piwik no script img

Panik in der Ukraine

Ob Budget, kritische Infrastruktur oder Kleinbetrieb: Kaum ein Bereich, der keine USAID-Hilfe erhielt. Mit dem Zahlungsstopp könnte jetzt noch eine humanitäre Krise drohen

Wie lange weht diese Fahne noch? Zahlungen der US-Entwicklungsagentur USAID wurden zunächst für 90 Tage ausgesetzt. Doch Trumps Plan ist, die Behörde ganz dicht zu machen Foto: J. David Ake/getty images

Aus Luzk Juri Konkewitsch

Der Stopp großer Teile der US-Entwicklungshilfe (USAID) hat die Ukraine in Panik versetzt: Vergleiche zu Verzögerungen bei Militärlieferungen im Winter 2024 werden gezogen. Damals ging die Stadt Awdijiwka in den Region Donezk verloren, die an der Front liegt. Ex­per­t*in­nen sprechen von einer möglichen humanitären Krise, da USAID seit dem Beginn des Krieges der größte Geldgeber für Hunderte von Gemeinden und Organisationen war.

„Mehr als 90 Prozent der Mittel sind nicht an Organisationen der Zivilgesellschaft gegangen, sondern direkt an das Budget des ukrainischen Staates und der Gemeinden“, sagt der Geschäftsführer der Internationalen Renaissance-Stiftung, Alexander Suschko. Es sei sehr schwierig, diese Mittel zu ersetzen. USAID habe viele Projekte zum Wiederaufbau der Infrastruktur finanziert und Hilfe für Gemeinden geleistet. Laut Suschko werde jetzt ein erheblicher Teil der Tätigkeiten ausgesetzt werden müssen.

Seit Februar 2022 haben die Vereinigten Staaten der Ukraine über USAID 2,6 Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe, fünf Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe und mehr als 22,9 Milliarden US-Dollar an direkter Budgethilfe für die ukrainische Regierung zur Verfügung gestellt, um Flüchtlingen zu helfen und Beamte zu bezahlen. Sogar die Stiftung „Wie geht es Dir“ der First Lady Elena Selenskaja, die psychologische Hilfe anbietet, erhielt von USAID Zuwendungen.

Die Behörde finanzierte Landwirte, half kleinen Unternehmen bei der Zertifizierung, rekonstruierte oder modernisierte Energieanlagen, kaufte Ausrüstung für Städte (Generatoren) und Krankenhäuser. Auch Impfungen in der Ukraine wurden größtenteils mit USAID-Geldern durchgeführt. Hinzu kamen Computer für Schulen und Lehrbücher.

In der westukrainischen Stadt Luzk mit 200.000 Ein­woh­ne­r*in­nen finanzierte USAID 2024 mit 500.000 US-Dollar ein Blockheizkraftwerk, das durch die Verbrennung von Gas gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt. Die Anlage wurde zu einer „Versicherung“ für den Fall eines Stromausfalls nach russischen Raketenangriffen.

Die Kleinstadt Boratin in der Nähe von Luzk kam ebenfalls in den Genuss von USAID-Mitteln. Laut der Mitarbeiterin des Rathauses, Aleksandra Los, habe das örtliche Krankenhaus Geräte für Diagnostik erhalten. Die Amerikaner kauften einen mobilen Lichtmast mit Generator, ein automatisiertes Außenbeleuchtungssteuerungssystem, Generatoren, Kleidung für Feuerwehrleute und Ausrüstung für Schulkantinen. Das Abschlussforum eines Projektes zur Unterstützung Jugendlicher, das Ende Januar hätte stattfinden sollen, wurde wegen der Einstellung der USAID-Hilfen verschoben.

In Boratin ist zu hören, dass die Gemeinde diese Hilfe dringend brauche, da die Haushaltseinnahmen während des Krieges zurückgegangen seien – auch, weil viele Steuerzahler das Land verlassen hätten. Für die, die geblieben seien, müsste die Situation verbessert werden – insbesondere für Geflüchtete aus der Ostukraine.

Auch bei den Medien geht die Angst um. Dutzende von ihnen haben Zuschüsse erhalten, insbesondere für investigative Projekte. „Nach dem Einbruch des Werbemarktes 2022 konnten sie nur so überleben“, sagt Natalja Pachaytschuk, Direktorin des Netzwerks lokaler Websites Rayon.in.ua. Jetzt würden ukrainische Medien nicht nur um Zuwendungen bei anderen Organisationen nachsuchen, sondern auch zu kostenpflichtige Abonnements übergehen müssen. „Ich will mir gar nicht ausmalen, wie und wann die Redaktionen sich entschließen, ein ehrliches Gespräch mit ihren Le­se­r*in­nen zu führen, um für ihre Teams an weitere Ressourcen für die Entwicklung zu kommen“, sagt Pachaytschuk.

Trotz allem: Alexander Suschko von der Renaissance-Stiftung hat sich noch etwas Optimismus bewahrt. Im Krieg habe die ukrainische Gesellschaft einen großen Schritt bei der Entwicklung einer Spenden- und Crowdfunding-Kultur gemacht. Stiftungen, die die Armee unterstützten, erhielten seit Langem zehnmal mehr Mittel von Privatpersonen als von internationalen Gebern. „Aber um zu spenden, müssen die Leute ja das Geld von irgendwoher nehmen“, sagt Suschko. „Für eine nachhaltige Spendenkultur brauchen wir eine Mittelschicht, die nicht nur ans Überleben denken muss, sondern auch noch etwas abgeben kann.“

Aus dem Russischen: Barbara Oertel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen