merkel sprach von „furchtbarem Scheitern“

Der Ausschuss hatte in den vergangenen Jahren 111 Zeu­g*in­nen angehört und mehr als hundert Gigabyte Dateien aus E-Mails und Gesprächsprotokollen analysiert. Das Ergebnis: Schleppende Verwaltungsabläufe, fehlendes menschliches Verständnis für das Schicksal der Ortskräfte und eine Politik, der es teilweise an Handlungswillen fehlte, haben ein effektives Handeln der Bundesregierung in den Wochen vor der Machtübernahme durch die islamistischen Taliban in Kabul verhindert.

Am Ende der langen Liste der Befragten stand im Dezember auch Angela Merkel (CDU). Die ehemalige Bundes­kanzlerin ­bezeichnete im Zeugenstand den Einsatz als ­„furchtbares Scheitern“. „Wir, die inter­nationale Gemeinschaft, waren auf der Flucht vor den Taliban.

Stegner sah im Kanzleramt eine Verantwortung für dieses Scheitern. Bei der Vorstellung des Berichts sagte er, das Kanzleramt sei bei den Sitzungen des Afghanistan-Krisenstabs vor allem durch Wortlosigkeit in Erscheinung getreten. Auch Grünen-Politikerin Sara Nanni kritisierte dies. „Das Problem ist, dass es an politischer Führung mangelte.“

Bereits früh wurde im Untersuchungsausschuss bei der Befragung von Mitarbeitenden aus dem Innenministerium, dem Entwicklungsministerium, dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium deutlich, wie sehr die Häuser in ihren eigenen Logiken verhaftet blieben. Auch während der chaotischen Abzugsphase wichen sie kaum von ihren bürokratischen Standards ab, um etwa eine pragmatische Ausreise der deutschen Ortskräfte zu ermöglichen.

Im September 2021 standen Bundestagswahlen an, und im Innenministerium von CSU-Mann Horst Seehofer war man darauf bedacht, die Zahl der Ortskräfte in Deutschland gering zu halten – Abschiebungen nach Afghanistan wurden passend dazu erst am 11. August, vier Tage vor dem Fall Kabuls an die Taliban, ausgesetzt.

Stegner sprach davon, dass zu Zeiten des Abzugs „ähnliche bürokratischen Standards wie in einem Katasteramt“ an den Tag gelegt wurden.

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3 Kommentare

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  • " . . . haben ein effektives Handeln der Bundesregierung in den Wochen vor der Machtübernahme durch die islamistischen Taliban in Kabul verhindert."

    Der Volksmund bezeichnet das ganz lapidar als "Merkeln". Na ja, Heiko Maas gehört natürlich auch dazu.

    Doch hier möchte ich nochmal auf einen sehr guten taz-Artikel aufmerksam machen, der eine Reihe positiver Attribute des Afghanistan-Einsatzes nennt:

    taz: "Nicht alles war umsonst!"

    "Ist es nichts wert, dass in den 20 Jahren eine ganze Generation junger Frauen heranwachsen konnte, die zur Schule gehen und berufstätig sein durfte? Spielt es keine Rolle, dass die bis dahin brutal unterdrückten Hazara in dieser Zeit ein regelrechtes „Bildungswunder“ zustande brachten? Ist es völlig egal, dass das Land – für afghanische Verhältnisse – zwei Jahrzehnte lang relative Stabilität erlebte? Oder dass sich eine kleine, aber eben nun existierende Zivilgesellschaft entwickelt hat?"

    Bis die Taliban Frauen und Kinder wieder in die Hölle steckten. Ohne internationale Hilfsprogramme wären Hunderttausende verhungert.

    taz.de/Afghanistan...-Westens/!5794791/

  • Danke für diesen wichtigen brisanten Artikel Cem-Odos Gueler !



    Ergänzen möchte ich um folgenden Auszug vom Deutschlandfunk heute



    https;www,deutschlandfunk.de



    " Schleppende Verwaltungsabläufe und eine Politik, ( Anmerkung 2021 - CDU -Regierung ) der es teilweise an Entscheidungsfreude und Handlungswillen fehlte, haben ein frühzeitige effektives Handeln der Bundesregierung in den Wochen vor der Machtübernahme durch die islamischen Taliban in Kabul verhindert.



    Ein Beispiel für zu träges Handeln : Eine Depesche der damaligen Botschafterin in Washington wies darauf hin, dass die Amerikaner eine baldige Machtübernahme der Taliban für möglich hielten und sich bereits auf eine Krise vorbereiteten. In Berlin Indien blieben diese Informationen TAGELANG liegen - weil ein WOCHENENDE dazwischenlag. "



    Quelle: /www.deutschlandfunk.de



    vom 18.02.2025 Abschlussbericht - " Um diese Fragen ging es im Afghanistan-Untersuchungsausschuss "



    Danke der Enquete-Kommision für die Mitwirkung bei der Aufklärung.

  • und damals hatten wir, anders als jetzt, einen der schwächsten Aussenminister..



    hab seinen Namen vergessen.