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Das Stück mit den Flaschen

Das Deutsche Theater in Berlin widmet sich Eugene O’Neills Familientragödie über eine suchtkranke Familie. Es ist in kurzer Zeit die vierte Inszenierung von „Eines langen Tages Reise in die Nacht“

Moritz Kienemann als Jamie, Bernd Moss als James und Svenja Liesau als Edmund Tyrone Foto: Thomas Aurin

Von Katrin Bettina Müller

Es ist ein zärtlicher Tanz mit der Flasche, der in dieser langen Reise eines Tages in die Nacht das Bild für die Sucht liefert. Ein Arm hebt sich über den Kopf und setzt die Flasche an den Mund, der andere ist anmutig ausgestreckt in der Luft, und so dreht sich der Trinker langsam, vorsichtig, traumtänzerisch fast. Edmund Tyrone (Svenja Liesau), der jüngere, sterbenskranke Sohn, beginnt diesen Akt der Selbstzerstörung, bald folgt ihm Jamie (Moritz Kienemann), der ältere Bruder, Edmund in Liebe und in Hass verbunden. Vater Tyrone (Bernd Moss) steigt als Letzter mit ein und dreht sich in diesem Todestanz synchron mit seinem Sohn.

Eugene O’Neills Drama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“, 1956 uraufgeführt, zeichnet ein bedrückendes Bild einer Familie, in der keiner mehr dem eigenen Leben und dem der anderen gewachsen ist. Der Vater, ein Schauspieler, der es, aus armen Verhältnissen kommend, zu einigem Wohlstand gebracht hat, ist blind für die Qual, die seine patriarchale Selbstgefälligkeit Frau und Söhnen antut. Die Mutter ist schon längst in die Morphiumsucht geflüchtet, die Söhne wie der Vater trinken. Unendlich groß ist ihr Vorrat an Schuldzuweisungen, jede/r an jeden. Und groß ist auch ihr Vorrat an Gesten des Überspielens, um sich in Nichtwissen gegenüber diesen schlecht gehüteten Familiengeheimnissen zu flüchten.

Vor allem die Eltern beherrschen dieses Kopf-in-den-Sand-Stecken in der Inszenierung, die Sebastian Nübling O’Neills Tragödie jetzt im Deutschen Theater Berlin auf die Bühne gebracht hat. Ist es das, das Klammern ans eigene Unglück und die Abschottung gegenüber der Außenwelt, was das Stück in Zeiten der Verzweiflung aktuell macht?

Es ist in kurzer Zeit die vierte Inszenierung dieses Klassikers. Rieke Süßkow zeigte ihn in Nürnberg als musikalisches Experiment, ­Johan Simons in Bochum als redegewaltige ­Familienschlacht, und ­Sebastian Hartmann geht in Dresden den Ritualen des Familienkonflikts nach. Da wird die Suche nach einem neuen Zugriff nicht gerade einfach.

Dass James und Jamie Tyrone Schauspieler sind, wobei der Vater dem Sohn jede Anerkennung verweigert, nutzt Nübling im ersten Teil, um das Theater als Spiel selbst ein wenig vorzuführen. Der eiserne Vorhang klemmt, die In­spizientin (Julia Gräfner) gibt es beklommen bekannt, beschreibt ein Bühnenbild, das wir nie sehen werden – schon amüsiert sich das Publikum, das die Pannen, auch die inszenierten, liebt. Auftritt James Tyrone im Parkett, seine aufgesetzt muntere Frau Mary (Almut Zilcher) im obersten Rang, und bald tauchen auch die Köpfe der Söhne über den Geländern auf. Das Publikum muss die Köpfe drehen, die umherlaufenden Darsteller suchen, die schnell in den aggressiven und beleidigten Modus wechseln. Man hat also zu tun, soll nicht zuletzt des Öfteren mit Handzeichen abstimmen, ob James Tyrone wieder recht hat mit seinen Weltansichten.

Ist es das, das Klammern ans eigene Unglück und die Abschottung gegenüber der Außenwelt, was das Stück in Zeiten der Verzweiflung aktuell macht?

Das ist launig, aber auch etwas oberflächlich. Im zweiten Teil, der in die Nacht hineingeht, öffnet sich erst der Bühnenraum, füllt sich mit Nebel, schemenhaft werden die Figuren. Mary klagt, findet im ihr angetanen Unrecht immer neue Gründe für ihr Versagen. Der Rest der Familie trägt jetzt Hasenköpfe. Keiner dringt zu keinem mehr durch. Das eigene Elend schiebt sich wie der eiserne Vorhang vor den Blick auf die anderen.

Beschäftigt mit Selbstrechtfertigungen und unfähig zur Empathie – lässt sich aus diesem Bild der Familie Tyrone eine Allegorie ableiten des gesellschaftlichen Zustands in der Gegenwart? Nüblings Inszenierung nimmt sich das vor, kriegt die Kurve vom Drama zur Gegenwart aber nur unzureichend. Am Ende rollt die Inspizientin eine Rolle Stacheldraht um das inzwischen schon in Teile zerkrachte Haus der Tyrones und hält einen Schlussmonolog, den Sivan Ben Yishai für diesen Abend geschrieben hat. Er nimmt Bezug auf die jüngsten politischen Projekte der Ausgrenzung und Abschottung und auf den emotionalen Zustand des Nicht-mehr-Weiterwissens angesichts so vieler miserabler Prognosen. Doch da schwimmt plötzlich viel zu viel im Topf, als dass man es noch mit der Inszenierung bis dahin in Verbindung bringen könnte. So bleibt am Ende nur das Mitleid mit den traurigen Flaschentänzern.

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