: Feuerwehr for President
Warum misstrauen immer mehr Menschen den politischen Institutionen? Unsere Autorin ist in der Lausitz auf Wut gestoßen, aber auch auf neue Perspektiven. Ein Plädoyer für das Gespräch, auch wenn es schwerfällt
![](https://taz.de/private/picture/6067002/516/1374233.jpg)
Von Linda Leibhold
Vor einigen Wochen waren Gerda und ich zu Gast in Weißwasser, wo der Organisationspsychologe Jörg Heidig die Ergebnisse der „Oberlausitzer Wertefragen“ vorstellte. In der Studie wurden die Einstellungen von etwa 500 Personen aus den Landkreisen Bautzen und Görlitz zu unserem politischen System untersucht.
So viel sei verraten: Es war kein Gute-Laune-Abend. Rund zwei Drittel der Befragten hielten die Demokratie für eine gute Regierungsform. Klingt erst mal stabil, ist aber innerhalb von nur zwei Jahren um 15 Prozentpunkte abgerutscht. Am geringsten war die Demokratiezustimmung bei AfD-Wählenden, wenig überraschend. Auch bei Frauen unter 40 Jahren, für mich ziemlich überraschend.
Mit dem tatsächlichen Funktionieren der Demokratie äußerte sich dann nicht mal jede*r Dritte zufrieden oder sehr zufrieden. Autsch. Heidig projizierte eine Grafik an die Beamerwand, die das Vertrauen in verschiedene Institutionen darstellte: mit Abstand angeführt von der Feuerwehr (93 Prozent) und abgeschlossen von Parteien (11 Prozent). Besonders hohes Misstrauen in politische Institutionen auch hier wieder bei Anhänger*innen der AfD wie auch bei Nichtwählenden.
Als Erklärungsansatz führte er die sogenannte Reaktanz an: „Widerstand gegen Überzeugungsdruck.“ Der Psychologe schilderte das Phänomen, dass sich viele Menschen durch gesellschaftliche Veränderungen bedroht fühlten. Wenn auf ihre Skepsis jedoch mit Belehrung oder Abwertung reagiert wird, kann sich eine Haltung von „jetzt erst recht“ entwickeln. Die Menschen beginnen das Gegenteil von dem zu tun, was von ihnen verlangt wird. So entspinnt sich ein Teufelskreis aus Belehrung und Widerstand und die Toleranz gegenüber Radikalität nimmt mehr und mehr zu.
Ob man diesem Erklärungsmodell etwas abgewinnen kann, welche Schlüsse man aus solchen Ergebnissen zieht, und ob es jetzt wohl Zeit wäre, der Feuerwehr beizutreten, sei jeder und jedem selbst überlassen. Mich hat es auf jeden Fall länger beschäftigt.
Ich wollte besser verstehen, was die Leute in meinem Umfeld mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl so umtreibt. Also habe ich – ganz abseits von wissenschaftlichen Erhebungen – einfach mal gefragt. Wenn ich meinen Nachbarn am Glascontainer getroffen habe, zum Glühweintrinken beim Weihnachtsbaumverbrennen oder beim Zurückbringen des uns geliehenen Anhängers. Insgesamt schlug mir ein enormer Frust gegenüber Politik entgegen. Oft wurden an erster Stelle die Themen benannt, die in den letzten Monaten so brav diskursiv gefüttert wurden: zu viele Ausländer und faule Bürgergeldempfänger, die die Wirtschaft ruinieren.
Zynismus ist naheliegend, hilft uns aber auch nicht weiter. Mit Heidigs Reaktanz-Begriff im Hinterkopf versuchte ich also den Spagat, in den Gesprächen weiterzukommen und dennoch meine Haltung deutlich zu machen. Ziemlich schnell stellte sich heraus: Viele sind enorm wütend über wahrgenommene Ungerechtigkeiten – vor allem bei sozialpolitischen Fragen.
Eine Frau erzählte mir von ihrer alleinerziehenden Tochter, die nur mit Ach und Krach über die Runden kommt. Ein älterer Herr von seiner Angst, bald den Führerschein abgeben zu müssen, weil das bei der örtlichen ÖPNV-Situation der absoluten Hilfslosigkeit gleichkommt. Ein anderer, dass es ihm gesundheitlich schlecht geht, der nächst freie Facharzttermin aber erst im September ist. Eine Lehrerin vom zunehmend verrohten Miteinander innerhalb der Schüler*innenschaft in Kombination mit lächerlich viel Stundenausfall aufgrund des Personalmangels.
In meinem Umfeld haben viele Leute das Gefühl, das haut so alles nicht mehr hin. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, Gesellschaftsverträge wie das Renten- oder Pflegesystem sind am Rande der Belastungsgrenzen, Kommunen heillos überansprucht.
Die Zeiten des „Weiter-so“ sind vorbei. Es ist ein Trauerspiel, dass es bisher so wenig gelingt, dieses Gefühl mit einer positiven, solidarischen Zukunftsvision einzufangen. Stattdessen wird es bei vielen kanalisiert über ein nach unten treten, begleitet vom diffusen Wunsch der Rückkehr in längst vergangene Zeiten. Mit welcher Heftigkeit sich das aktuell über rassistische Positionen Bahn bricht, ist gefährlich und nicht tragbar.
Daraufhin kann man sagen: Mit „solchen Leuten“ reden wir nicht. Nur leider scheint sich dieser Ansatz in den letzten Jahren ja nicht wirklich bewährt zu haben. In meinem dörflich-sächsischem Umfeld habe ich immer wieder hautnah erlebt, wie zunächst ehrlich verunsicherte Menschen in eine Ecke gestellt wurden mit Nazis, Querdenkern oder Reichsbürgern. Das Ergebnis war Reaktanz in Reinform und profitiert haben vor allem Rechtspopulisten. Daraufhin können wir (zurecht) mit dem Finger auf die AfD zeigen.
Wir können aber auch darüber diskutieren, welchen Anteil die anderen Parteien und auch die Gesellschaft daran tragen. Wie wir diesem Teufelskreis aus verstärkender Radikalisierung etwas entgegensetzen können.
Im aufgeheiztem Diskussionsklima darüber zu schreiben, dass und wie ich mich in der Oberlausitz mit Leuten über Politik unterhalte, kommt mir beinahe „riskant“ vor. Nicht, weil meine vornehmlich rechts-konservativen Nachbar*innen nicht wissen sollen, dass ich am anderen Ende des politischen Spektrums angesiedelt bin. Meine Sorge gilt eher einer Verurteilung seitens der urban-progressiven Ecke. Das finde ich zumindest mal bemerkenswert. Für meine persönlichen Erfahrungen in Ostsachsen kann ich es analog zu Kraftklub halten: Bautzen ist nicht Berlin.
Was also am Ende meiner Textreihe bleibt, ist ein grundlegendes Plädoyer für die Graustufen zwischen all den vermeintlichen Widersprüchlichkeiten. Für Differenziertheit, besonders wenn sie schwerfällt. Damit verbleibe ich auf unserem kleinen Hof mit Sorge auf die anstehende Wahl, Vorfreude auf weitere Dorferlebnisse und Angst um gesellschaftliche Entwicklungen. Ich habe Bock auf die Gartensaison.
Dies ist der letzte von sechs Texten der Reihe „Geschichten aus der Lausitz“. Sie erschienen an dieser Stelle wöchentlich bis zur Bundestagswahl am 23. 2.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen