Britische Labour-Regierung in Nöten: Eine Abfolge peinlicher Nachrichten
Die Antikorruptionsministerin tritt zurück. Die Wirtschaftslage ist schlecht, die Umfragenwerte auch. Von Rechts gerät Keir Starmer unter Druck.
Siddiq sagte, eine Untersuchung der parlamentarischen Prüfstelle habe zwar ergeben, dass ihr nichts vorzuwerfen sei – aber sie trete zurück, um keine politische Zielscheibe zu sein. Das war etwas schönfärberisch: Der unabhängige parlamentarische Prüfer Laurie Magnus war zuvor zu dem Schluss gekommen, dass er keine allumfassende Sicherheit bezüglich allen in den Medien genannten Immobilien gewährleisten könne. Es fehlten Aufzeichnungen und die erhobenen Vorfälle lägen schon länger zurück. Erst am Dienstag war zudem bekannt geworden, dass man Siddiq in einer weiteren Antikorruptionsuntersuchung in Bangladesch erwähnt.
Dass ausgerechnet die Antikorruptionsministerin wegen Korruptionsverdacht zurücktreten musste, ist für Labour besonders peinlich. Premierminister Keir Starmer hat immer betont, dass er den immer neuen politischen Skandalgeschichten, welche die Tories in ihrer 2024 beendeten Regierungszeit heimsuchten, mit Selbstverpflichtungen zu hohen Standards ein Ende bereiten wolle. Der Rücktritt erwischt die Regierung in einer Zeit stetig düsterer werdenden wirtschaftlichen und politischen Nachrichten. Die Zeiten, in denen Labour in allen Umfragen klar führte, sind längst vorbei – Labour ist heute kaum beliebter als es die Konservativen in den letzten Jahren ihrer Amtszeit waren.
Profiteur sind nicht die Konservativen, die sich von ihrer verheerenden Niederlage bei den Wahlen im Juli 2024 nicht erholt haben, sondern Reform UK des Rechtspopulisten Nigel Farage. Eine YouGov-Umfrage vom Montag sieht Labour bei 26 Prozent, Reform UK mit 25 Prozent nur einen Punkt dahinter und die Konservativen als dritte Kraft mit 22 Prozent. Die deutliche absolute Mehrheit der Sitze im Unterhaus, die Labour im vergangenen Juli holte, wäre bei solchen Zahlen vorbei.
Kampf gegen Nullwachstum
Zusätzlich kämpft die Labour-Regierung mit Nullwachstum, gekoppelt mit steigenden Zinsen. Die global gestiegenen Anleiherenditen haben die Zinssätze auf britische 30-Jahre-Staatsanleihen in Höhen getrieben, wie es sie zuletzt unter der desaströsen Kurzzeitregierung der konservativen Premierministerin Liz Truss September-Oktober 2022 gab. Gegenüber dem US-Dollar ist das britische Pfund, das sich in den vergangenen zwei Jahren deutlich erholt hatte, auf ein 14-Monats-Tief gefallen, ähnlich wie der Euro.
Immer mehr Kommentatoren fragen sich, ob Labour-Finanzministerin Rachel Reeves noch zu halten ist. Am Dienstag erklärte sie im Unterhaus, dass Notkürzungen im Staatshaushalt notwendig sein könnten, um die finanzielle Lage zu stabilisieren. Reeves, die vor den Wahlen großen Respekt genoss, hatte eigentlich das Vereinigte Königreich in das „Business-freundlichste Land“ mit den höchsten Wachstumsraten unter den G7-Industrienationen verwandeln wollen. Problematisch waren für Reeves von Anfang an Versprechen, die Steuern „arbeitender Menschen“ nicht zu erhöhen, also weder die Lohnsteuer noch die Sozialabgaben oder die Mehrwertsteuer. Als sie stattdessen in ihrem Staatshaushalt im November die Sozialabgaben der Arbeitgeberseite erhöhte und die Erbschaftssteuer auf kleinere Agrarbetriebe ausweitete, erntete sie Zorn.
Außerdem hatte sie die allgemeine Heizkostenbeihilfe für Rentner:innen abgeschafft, was sich die Konservativen nie getraut hatten. Und sie lehnte Hilfen für Frauen ab, die von der Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters im Jahr 2018 finanziell betroffen waren, obwohl Labour das vor den Wahlen versprochen hatte.
Ihre Ausgabenpläne setzten Wirtschaftswachstum voraus, aber da es das nicht gibt und weil Reeves auch versprochen hat, sich strengen finanziellen Regeln zu unterwerfen, kann von ihr auch keine Erhöhung der Staatsschulden durch neue Anleihen erwartet werden. Deswegen dürfte der Rotstift bei bereits genehmigten Ausgaben angesetzt werden. Eine neue Sparpolitik war nicht, was die Brit:innen erwarteten, als sie 2024 Labour an die Regierung wählten.Unter Beschuss steht die Regierung nun vor allem von weit rechts. X-Besitzer und Trump-Berater Elon Musk hat sich auf die britische Labour-Regierung eingeschossen und sich hinter den antii-islamischen Rechtsextremisten Stephen Yaxley-Lennon aka Tommy Robinson gestellt, indem er Robinsons Lieblingsthema der „Grooming Gangs“ aufgriff.
Zur Vergewaltigung angeboten
Gemeint sind damit Männergangs, die sich in zahlreichen kriselnden nordenglischen Städten mit weißen Mädchen aus prekären Verhältnissen und oft in staatlicher Obhut anfreundeten, um sie dann als Vergewaltigungsobjekte anzubieten. Über 50 Männer sind über die Jahre inzwischen wegen dieser Verbrechen hinter Gitter gewandert. In Rotherham, Rochdale, Huddersfield und Oldham waren dies überwiegend Personen mit einem pakistanischen Hintergrund.
Im Mai 2024 gab die damalige konservative Regierung bekannt, man habe allein in den vergangenen 12 Monate 550 Verdächtige festgenommen und 4000 Opfer finanziell unterstützt. Eine siebenjährige umfassende unabhängige Untersuchung war 2022 zu dem Schluss gekommen, es habe wohl „Tausende“ Opfer gegeben und die zuständigen Behörden hätten sich mehr um ihren eigenen Ruf, als um den Opferschutz gekümmert.
Denn neben der ethnisch spezifischen Sachlage in den genannten Städten war dort eines der Merkmale, dass die für die Sicherheit der Kinder zuständigen Gemeindebehörden und Polizeidienste die Gangs gewähren ließen – aus Angst, als rassistisch angesehen zu werden. Die meisten betroffenen Gemeinden sind Labour-regiert. Wo ethnische Zugehörigkeit vermerkt ist, sind laut Polizei zwar 83-85 Prozent aller Straftäter in „Grooming-Fällen“ weiße Briten – aber das schließt Gangs mit ethnischen Merkmalen nicht aus und bestätigt aus Sicht der Rechten nur, dass man vor nichtweißen Tätern die Augen verschließe.
Da Starmer als britischer Generalstaaatsanwalt 2008 bis 2013 für einige der Fälle in Nordengland zuständig war, begann Musk, ihn auf X zu beschimpfen. Es folgte eine politische Schlammschlacht: Die Konservativen verlangten eine neue Untersuchung, die Regierung wies das zurück, mit dem Argument, es werde für die Opfer länger dauern, bis sie Gerechtigkeit erführen. Am Montag brach schließlich die Labour-Abgeordnete für Rotherham Sarah Champion, die sich seit über zehn Jahren für die Opfer einsetzt, mit der Parteilinie und forderte ebenfalls eine neue Untersuchung.
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