Meduza-Auswahl 23. – 29. Januar 2025: Immer größere Armut in Russland
Berichte über Russlands Wirtschaft sind oft widersprüchlich: Trotz Sanktionen scheint sie zu wachsen. Wie kann das sein?
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Zeit vom 23. bis 29. Januar 2025 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Die Schere zwischen Arm und Reich wächst
Das Wohlstandsgefälle in Russland war schon immer groß, aber mit dem Krieg gegen die Ukraine wird die Kluft immer extremer. Berichte über die Wirtschaft scheinen oft widersprüchlich: Trotz der internationalen Sanktionen steckt der Kreml Milliarden in die Verteidigung und bietet immer höhere Prämien für die Rekrutierung von Soldaten. Gleichzeitig kämpft das Land mit einem Arbeitskräftemangel, da Tausende in den Krieg geschickt wurden. Außerdem hat die steigende Inflation die Löhne gedrückt.
Doch Russlands Superreiche werden immer reicher – und diejenigen, die auf westlichen schwarzen Listen stehen, übertreffen oft sogar ihre Konkurrenten. Um diese widersprüchliche Dynamik in der russischen Wirtschaft zu entschlüsseln, sprach Meduza mit Jem Morrow, einem Forscher, der die russische Gesellschaft untersucht (englischer Text).
„Es gibt Gruppen von Menschen, die vom Krieg profitieren“, sagt Morrow: Die Familien der Soldaten, Arbeiter im militärisch-industriellen Komplex und Unternehmer.
Ein renteneintrittsfreies Jahr in Russland
Im Jahr 2018 führte Russland eine Rentenreform durch: Das Renteneintrittsalter für die meisten Frauen wurde von 55 auf 60 Jahre, für die meisten Männer von 60 auf 65 Jahre angehoben. Dadurch entsteht nun eine ungewöhnliche Situation: Im Jahr 2025 wird praktisch niemand Anspruch auf eine altersabhängige Rente haben. Meduza erklärt auf Englisch, wie dieser Übergang funktioniert und wer in diesem Jahr noch einen Anspruch hat.
Das Jahr 2025 ist ein „Lückenjahr“, in dem niemand in den Ruhestand versetzt wird. Für diejenigen, die nach der alten Regelung 2021 in Rente gegangen wären, wurde das Rentenalter um drei Jahre angehoben, so dass sie erst 2024 in Rente gehen können. Für diejenigen, die 2022 in den Ruhestand gehen sollten, wurde das Renteneintrittsalter um vier Jahre nach hinten verschoben, so dass sie erst 2026 in Rente gehen können.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein solches Lückenjahr auftritt. Im Jahr 2023 konnte niemand im Rahmen des Rentensystems in den Ruhestand gehen, und das Gleiche wird auch 2027 der Fall sein.
In US-Knästen sitzen russische Oppositionelle
Am 1. August 2024 wurde der russische Oppositionspolitiker Ilja Jaschin im Rahmen eines historischen Gefangenenaustauschs zwischen Russland und westlichen Ländern aus dem Gefängnis entlassen. Er saß lange ein, weil er angeblich „Desinformationen“ über Russlands umfassenden Krieg in der Ukraine verbreitet hatte.
In den Monaten nach seiner Entlassung erhielt Jaschin – der jetzt in Deutschland lebt – Nachrichten von Menschen, die ihn um Hilfe baten: Denn die US-amerikanischen Einwanderungsbehörden hatten damit begonnen, russische Staatsangehörige bis zur Entscheidung über ihre Asylanträge in Haft zu nehmen. So saßen sie oft monatelang ein. Am 22. Januar gab Jaschin bekannt, dass er Briefe an die Leiter von sechs großen US-Medien geschickt hatte, in denen er sie bat, auf die Notlage seiner Landsleute aufmerksam zu machen. Meduza sprach mit Yashin auf Englisch über seinen Einsatz für Betroffene.
„Die Situation insgesamt ist einfach ungeheuerlich. Menschen, die keine Verbrechen begangen haben, werden ins Gefängnis gesteckt. Sie fliehen aus Russland, weil sie gegen den Krieg sind, sie fliehen vor der Repression und vor Putins Gefängnissen – nur um dann in amerikanischen Gefängnissen zu landen“, sagt er. Und fragt: „Warum werden die Menschen so hart behandelt, wenn sie doch nur Asyl in einem Land suchen, das als der führender freier und demokratischer Staat der Welt bekannt ist?“.
Russlands Innenministerium jagt LGBTQ-Menschen
Nachdem der Oberste Gerichtshof Russlands die nicht existierende „internationale LGBT-Bewegung“ im November 2023 zu einer „extremistischen Organisation“ erklärt hatte, hat das Innenministerium eine regelrechte Jagd auf queere Menschen eröffnet: Überall im Land werden Razzien in Schwulenclubs und auf Partys durchgeführt. Homosexuelle werden unter die Aufsicht von Polizisten aus der Nachbarschaft gestellt. Der Druck wird von der Sammlung persönlicher Daten queerer Menschen begleitet.
Nun diskutieren die Behörden, wie die Meduza-Sonderkorrespondentin Liliya Yapparova herausfand, ein einheitliches elektronisches Register von LGBTQ+-Personen einzuführen. Das Entstehen einer solchen Datenbank würde grenzenlose Möglichkeiten für Erpressung und Schikanen gegenüber queeren Menschen schaffen (russischer Text).
Einige Partyveranstalter geben selbst die Kontakte ihrer Gäste an die Strafverfolgungsbehörden weiter – entweder unter Druck oder einfach in der Hoffnung, dass sie in Ruhe arbeiten können. „Wir fallen nicht unter [die Verschärfung der LGBTQ-Gesetzgebung], weil wir mit der Polizei zusammenarbeiten“, sagt ein Partyveranstalter Meduza.
Er lasse Beamte in Zivil zu seinen Veranstaltungen, und sie hätten auch Zugang zum geschlossenen Telegram-Chatraum, in dem die Gäste ihre Fotos, Telefonnummern und Testergebnisse hochladen müssen. Dies ist eine Bedingung für den Zutritt zur Party. Er erklärt: „Im gleichen Chatroom befinden sich auch Mitarbeiter von drei Abteilungen, welche das sind, verrate ich nicht. Und wenn sie einen der Gäste interessant finden, gebe ich ihnen ausführliche Informationen über ihn: wann er bei uns war, was er gemacht hat, was er mag und bevorzugt“.
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