Berichterstattung zur Bundestagswahl: Panikmache und Geschmacklosigkeit
Der Wahlkampf ist eigentlich eklig genug. Doch dann stoßen auch noch Formulierungen auf, die mit Sprache wenig zu tun haben.
D er Planet schmiert ab, Deutschland wählt neu, und die Medien haben an der Misere natürlich einen Anteil. Nicht nur, weil sie gewalttätigen Männern mehr Aufmerksamkeit geben als den guten Ideen, wie die Welt noch zu retten wäre, sondern auch, weil ihre Sprache oft unappetitlich ist. Linke Medien bilden da leider keine Ausnahme.
Als Erstes fällt auf, in welchem Brustton der Überzeugung viele Journalisten schreiben, wer die nächste Regierung bildet, obwohl – Umfragen belegen das – noch einiges offen ist. „Im Frühjahr wird es eine schwarz-rote Regierung geben oder eine Kenia-Koalition, auch andere Farbkombinationen sind möglich“, heißt es etwa in der lesenswerten Monatszeitschrift konkret. Was denn jetzt? Wie wär’s mit etwas mehr Konjunktiv und weniger Spekulation?
Noch mehr nervt nur die Panik, die durch Buzzwords wie „Angst“, „Feuer“, „Erpressung“ erzeugt wird. Mag sein, dass Merz Kanzler wird, er ist rechts, klar, verschlechtern sich dann Dinge. Aber ob die Welt untergeht? Eher nicht.
Empfohlener externer Inhalt
Den Wahlkampf prägen bestimmte Gewalttaten. In Berichten darüber belästigen Journalist:innen ihr Publikum oft mit sinnlosen Adjektiven. Besonders vernarrt sind sie zurzeit in „geltendes Recht“, gegen das abwechselnd Attentäter und Behörden verstoßen. Gegen welches Recht denn sonst, gegen ungültiges?
Wie wäre es mit zwei Quellen
Dass bei Adjektiven weniger mehr sein kann, gilt auch für Sätze wie diese: „Die politischen Reaktionen auf den tödlichen Messerangriff mutmaßlich eines offenbar psychisch kranken …“ Viele relativieren sich lieber tot, als eine Klage zu riskieren. Teils ist das nötig und angebracht. Aber an vielen anderen Stellen könnten Journalist:innen das „wohl“ oder „offenbar“ weglassen, würden sie über Fakten berichten, für die sie zwei Quellen haben.
In die Kategorie unnötig fällt auch das Adjektiv „zuständig“, das Journalist*innen ein für alle Mal aus ihrem Wortschatz verbannen sollten. Der Deutschlandfunk berichtete am Dienstag etwa über das von RTL geplante TV-Duell vor der Wahl: „Der zuständige Chefredakteur Kohlenbach teilte mit, man werde neben Scholz und Merz auch die Spitzenkandidaten von AfD und Grünen, Weidel und Habeck, einladen.“ Ist doch klar, dass er zuständig ist und nicht die Putzfrau oder die Praktikantin (leider, denn die hätten sicher eine vernünftigere Entscheidung getroffen). An anderer Stelle, etwa bei „von Armut betroffenen Jugendlichen“, sehnt eine sich hingegen nach einem schlichten Adjektiv: arme Jugendliche.
Die Sprachanalyse belegt vor allem eins: Marx hatte recht. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Selbst sprachverliebte, liberale oder idealistische Autor:innen brauchen Geld. Warum sonst schreiben sie Dinge wie „vor Ort in Bautzen“ statt einfach „in Bautzen“? Das sind nur zwei redundante Wörter, aber seien Sie gewiss, so was läppert sich! Wegen der lausigen Honorare, insbesondere bei Medien wie der taz, plustern manche freie Journalist*innen ihre Texte auf. Sie wollen Zeilen schinden, lautet der Vorwurf vieler Redaktionen. Und er stimmt (oft). Bleibt die Frage: Wieso streichen die den Krempel dann nicht? „Keine Zeit!“ Stimmt auch (oft).
Die gleiche „Motivlage“ könnte hinter „Routenführungen“, „Tathergang“ oder „Präventionsarbeit“ stecken, bei denen wir auf das zweite, substanzlose Substantiv gern verzichten würden. Ekel erregt substantivischer Stil, in dem zum Beispiel „Verteilungen erfolgen“, statt dass jemand etwas verteilt. Aber auch für eine verbale Formulierung müsste man ja recherchieren, wer das Subjekt ist!
Wie scharf darf es sein?
Kontexte, Lagen, Mobilisierungen, Infrastrukturen – sind Sie schon ausgestiegen? Oder fragen auch Sie sich, wieso abstrakte Substantive in den Plural gesetzt werden sollten? Die Bildungseinrichtung bekommt jedenfalls nicht mehr Geld, nur weil an ihre Finanzierung noch jemand großzügig ein „en“ anhängt.
Spicy wird es beim Thema Migration. Nicht wegen provokanter Inhalte – was soll einen noch schocken –, sondern im Wortsinn. So wie fast alle Medien titelt etwa die Süddeutsche Zeitung „Schärfe bei der Zuwanderung“ und auch die taz fürchtet sich ständig vor „Verschärfungen“. Es mag Geschmackssache sein, aber „Schärfe“ ist für viele positiv konnotiert, sie denken an leckeres, mit Chili gewürztes Essen. Tatsächlich geht es um Repression, Vertreibung, Verfassungsbruch oder Verstöße gegen internationale Verträge.
Oft sind Adjektive komplett falsch: Trump geht nicht, wie ständig behauptet, gegen „illegale“ Einwanderer vor. Da hilft auch nicht, wenn Linke, die sich politisch korrekt ausdrücken wollen, statt des rechten Kampfbegriffs das Wort „irregulär“ nutzen. Es bleibt falsch. Denn Trump geht gegen alle Eingewanderten vor.
An die Schmerzen, die die falsche Übersetzung des englischen Worts für Regierung auslöst – manche sagen doch wirklich auf Deutsch „Administration“ – hat man sich schon gewöhnt. Geschichtsvergessen, aber schon zu tief eingebrannt, um sie noch einmal aus den Köpfen zu kriegen, dürfte auch die falsche Übersetzung des englischen „libertarian“ sein, wie sie neulich sogar im tollen Podcast „Wohlstand für alle“ zu hören war. Das sind autonome Nationalisten oder Rechtslibertäre. Aber ganz bestimmt keine „Libertären“! Der Begriff sollte der anarchistischen Bewegung vorbehalten bleiben, deren Haltung rein gar nichts mit der von rechten Amis zu tun hat.
Süße Doppelmoppelungen
„Wieso er … nicht zu zeitgenössischeren Formen der Maskierung vordringt, wie bei Autonomen oder Zapatist:innen“, ist genauso fragwürdig wie die Steigerung des Adjektivs „zeitgenössisch“. Kunstfreiheit hin oder her, das ergibt einfach wenig Sinn, genauso bei „tot“ oder „aktuell“.
Süß sind Doppelmoppelungen wie der „singuläre Hauptfeind“ oder die Bürgermeisterin, die „knapp“ an der Mehrheit „vorbeischrammt“ – vorbeischrammen beinhaltet bereits, dass es knapp war. Lustig sind unabsichtliche Doppeldeutigkeiten wie hier im DLF: „Ich habe mit all meinen Kollegen gesprochen, auch über die Feiertage.“ Ach, und was halten die von Weihnachten?
Aufgepasst auch mit Ausländisch, vor allem, wenn man es nicht beherrscht! Gewollt elegant formuliert der Vorwärts „Dann wäre nämlich das Schengensystem adé.“ Gemeint war wohl: „passé“. Schadé! Überrascht sein durfte man umgekehrt von der Wirtschaftsredaktion des DLF, die sich in einem Bericht über Elon Musk zum Kraftausdruck „versauen“ hat hinreißen lassen.
Benutzt ein Journalist mal ein Verb, kann man sich eigentlich freuen. Aber Vorsicht! Es sollte passen. Nach einem Terroranschlag durch eine Stadt zu „flanieren“ – was mit Entspannung und guter Laune konnotiert ist –, erscheint unpassend. Und wenn Zeitungen schreiben, die Rechten „versuchen“ Taten zu instrumentalisieren, ist denen das oft längst gelungen, das Verb „versuchen“ also fehl am Platz.
Manchmal muss man beim Zeitunglesen auch lachen. Die Leserin, die mitbekommen hat, dass SPD und Grüne Teil der Ampel-Regierung waren, fragt sich zum Beispiel, wieso diese fast jede Asylrechtsverschärfung „mittrugen“. Na ja, jeder hat eben sein Päckchen zu tragen. Ärgerlich ist, wie viel Olaf Scholz derzeit in den Medien „fordert“, ohne dass Journalist*innen mal nachfragen, warum der Mann, der immerhin Bundeskanzler ist, diese Dinge nicht umsetzt.
Wer Dadaismus will, geht ins Museum
In Interviews liest man seit einer Weile auch andauernd die Frage: „Was hat das mit dir gemacht?“ Verzeiht man noch, dass den Fragenden kein aussagekräftigeres Verb eingefallen ist, so machen einen spätestens die Antworten sauer. Sie sind entweder inhaltsleer oder gelogen. Kein Wunder! Würden Sie der Öffentlichkeit das Gleiche erzählen wie ihrem Therapeuten? Wohl kaum.
Man kann das ja probieren, aber wenn die Antworten uninteressant sind, sollten Journalist*innen den Part weglassen. Noch nerviger als diese Frage ist eigentlich nur, dass die rechte NZZ genau darüber schon mal einen Rant veröffentlicht hat – mit dem sie wohl leider recht hat. Die Zeitung aus der Schweiz hat für Fortschritt oder Veränderung, auch in der Sprache, eher wenig übrig.
Aufgeklärten stößt an derartigen Formulierungen das Gefühl auf, für dumm verkauft zu werden. Wer Dadaismus will, geht ins Museum. Schuld an der Fehlentwicklung ist natürlich die SPD. Statt ausreichend Betreuungsplätze haben Leute wie Franziska Giffey lieber Kindersprache eingeführt, Stichwort „Gute-Kita-Gesetz“. Dass die Familienministerin es mit der Sprache nicht so hatte, wusste man bereits, nicht mal zitieren hat sie in ihrer Dissertation hinbekommen. Das sollten Journalist*innen nicht übernehmen.
Aber oft ist es auch umgekehrt. Egal, was für einen Stuss Politiker reden, klammern sie sich an jedes Wort und müllen damit die Zeitung zu. Ist das Angst oder Unterwürfigkeit? Übersetzt man Zitate in verständliches Deutsch – und lässt sie autorisieren –, merken die meisten das gar nicht oder bedanken sich sogar.
In einem DLF-Beitrag war neulich die Rede von einer „Erzählung“. Aber es hätte Bericht heißen müssen! Eine Erzählung kann Fiktives enthalten, ein Bericht enthält allein Fakten und wahre Begebenheiten. Vielleicht war das falsch übersetzt. Aber an diesen Stellen müssen Journalist*innen genauer hinsehen, mutiger sein und falsche Ausdrücke – auch in Zitaten – korrigieren, wenn die Medien nicht noch weiter an Glaubwürdigkeit verlieren wollen!
Den vorläufigen Höhepunkt des Dadaismus erreichte die „Tagesschau“ gleich am ersten Tag dieses Jahres. Nachdem der Moderator bereits alles berichtet hat, was zu diesem Zeitpunkt bekannt war, sagt er: „Jan Koch beobachtet für uns (für wen denn sonst?) die Lage in New Orleans. Gibt es mittlerweile weitere Informationen zum Tathergang?“ Darauf antwortet der Korrespondent: „Immer wieder kommen neue Informationen dazu. Es gibt jetzt auch eine weitere neuere Information …“ Wer sich da nicht vollends veräppelt fühlen will, dem bleibt nichts, als zu hoffen, dass die Beteiligten in der Nacht zuvor eine wilde Silvesterparty gefeiert haben.
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