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Über Ermächtigungsgeschichten

Bücher schreiben, um Antifeminismus und misogyner Gewalt etwas entgegenzusetzen: Die Friedrichshainer Buchhandlung Interkontinental lud mit Autorinnen und Aktivistinnen zu einem „literarischen Symposium gegen Frauenhass“

Von Jette Wiese

Sie berichteten von Drohungen und Übergriffen, von Missbrauch. Ihre Geschichten wurden von Tausenden geteilt, die Ähnliches erlebten und nun an die Öffentlichkeit gingen. Gut sieben Jahre nach Beginn der #MeToo-Bewegung ist die systematische Gewalt gegen Frauen und Flinta-Personen in der medialen Öffentlichkeit angekommen, das zeigt etwa das große Interesse an dem Fall von Gisèle Pelicot vor Kurzem. Und mit Sachbüchern wie Susanne Kaisers „Backlash – die neue Gewalt gegen Frauen“ und Romanen wie „Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas, das 2024 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, gehört es zu den zentralen gesellschaftspolitischen Themen der Gegenwartsliteratur.

Gleichzeitig aber wächst die Zahl der physischen und verbalen Angriffe gegen Frauen laut Kriminalstatistik in allen Bereichen. Dieses Phänomen, dass die Gewalt proportional zur Gleichberechtigung zunimmt, bezeichnet Susanne Kaiser als den „misogynen Backlash“. Bei einem „literarischen Symposium gegen Frauenhass“, zu dem die Buchhandlung Interkontinental in Berlin-Friedrichshain am Samstag Autorinnen und Aktivistinnen eingeladen hatte, berichtet sie von dem wachsenden Antifeminismus, der mit Donald Trump und der AfD längst auch im politischen Betrieb verankert sei.

Das spiegelt sich auch in der eigenen Arbeit wider. Bei dem Symposium erzählen einige Teilnehmerinnen davon, wie sie für ihr Schreiben und ihre Aufklärungsarbeit zunehmend angefeindet werden. Hört man diese Berichte, stellt sich durchaus die Frage: Gibt es wirklich noch jenes öffentliche Bewusstsein für misogyne Gewalt, das einmal dazu geführt hatte, dass das Thema in die Verlagsprogramme aufgenommen wurde und jetzt so etwas wie ein literarisches Trendthema ist? Wäre eine weltweite #MeToo-Bewegung unter dem Rechtsruck heute überhaupt noch möglich?

Twitter zumindest, wo die Bewegung damals anfing, gibt es so wie 2017 nicht nur wegen der Namensänderung nicht mehr. Viele Ak­ti­vis­t*in­nen haben sich dort zurückgezogen, nachdem die Algorithmen so angepasst wurden, dass Inhalte weniger nach individuellen und politischen Interessen gefiltert wurden, sondern die Feeds geflutet wurden von rechten Bots und Hasspostings. Und was ist mit Instagram, das einmal maßgeblich zur Mobilisierung von Bewegungen wie Black Lives Matter oder Fridays for Future beigetragen hatte? Die Plattform kündigte vor einiger Zeit an, politische Inhalte nur noch dann zu verbreiten, wenn Use­r*in­nen das in ihren Einstellungen ausdrücklich wünschen. Erst kürzlich geriet die in die Schlagzeilen, weil politische Schlagwörter wie „democrats“ zensiert wurden, angeblich ein technischer Fehler.

Für Autorin Ulrike Draesner ist das Unsichtbarste an einer Frau ihre Kraft

Autorin Bianca Jankovska war lange Zeit mit ihrem feministischen Blog „groschenphilosophin“ auf Instagram präsent. Trotz ihrer 10.000 Fol­lo­wer*­in­nen gingen zwischen 2023 und 2024 auf einmal die Like-Zahlen stark zurück, obwohl sie ähnliche Inhalte wie früher produzierte. Auch griff die automatische Sucherkennung nicht mehr, sodass Nut­ze­r*in­nen ihren Account schwerer finden konnten. Das alles habe System, sagt sie heute. „Ich wurde als eindeutig als links zu identifizierender, politischer Account komplett geshadowbanned.“ Ende vergangenen Jahres zog sie sich deshalb von Instagram zurück und schreibt jetzt ihren unabhängigen Blog und vor allem: Bücher.

Wo also sind noch die Räume, in denen Au­to­r*in­nen über sensible Themen wie Gewalt und Diskriminierung berichten können? Ist es am Ende doch wieder das gedruckte Buch? Bei dem Symposium liest Jankovska den Text „Gefangen im BlaBlaCar eines Frauenhassers“, in dem sie erzählt, wie ein Mann sie bei einer Mitfahrgelegenheit bedrohte. Sie schreibe, um Erlebnisse wie dieses zu verarbeiten, sagt sie. Das ideale Medium dafür sei für sie das Buch, das aus ihrer Sicht „die Leerstelle eines Repräsentationsraums schließen kann“, die Twitter und Instagram hinterlassen haben. Für die Autorin Ulrike Draesner bietet die Literatur eine Möglichkeit des Erzählens, das Gewalttaten nicht voyeuristisch darstellt und reproduziert, sondern vom Umgang damit berichtet, vom Weiterleben danach. Über die Recherche ihres Buchs „Die Verwandelten“ sagt sie: „Was ist das Unsichtbarste an einer Frau? Für mich wurde beim Schreiben dieses Buches klar: ihre Kraft.“

Im Publikum erntet sie kräftigen Applaus, denn auch das Symposium scheint ganz im Zeichen einer Sichtbarkeit zu stehen. Man will sich verständigen darüber, diese Geschichten weiterzuerzählen, „Ermächtigungsgeschichten“, wie Draesner sie nennt, obwohl der Backlash immer größer wird.

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