: Und wer nimmt den Wald?
Der Sachsenwald bei Hamburg wurde als adelige Steueroase geoutet. Trotzdem will ihn keine der Nachbargemeinden haben
Von Esther Geißlinger
Es ist ein Relikt aus den Zeiten der Adelsherrschaft: der Sachsenwald in Schleswig-Holstein östlich von Hamburg gelegen, gehört der Familie Bismarck. Deren Oberhaupt darf sogar Steuern einziehen – und nutzt diese Chance, um Einnahmen zu erzielen, wie Recherchen des Portals Frag-den-Staat und von Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ ergaben: In einem reetgedeckten Häuschen im tiefen Tann arbeiteten angeblich fast zwei Dutzend Firmen.
Nun stellte sich heraus, dass das Land Schleswig-Holstein dem als „gemeindefreies Gebiet“ geführten Privatgelände Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich zukommen ließ. Die Peinlichkeit ist groß, die Opposition fordert Aufklärung und die schwarz-grüne Landesregierung setzt alles daran, den Sonderstatus zu beenden und den Wald einer Gemeinde zuzuschlagen. Doch das ist gar nicht so einfach. Warum eigentlich?
Der Sachsenwald ist mit 70 Quadratkilometern Schleswig-Holsteins größter Forst, überwiegend Laubwald, der sich auf einer hügeligen Endmoränenlandschaft erstreckt, durchkreuzt von zwei Flüsschen, die Schwarze Au und die Bille. Das Bille-Tal steht unter Naturschutz. Früher ging Kaiser Wilhelm I. in diesem Revier jagen, 1871 verschenkte er den Wald an den Reichskanzler Otto von Bismarck. Bis heute gehören weite Teile dessen Nachkommen.
Das allein ist nicht ungewöhnlich: Laut des Statistischen Bundesamts sind 4,4 Millionen Hektar und damit 43 Prozent des deutschen Waldes im Besitz von 760.000 privaten Eigentümer:innen. Aber der Sachsenwald ist eben nicht nur ein Privatwald, sondern eine Fläche, die keiner Gemeinde angehört und selbst wie eine Art Gemeinde agiert – etwa, indem sie Firmen ansiedeln und Steuern einnehmen kann. Der Steuersatz, das ergaben die Recherchen von Frag-den-Staat und „ZDF Magazin Royale“, ist seit 1958 nicht mehr geändert worden und liegt deutlich niedriger als etwa im nahen Hamburg.
Der Status als gemeindefreies Gebiet sei von den Bismarcks zur „Einrichtung einer Steueroase missbraucht“ worden, sagt David Stoop, haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Er hat im vergangenen Oktober, nachdem die Recherchen um die Bismarck’sche Waldhütte bekannt wurden, Anzeige erstattet, es geht um den Verdacht der Steuerhinterziehung.
„Es ist legal, einen Standort mit niedriger Gewerbesteuer als Geschäftssitz zu wählen“, sagt Stoop. Doch wenn dort gar keine Geschäftstätigkeit stattfindet, „wäre ein solches Vorgehen strafbar“. Besonders aufmerksam schaut der Linken-Politiker auf die Luxcara Energy GmbH: Sie bildet mit den Hamburger Energiewerken ein Konsortium.
Auch der Schleswig-Holsteinische Landtag befasste sich mit dem Sachsenwald. Auf Anfragen der Opposition dröselte das Finanzministerium die Steuereinnahmen der vergangenen Jahre auf. Demnach kassierte die Familie von Bismarck von 2017 bis 2019 zusammen rund 4.000 Euro Gewerbesteuer. Dann wuchsen die Summen: 2020 allein betrug die Brutto-Einnahme rund 670.000 Euro, in den Folgejahre jeweils 400.000 Euro und 2023 sogar über eine Million. Betriebsprüfungen habe es nicht gegeben – da sei das Steuergeheimnis vor, heißt es in der Antwort der Landesregierung.
Das Geld sei für Erhalt und Pflege des Waldes verwendet worden, teilte Gregor von Bismarck dem Rechercheteam von Frag-den-Staat mit. Doch der Linken-Abgeordnete Stoop findet weitere Prüfungen notwendig: „Die Besitzer legen keine Rechenschaft über die Verwendung der Gelder ab. So weiß niemand, ob sie damit nicht vielleicht auch auf Flächen aufforsten, die sie später kommerziell nutzen.“
Ende des Sonderstatus gefordert
In Schleswig-Holstein fordern Politiker:innen aus Regierung und Opposition ein Ende des Sonderstatus. Nach einer Sitzung des Finanzausschusses im vergangenen Herbst sagte Finanzministerin Silke Schneider (Grüne), die heutige Lage stelle niemand zufrieden. Es würden Möglichkeiten gesucht, um eine steuerliche Gleichbehandlung herzustellen.
Neuen Auftrieb bekommt die Frage durch die Panne, die im Januar ans Licht kam: Mehrfach zahlte das CDU-geführte Innenministerium Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich an den Sachsenwald – Geld, das nur Gemeinden zusteht. Es geht um rund 130.000 Euro. Annabell Krämer (FDP) fordert, die Summe müsse zurückgezahlt werden. Das sei nicht so einfach, bedauert ein Sprecher des Ministeriums: „Da der Fehler im Innenministerium gemacht wurde, hat die Festsetzung weiterhin Bestandskraft.“
Dumm gelaufen also – und ein Ansporn für die schwarz-grüne Landesregierung, den gemeindefreien Zustand zu beenden. Im Kreis Herzogtum Lauenburg, in dem der Sachsenwald liegt, fand bereits ein „kommunaler Gipfel“ statt, bei dem Landrat Christoph Mager (CDU) mit den Nachbargemeinden des Sachsenwaldes beriet, wem die 70 Quadratkilometer Wald zugeschlagen werden könnten.
Interesse hatte niemand. Niemand reiße sich um Kosten und Verantwortung, sagte Norbert Lütjens (parteilos), Bürgermeister von Schwarzenbek, dem NDR. Josef Schmidt von der Wählergruppe Aktive Bürger Kuddewörde und Bürgermeister des gleichnamigen Örtchens sah ebenfalls Kosten auf die Gemeinde zukommen, etwa für „geländegängige Fahrzeuge“.
Klingt einleuchtend, stimmt nur nicht. Denn auch wenn der Wald dem Gebiet einer oder mehrerer Gemeinden zugeschlagen würde, bliebe er im Privatbesitz der Familie Bismarck, mit allen Rechten und Pflichten, darunter auch die Pflicht, Wege zu pflegen und instand zu halten.
Das bestätigt Tobias Frohnert, Sprecher des Landkreises: „Aktuell wären keine Kosten für die Gemeinden zu erwarten, da alle Wege, abgesehen von Kreis-, Landes- oder Bundesstraßen, im Privateigentum stehen.“ Höchstens wenn sich der Status ändere, könnte die Gemeinde belastet werden – dazu müsste die Familie Bismarck ihren Wald aber abtreten.
Wenn es also nicht die Sorge um Geld ist, was könnte es dann sein? Ein Kreispolitiker vermutet, dass die Bürgermeister:innen der kleinen Gemeinden keinen Ärger mit dem Adelshaus wollen: „Es gibt vielfältige Verflechtungen, vor allem über die Jägerschaft und die Feuerwehr.“ Man wolle Privilegien wie Einladungen zur Jagd nicht aufs Spiel setzen.
Zurzeit fänden keine „aktiven Verhandlungen“ statt, sagt Kreissprecher Frohnert. Allerdings beraten die kommunalen Gremien über mögliche Lösungen. Wenn nicht eine Gemeinde den Sachsenwald aufnehmen wolle, könnte er auf mehrere verteilt werden. Denkbar wäre auch eine eigene Gemeinde „Sachsenwald“, die aber Einwohner:innen bräuchte. Dafür müssten andere Gemeinden Orte abtreten.
Oder: Alles bleibt, wie es ist – aber künftig ziehen der Kreis oder das Land die Steuern ein, nicht der von den Bismarcks eingesetzt Gutsverwalter. „Sofern regional keine Lösung gefunden wird, entscheidet das Land“, sagt Kreissprecher Frohnert. Bei einem möglichen Rechtsstreit mit der Familie Bismark stünde dann auch das Land, nicht eine Gemeinde, gegen das Adelshaus. So oder so soll die Frage der künftigen Struktur in diesem Jahr geklärt werden, teilt das Innenministerium mit.
Inzwischen haben mehrere im Sachsenwald gemeldete Firmen ihre Adressen geändert – mutmaßlich wegen des öffentlichen Interesses. Marc-André Bornkessel, Kreissprecher der Linken in Herzogtum Lauenburg, hat derweil Fragen an die Verwaltung: „Wurde für die Hütte eigentlich eine Nutzungsänderung als Gewerberaum beantragt und wer genehmigte die Bauanträge?“ Er hofft auf eine baldige Aufklärung.
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