piwik no script img

Es könnte kippen

Im Dezember wurde die rumänische Präsidentschaftswahl wegen russischer Einflussnahme annuliert, im Mai stehtdie Wiederholung an. Ob der Sieger der ersten Runde, der rechtsextreme Călin Georgescu, wieder antreten darf,ist unklar. Seine Anhänge­r*in­nen wittern einen Komplott. Indes fürchten westlich orientierte Bür­ge­r*in­nen einen faschistischen Präsidenten

Sie wollen den rechts­extremen Călin Georgescu: Proteste gegen die Annullierung der Präsidentschaftswahl am 10. Januar in Bukarest Foto: Robert Ghement/epa

Aus Bukarest Jean-Philipp Baeck

Für einen kurzen Moment wird Irina Ilisei emotional. Als sie davon erzählt, wie sie im November hörte, dass der Rechtsextremist Călin Georgescu die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Rumänien gewonnen hat, sieht man ihr an, wie sehr sie dieses Thema bis heute mitnimmt. Ilisei war auf dem Weg zu einer Konferenz in Neapel, so erinnert sie sich. Die 39-Jährige gehört zu den international vernetzten Akademiker*innen, die wohl überall arbeiten könnten, aber die es doch immer wieder zurück in die Hauptstadt Bukarest zieht. „Ich habe damals kurz überlegt, ob ich weiter in Rumänien leben kann“, sagt sie. „Ich war geschockt.“

An einem ungewöhnlich milden Tag Ende Dezember sitzt Ilisei in einem Café unweit der Bukarester Altstadt. Hier gibt es Hipster mit Laptops, ­Pumpkin Pie und Flat White. Man wird gefragt, ob es Kuh- oder Hafermilch sein soll – ähnliches Ambiente wie in Berlin und ähnliche Preise. Ilisei hat ein Diplom in Soziologie, einen Master in Gender- und Minderheitenpolitik und eine Promotion, in der sie die Teilhabemöglichkeiten der Roma an höherer Bildung untersuchte. Stationen ihres Studiums führten sie nach Stuttgart, Mannheim, Bukarest und Budapest. Als Aktivistin für Feminismus und die Rechte der Roma ist ihr Name in Rumänien nicht unbekannt. Sie steht für alles, was Rechte hassen. Und genau das macht ihr Sorgen.

Ilisei fühlt sich an eine Zeit vor rund zwei Jahren erinnert, als sie schon einmal den Hass der Rechten spürte, genauer: an den 6. Dezember 2022. Sie weiß das Datum deshalb noch so genau, weil die Ereignisse für sie so einschneidend waren.

Damals verfasste sie mit ein paar Mit­strei­te­r*in­nen eine Handreichung für Lehrer*innen. Gerade einmal 200 Exemplare seien gedruckt worden, um diversere Bildung sei es gegangen, um Vorschläge für mehr weibliche Au­tor*in­nen im Rumänischunterricht, um Geschlechtergerechtigkeit, Stereotype und Diskriminierung. „Das Thema LGBTQ kam nur selten vor, es war nicht mehr als ein Randaspekt“, sagt sie. Doch das Heft sorgte für Aufruhr. Infoveranstaltungen wurden von Protestierenden gestört, aufgestachelt durch eine rechte Elternvereinigung, die ein traditionelles Familienbild in Gefahr sah. Der letzte Auftritt von Ilisei in Bukarest an jenem 6. Dezember konnte nur unter Bewachung durch Sicherheitskräfte stattfinden.

„Ich habe mich damals persönlich unsicher gefühlt, und dieses Gefühl kam nach Georgescus Sieg wieder hoch“, sagt Ilisei. „Mir wurde klar, dass der ganze Fortschritt, den wir bei Menschenrechten und sozialer Inklusion im Zuge der EU-Integration in Rumänien erreicht haben, in ein paar Wochen zunichtegemacht werden könnte.“

Georgescu, der Rechtsextremist, hatte sich im November in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl überraschend als parteiloser Einzelbewerber gegen 13 Kan­di­da­t*in­nen durchgesetzt. Er überholte auch George Simion, den Anführer der rechtsextremen Partei AUR, die seit ihrer Gründung 2019 im Aufwind war.

Das war ein Schock innerhalb des Landes für die EU-freundliche Mehrheit und die engagierte Zivilgesellschaft – für Romaaktivist*innen, Ver­tre­te­r*in­nen der Minderheiten und in den jüdischen Gemeinden, für An­ti­fa­schist*in­nen und Queers – sowie außerhalb Rumäniens in den Nachbarstaaten und bei Bündnispartnern: In dem Land mit rund 600 Kilometern Grenzverlauf zur Ukraine bestimmt der Präsident unter anderem die Außen- und Verteidigungspolitik. Schon vor der Wahl hatte Georgescu Ru­mä­niens Rolle in der EU und Nato kritisiert. Er will die Militärhilfe für die Ukraine einstellen, betont reaktionäre Familienwerte und orthodoxes Christentum, leugnet den menschengemachten Klimawandel und verbreitet Verschwörungstheorien. Er findet Lob für Putin und erklärte antisemitische Protagonisten des rumänischen Faschismus aus der Zeit vor 1945 zu Helden.

Beeinflusster Wahlkampf

Doch Georgescus Wahlsieg war nur der Anfang einer Kaskade an Katas­trophenmeldungen, die Rumäniens Demokratie seitdem erschüttern.

Zwei Tage vor der Stichwahl zwischen Georgescu und Elena Lasconi, der neoliberalen Zweitplatzierten der Mitte-rechts-Partei USR, entschied das rumänische Verfassungsgericht, die Wahl zu annullieren. Das Gericht begründete diese Entscheidung mit Geheimdiensterkenntnissen über eine massive Beeinflussung des Wahlkampfs durch Russland: Eine Armee an Bots soll demnach auf der Social-Media-Plattform Tiktok tausendfach für den Rechtsextremisten geworben haben. Dieser streitet die Vorwürfe bis heute ab, ebenso Russland.

Dann, Ende Dezember, folgte die nächste Meldung: Laut einer Recherche des Portals Snoop.ro soll eine Kampagne auf Tiktok, die eigentlich von der liberalen Partei PNL bezahlt war, tatsächlich für Georgescu geworben haben. Entweder wurde die PNL-Kampagne von Unbekannten „gekapert“, wie die Partei offiziell beteuert, oder Parteistrategen erhofften sich einen Vorteil davon, dem damals aussichtsreicheren rechten Kandidaten Simion Stimmen zu klauen.

Hört man sich auf der Straße um, sprechen viele Menschen darüber, dass sie dabei sind, das Vertrauen in die Demokratie zu verlieren. Seit knapp zweieinhalb Monaten kommt das Land nicht zur Ruhe. Zunächst demonstrierten Tausende aus der proeuropäischen Mehrheit gegen den Rechtsruck, dann protestierten die Rechten gegen die Absage der Wahl.

Erst Mitte Januar zogen Zehntausende Anhänger Georgescus durch die Hauptstadt. Mit Tröten und einem Meer aus Nationalfahnen forderten sie die Rücknahme der Annullierung und den Rücktritt des amtierenden Präsidenten Klaus Iohannis. Dessen Amtszeit endete offiziell am 21. Dezember. Manche trugen Holzkreuze vor sich her, andere vergoldete Rahmen mit Ikonenbildern oder Plakate mit der Aufschrift „Demokratie ist nicht optional“. Angemeldet wurde die Demo von der rechtsextremen Partei AUR. Deren Anführer George Simion diktiert an jenem Tag der Presse seine Sicht der Dinge in die Mikrofone und nennt die Gerichtsentscheidung einen „Staatsstreich“ – ein Wort, das derzeit vielen Rumänen auf der Zunge liegt.

Auch Constantin Ciobanu sieht das so. An einem Abend Ende Dezember posiert er am zentralen Bulevardul Nicolae Bălcescu vor dem Bukarester Nationaltheater. „Erwache, Rumäne“ scheppert aus zwei batteriebetriebenen Lautsprechern vor seinen Füßen – die Nationalhymne. Ciobanu steht stramm, verzieht keine Miene und schaut auf die gegenüberliegende Geografische Fakultät der Universität Bukarest. Eine Frau im Pelzmantel schlendert vorbei, verlangsamt kurz ihren Schritt, nickt und zieht von dannen.

Mit einer Mitstreiterin protestiert Ciobanu in dieser Woche an fast jedem Abend hier, eine Zweipersonendemo, mal vor dem Nationaltheater, mal 15 Gehminuten entfernt die Straße hinunter am großen Kreisel der Piața Romană. Ein Flugblatt verzeichnet alle weiteren Termine bis Mitte Februar. Er arbeite in der IT-Branche und könne sich das leisten, erklärt er, „es geht mir gut“. Auf mehr als einem Dutzend Plakataufstellern, jeweils links und rechts mit rumänischer Fahne geschmückt, versammelt Ciobanu seine Forderungen: „Treten Sie zurück, Mr Volodymyr Zelenskyy!“, „Unsere Kinder sind keine Versuchskaninchen für Big Pharma“ und „Wir verteidigen das Konzept der traditionellen Familie“.

In Deutschland würde man ihn wohl als eine Art „Querdenker“ bezeichnen, als lunatic fringe, wie man sie aus vielen Städten kennt: Friedensmahnwache, russlandfreundlich, irgendwas mit Corona und Impfungen. In Rumänien haben Leute wie Ciobanu nun aber mit Georgescu einen Kandidaten, der die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewann.

Nach etwa zwei Minuten beugt Ciobanu sich herunter, drückt einen Knopf und beendet die Wiedergabe der Nationalhymne. Jetzt ist er nicht mehr zu halten. In zwei Mikrofone gleichzeitig, eines für jeden Lautsprecher, schmettert er seine Parolen. „Wir Rumänen wünschen uns Frieden: Frieden in Gaza, Frieden in der Ukraine!“ Seine Stimme wirkt dabei verzerrt und ist mit künstlichem Hall unterlegt.

Selbstverständlich unterstütze er Călin Georgescu, sagt Ciobanu. „Der ist nicht für Putin, sondern will verhandeln.“ Hier, an diesem Platz, habe er schon während der Revolution von 1989 gestanden, habe Barrikaden errichtet gegen den stalinistischen Diktator Nicolae Ceaușescu. „Ich habe mein Leben für die Freiheit riskiert, die will ich mir nun nicht nehmen lassen.“ Die Präsidentschaftswahl sei auf Anweisung der USA annulliert worden, erklärt er und hört nun gar nicht mehr auf. Die LGBTQIA+-Bewegung sei „vom Okzident“ nach Rumänien geschwappt. Er spricht von „Globalisten“ und angeblicher Manipulation durch die Massenmedien. Informieren könne man sich nur noch über Realitatea. Dieser Sender ist dafür berüchtigt, Verschwörungstheorien und Desinformation zu verbreiten und Georgescu zu unterstützen.

„Mir wurde klar, dass der ganze Fortschritt, den wir bei Menschen­rechten und sozialer Inklusion in Rumänien erreicht haben, in ein paar Wochen zunichtegemacht werden könnte“

Irina Ilisei, Wissenschaftlerin

Ciobanu, der in weißem Hoodie und weißem Tommy-Hilfiger-Cap seine Schlagwörter abspult, belegt mit seinen Parolen, wie sich der rhetorische Baukasten rechtsextremer Ideologie international vereinheitlicht hat: Angepasst an regionale Diskurse, tauchen die immer gleichen antisemitischen, rassistischen oder antifeministischen Tropen auf. Sie paaren sich mit Verschwörungsglaube und Angriffen auf die universellen Menschenrechte, getarnt als Ablehnung westlicher Dominanz.

Vor dem Nationaltheater bekommt Ciobanu viel Zuspruch: Die Leute nehmen Flugblätter oder rumänische Fähnchen mit und fotografieren sich vor seinen Protestplakaten. Rechtsextreme Parteien haben bei der Parlamentswahl am 1. Dezember zusammen über 30 Prozent der Wäh­le­r*in­nen­stim­men erreicht, Georgescu kam bei der Wahl zuvor auf 23 Prozent.

Irina Ilisei ist fassungslos, wenn sie über die Wahlergebnisse nachdenkt. Sie berühren sie als Aktivistin, aber beschäftigen sie auch als Wissenschaftlerin. „Ich konnte nicht glauben, dass ein so großer Anteil der Bevölkerung einen Menschen wählt, der tatsächlich ein misogynes Weltbild vertritt und beispielsweise meint, Frauen sollten nicht die gleichen Jobs machen dürfen wie Männer.“

Auswertungen zeigen, dass Georgescu in den ländlichen und vor allem suburbanen Gebieten größere Zustimmung erhielt. Gleichzeitig erzielte Georgescu laut Analysten Erfolge bei jungen Wähler*innen. Videos auf Tiktok sprachen junge Männer an. Es ist eine Bubble, die einen chauvinistischen Fitnesskult pflegt und etwa dem frauenverachtenden Influencer und Zuhälter Andrew Tate folgt. Seit 2016 lebt dieser in Rumänien, hat mehr als zehn Millionen Follower auf der Plattform X, Kontakte zu weltweit agierenden rechtsextremen Figuren wie zur organisierten Kriminalität. Dieser Tage verkündete der deutsche AfD-Politiker Maximilian Krah an, sich mit ihm treffen zu wollen. In Rumänien sind Tate und sein Bruder unter anderem wegen Kinderhandels, sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und Geldwäsche angeklagt, in Großbritannien zudem wegen Vergewaltigung und Steuerhinterziehung.

Auf Tiktok habe es vor der Wahl sehr unterschiedliche Ansprachen der Nut­ze­r*in­nen durch Georgescu gegeben, erklärt Ilisei. Nicht allen sei beispielsweise direkt LGBTQIA+-feindliche Propaganda angezeigt worden. Dass sich bei Anhängern wie Ciobanu die Themen aber wild mischten, wundert sie nicht. Seit der Coronapandemie habe sich die Szene der Impf­kri­ti­ke­r*in­nen und Vi­rus­leug­ne­r*in­nen auch in Rumänien neu formiert und anderen Themen zugewandt, etwa dem Schutz der vermeintlich traditionellen Familie, verbunden mit einem Kampf gegen die queere Community.

Dass im November sowohl Geor­gescu wie die Zweitplatzierte Elena ­Lasconi Erfolg hatten, scheint zudem kein Zufall. Beide inszenierten sich als Gegenentwurf zum Muff der bisherigen Regierung aus nationalliberaler PNL und sozialdemokratischer PSD, deren Ver­tre­te­r*in­nen viele als korrupte Machtelite betrachten. Rumänien hat sich in den letzten Jahren gesellschaftlich und wirtschaftlich stark entwickelt. Gleichzeitig gilt das Land weiterhin als eines der ärmsten der EU, und beispielsweise gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden immer noch nicht anerkannt. Insbesondere auf dem Land vermissen Menschen eine Umsetzung politischer Versprechen.

Die soziale Spreizung in dem Land ist enorm. Während man in der IT-Branche von Bukarest mittlere vierstellige Eurobeträge verdienen kann, lag das Durchschnittsnettoeinkommen in Rumänien 2023 für Familien mit zwei Kindern und einer verdienenden Person bei umgerechnet knapp 1.000 Euro monatlich und ist in der Landwirtschaft noch geringer. Ein Viertel der Bevölkerung hat kein fließendes Wasser, vor allem auf dem Land. „Es gibt nach wie vor auch eine starke Korrelation zwischen Armut und der Zugehörigkeit zur Romaminderheit“, erklärt Ilisei. Diese treffe ein Teufelskreis tradierter Diskriminierungen. Auch einige Roma hätten Georgescu gewählt. „Er inszenierte sich als unabhängig, wie ein Retter“, sagt sie, „mit traditionellen Familienwerten und klarer Orientierung.“ Menschen, die am Rand der Städte seit Jahren darauf warteten, dass auch in ihren Vierteln die Straßen befestigt würden, hätte das angesprochen.

Irina Ilisei im Parcul Tineretului in Bukarest Foto: Jean-Philipp Baeck

Einen Abend nachdem Ciobanu den Platz vor dem Nationaltheater mit seinen Mikrofonen beschallt hat, bücken sich 50 Meter weiter zwei junge Männer an einer Kreuzung. Sie sehen sportlich aus. Der jüngere, etwa 20-jährig, trägt einen schwarzen Pullover, eine Cargohose und Militärstiefel, der ältere Jeans, Sneaker und eine schwarze dünne Allwetterjacke. Schon von Weitem riecht es nach Lösungsmitteln.

Rechtsextreme Sprayer stören niemanden

Der Mann in Jeans hält eine Stencilschablone auf den Boden und drückt auf eine Spraydose. „Gehen sie langsam und mit Respekt, hier starben Menschen für die Freiheit“, sprüht er in ­roter Farbe auf den ­Zebrastreifen. Weder den Wachmann direkt daneben noch die vorbeischlendernden Passanten scheint die Aktion zu stören. „Wir erinnern an die Kämpfe vor 35 ­Jahren an genau dieser Stelle“, erklärt der Mann. Wie Ciobanu bezieht er sich auf die anti­stalinistische Revolution gegen den Diktator Ceaușescu, die sich hier am Bulevardul Nicolae Bălcescu vor 35 Jahren abspielte.

„Ja, wir sind von Honor et Patria“, erklärt er auf Nachfrage. Honor et ­Patria heißt übersetzt Ehre und Vaterland und ist der Name einer rechtsextremen Gruppe von Fußballultras, die ausschließlich das rumänische Nationalteam unterstützen. Der Mann mit der Spraydose trägt das verschlungene Emblem der Gruppe als dezente Stickerei auf seiner Mütze. Auch George Simion, der Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen Partei AUR, war früher bei Honor et Patria aktiv.

Sie betrieben mit der Gruppe keine Politik, sagt der Mann, zumindest nicht im Sinne von Parteien und Parlamenten: „Wir machen Metapolitik.“ Weltweit verstehen neue Rechte unter diesem Wort ein Konzept, mit dem die Menschen kulturell und im vermeintlich „vorpolitischen“ Raum erobert werden sollen. Metapolitik zielt darauf ab, den gesamten Diskurs einer Gesellschaft nach rechts zu verschieben.

Constantin Ciobanu demonstriert vor dem rumänischen Nationaltheater Foto: Jean-Philipp Baeck

Und die Präsidentschaftswahl? „Ein Staatsstreich“, sagt der Mann mit der Spraydose – auch er nutzt dieses Wort. Für ihn sei Georgescu zwar etwas unangenehm rübergekommen, aber letztlich hätten ihn viele Menschen gewählt, mehr jedenfalls als George Simion von AUR, der als Favorit der Rechten galt. „Georgescu verbreitet hoffnungsvolle Botschaften“, erklärt der Mann. Er sage nicht, welche Politik er mache, sondern Sätze wie „Wir gestalten die Zukunft“. Vielleicht wirke ­Georgescu mit den Videos, die den Menschen über Tiktok direkt aufs Handy gespielt werden, authentischer als Simion, der im Fernsehen mittlerweile neben den ­Politikern der anderen Parteien auftrete, mutmaßt der Sprayer. „Vielleicht ist ­Simion zu sehr Mainstream geworden“.

Der AUR-Politiker hatte in letzter Zeit versucht, seiner Partei ein gemäßigteres Image zu verleihen mit realpolitischen Botschaften etwa zu Grundstückspreisen. „So was haben die Leute eben schon zu oft gehört, und nie ist etwas passiert“, erklärt der Mann. Dann verabschiedet er sich, die Sprayer haben noch einiges vor: Am Ende des Abends werden alle Zebrastreifen rund um den Platz verziert sein.

Es sind Gruppen wie Honor et ­Patria, aber auch zahlreiche weitere rechtsex­treme Vereinigungen, die Irina Ilisei und anderen progressiven Ak­ti­vist*in­nen in Rumänien Angst machen. Der Erfolg von Georgescu scheint diese Gruppen zu befeuern. Nur wenige Tage, nachdem er im November die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewann, häuften sich Meldungen von Drohungen gegen Menschenrechtsorganisa­tio­nen und NGOs. Beispielsweise wurde die Büroadresse der LGBTQIA+-Organisation MozaiQ nach der Wahl auf einer rechtsextremen Seite veröffentlicht. Ein Vertreter der Organisation berichtet, dass daraufhin mehrere dunkel gekleidete Gestalten nachts das Haus ausspioniert hätten. MozaiQ registrierte in den zwei Wochen nach der ersten Wahlrunde zudem eine Kampagne in den sozialen Medien mit Tausenden homo­feindlichen Posts, die die NGO dem Lager von Georgescu zuschreibt.

Auch die Organisation Roma for ­Democracy Romania berichtete im Dezember von rassistischen, ro­ma­feind­lichen und antisemitischen Botschaften und Todesdrohungen gegen ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen. Auf Fotos, die ihnen zugeschickt wurden, posierten Vermummte mit Waffen und dem Symbol der faschistischen Legionärsbewegung von vor 1945. Dieses prangte auch auf den Armen mancher, die sich auf Fotos neben Georgescu ablichten ließen.

Wiederholt werden soll die Präsidentschaftswahl nun am 4. und 18. Mai. Ob Georgescu da erneut antreten darf, ist noch unklar. Ruhiger wird es bis dahin in Rumänien vermutlich nicht. Geholfen haben die Wirren um die Wahl letztlich wohl vor allem dem rechtsextremen Lager.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen