: Mit dem Pinsel gegen das Vergessen
Im Mauerpark malen kolumbianische Aktivist*innen aus Solidarität mit Verschwundenen ein Wandbild. Die Aktion löst in der ehemaligen Heimat einen rechten Shitstorm aus
von Fabian Grieger
Das Wandbild thront mit leuchtenden gelben Buchstaben auf schwarzem Hintergrund und dem Bild einer älteren Frau mit erhobener Faust über dem „Amphitheater“ im Mauerpark. Auf beeindruckenden 50 Metern steht auf der Wand „Las cuchas tienen razón“, auf Deutsch etwa „Die Mütter haben recht“. In nur wenigen Tagen hat das Graffiti die kolumbianische Öffentlichkeit so sehr bewegt, dass auf eine Welle der Solidarität ein Sturm rechter Kampagnen folgte, deren Wirkung bis in die kolumbianische Diaspora in Berlin zu spüren ist. Gnadenlose Sprayer – an diesem Ort nichts Unübliches – haben das Bild mittlerweile wieder übermalt.
Die „Mütter“ sind eine Gruppe von Frauen in der kolumbianischen Großstadt Medellín, die seit 2002 nach ihren „verschwundenen“ Söhnen und Töchtern suchen. Damals führte der rechte Präsident Álvaro Uribe mithilfe von Paramilitärs einen blutigen Krieg gegen Guerilla-Gruppen. Dieser diente ihm auch als Vorwand für zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung.
Eines der traurigsten Kapitel dieser Gewaltgeschichte waren eine Reihe Militäroperationen in einem marginalisierten Viertel Medellíns, an deren Ende mehr als 500 Menschen „verschwanden“ – oder eher „verschwunden worden sind“. Väter, aber vor allem Mütter forderten seither Aufklärung vom Staat. Doch der war taub. Seit Langem hegten die Mütter den Verdacht, die sterblichen Überreste ihrer Kinder seien in einer riesigen Müllkippe am Rand der Stadt verscharrt worden. Ihr 22-jähriger Kampf und Druck auf die Behörden war erfolgreich: Im Januar dieses Jahres fand eine Sucheinheit auf der Müllkippe Knochen von Menschen, die zur Zeit der Militäroperation im Jahr 2002 getötet worden sind.
Graffitikünstler*innen schrieben in den Tagen danach in Großbuchstaben „Die Mütter haben recht“ auf eine Mauer in Medellín. Doch der aktuelle Bürgermeister Federico Gutierrez, ein Vertrauter des Ex-Präsidenten Uribe, ließ das Wandbild übermalen. Kein Platz im Stadtbild für eine so öffentlich sichtbare Erinnerung.
Das ließen die Graffitikünstler nicht auf sich sitzen, kamen zurück, bemalten die Mauer wieder, und auch in anderen Städten Kolumbiens schrieben Sprayer nun „Die Mütter haben recht“ auf die Mauern.
Auch die gut organisierte kolumbianische Community in Berlin machte mit. Mehr als 50 Leute nahmen am vergangenen Sonntag Pinsel in die Hand und trafen sich im Mauerpark. Selbstorganisiert und ohne jede institutionelle Unterstützung wie Luis Sanchez*, Graffitikünstler und Teil der Gruppe, betont: „Wir wollten dabei mithelfen, dass die Wahrheit nicht einfach begraben werden kann, und auch gemeinsam in Berlin die schrecklichen Spuren des Kriegs in Kolumbien verarbeiten“, sagt er.
Die Berliner Kolumbianer*innen fügten dem Schriftzug Worte gegen das Erstarken des Faschismus in den USA und in Deutschland hinzu sowie die Forderung nach Frieden auch in Gaza. „So wurde die Hommage an die Mütter, die ihre Kinder suchen, zu einem Symbol für einen globalen Kampf für Gerechtigkeit und Erinnerung“, heißt es in einem Statement der Gruppe.
Doch dann überrannten die Ereignisse die Künstler*innen. Und zwar ab dem Moment, in dem Pablo Rodriguez*, ein Kolumbianer, der in Berlin wohnt und an diesem Sonntagmorgen zufällig im Mauerpark spazierte, das Wandbild entdeckte, das Handy zückte und das Video bei Facebook teilte.
Das Wandbild war noch gar nicht fertig, da kursierte es schon im Netz. Zuerst teilten es Rodriguez’ Freunde, später geht es viral in allen großen Netzwerken. Am Anfang gab es vor allem Zuspruch, auch ein reichweitenstarker kolumbianischer Politiker teilte das Wandbild.
Das alles bekommt Rodriguez nicht mit. Zwei Tage später habe er eine Nachricht von einem Freund aus Kolumbien erhalten, berichtet Rodriguez. Ob er wisse, dass er bei der Berliner Polizei angezeigt worden ist. Rodriguez versteht erst einmal gar nichts. Dann loggt er sich auf Social Media ein und sieht die Schwemme an Hassnachrichten, die ihm zugeschickt wurden.
Was war passiert? Ein – laut seinem Profil offensichtlich sehr weit rechts positionierter – Kolumbianer, der in München lebt, erstellte online Anzeige gegen Rodriguez und zwei weitere Personen wegen des Graffitis und teilte einen Screenshot der Anzeige. Dort faselt er, die Sprayer seien Unterstützer des „internationalen Terrorismus“, möglicherweise in den Drogenhandel verwickelt, und hätten illegal eine Mauer bemalt.
Das ist alles komplett falsch – selbst die Mauer im Park ist für Graffiti freigegeben. Aber die Nachricht erzielt trotzdem ihre Wirkungen. Auf Twitter teilen dubiose Accounts Fake News über Rodriguez; rechte Medien schreiben nun gar, die an der Aktion beteiligten Kolumbianer*innen würden aus Deutschland abgeschoben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen mit massenhaften Abschiebungen aus den USA sorgt so eine Falschnachricht für doppelte Unruhe: „Familienmitglieder und Freunde meldeten sich besorgt bei mir“, erzählt Rodriguez, der ja noch nicht einmal mit gemalt hatte. „Einfach nur, weil ich sonntags durch den Mauerpark spaziert bin, beleidigten mich hunderte Leute im Netz und in großen Zeitungen stand auf einmal mein Name.“
Eine solche Stigmatisierung kann in Kolumbien gefährlich sein; einem Land, in dem letztes Jahr 173 Aktivist*innen ermordet wurden. Die rechte Kampagne gegen die Graffitikünstler folgte einem bekannten Muster: Fake News, in die Welt setzen, einzelne Leute an den Pranger stellen, direkte Bedrohungen aussprechen. Oft trifft es auch das Umfeld und die Familie der Menschen im Fadenkreuz des rechten Hasses. So machten sich die Berliner Aktionskünstler*innen nicht nur um sich selbst Sorgen, zum Beispiel bei ihrem nächsten Kolumbienbesuch. Manche sorgten sich auch um ihre Familien.
Doch der Schatten kolumbianischer Paramilitärs reicht bis nach Berlin: „Manche Leute, die in Kolumbien politisch sehr aktiv waren, fühlen sich auch hier nicht hundert Prozent sicher“, sagt Graffitikünstler Sanchez. Das Agieren des Kolumbianers aus München, der die Anzeige stellte, sei beunruhigend. „Es ist schwer einzuschätzen, wie gefährlich die Bedrohungen sind, aber sie sind in jedem Fall eine Warnung, wie schnell sich Hass ausbreiten kann und dann eventuell auch Einzelpersonen Taten folgen lassen.“ Dieses Schema sei genauso typisch für die kolumbianische wie die deutsche Rechte, sagt Sanchez. In jedem Fall kosteten die letzten Tage viel Zeit und Energie unter emotionalem Stress.
Die Unsicherheit, die die Kolumbianer*innen in Berlin spürten, hat noch einen weiteren Hintergrund: Die allgegenwärtige Bedrohung, die Ausländerbehörde könnte jeden noch so kleinsten Eintrag in einer Polizeiakte zum Nachteil bei Aufenthaltsfragen auslegen; auch wenn die Anzeige völlig unsinnig ist.
Pablo Rodriguez, Kolumbianer
„Was mir am meisten Sorgen machte, war mein Ruf bei den deutschen Behörden“, sagt auch Rodriguez, der Spaziergänger, gegen den auf einmal eine Anzeige vorlag. Deshalb ging er selbst ins Polizeirevier, um die Dinge klarzustellen. Die deutsche Polizei ist in diesem Fall allerdings mehr als uninteressiert: „Der Polizist hat gelacht, weil ihm die Anzeige so absurd erschien. Er meinte, ich soll mir keine Sorgen machen, da passiere nichts“, sagt er.
Die Aktivist*innengruppe wiederum hat sich nach den Drohungen im Internet dazu entschieden, nur noch anonym in die Öffentlichkeit zu treten. „Das war so nicht geplant und hat uns schon sehr eingeschränkt“, sagt Sanchez. Ihn ärgert besonders, dass die falschen Unterstellungen, die das Engagement der Mütter auf Wahrheitssuche und ihre Unterstützer in die Nähe von Terroristen rücken. Dadurch werden die Leidtragenden des bewaffneten Konflikts erneut zum Opfer. Doch trotz des rechten Shitstorms zieht Sanchez ein positives Fazit der letzten Tage: „Am Ende zeigt doch auch diese Gegenreaktion in diesen Kreisen, dass die Aktion erfolgreich war und wie wichtig es ist, so etwas zu machen.“
* Namen geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen