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Suche nach Long-Covid-TherapieStochern im Ungewissen

Sogenannte Autoantikörper sollen Long Covid mitverursachen. For­sche­r*in­nen wollen nun verhindern, dass sie entstehen – oder sie unschädlich machen.

Wenn die Behandlung von Long Covid doch bloß so einfach wäre wie ein Corona-Schnelltest. Foto aus dem Bildband „Call it Corona“ Foto: Steffen Oliver Riese

Berlin taz | Zwei Tierversuche nähren die Hoffnung, das Rätsel um die Krankheitsmechanismen von Long Covid zu lösen. Vor einigen Monaten hatten zunächst Wissenschaftler aus Amsterdam Autoantikörper aus dem Blut von Patienten auf Mäuse übertragen.

Kurz darauf veröffentlichten US-Forscher ein ganz ähnliches Experiment, ebenfalls als Preprint, also noch nicht unabhängig begutachtet. In beiden Studien lösten die Autoantikörper in den Mäusen dieselben Symptome aus wie bei Long-Covid-Patienten – etwa Konzentrationsmängel, Gleichgewichtsprobleme oder ein erhöhtes Schmerzempfinden.

Autoantikörper sind fehlgeleitete Proteinstrukturen, die sich gegen körpereigenes Gewebe richten. Bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose spielen sie eine große Rolle, und auch als Ursache für einen Teil der Long-Covid-Beschwerden sind sie im Gespräch. Die Mäusestudien stützen diese Hypothese – und die wissenschaftlich dominante Auffassung, dass postvirale Syndrome organisch und nicht psychisch bedingt sind.

Für Carmen Scheibenbogen, Professorin für Immunologie an der Berliner Charité, sind die Studien „richtungsweisend“. Scheibenbogen leitet die Nationale Klinische Studiengruppe, einen Verbund von Universitäten, der Therapien für Betroffene von Long Covid und der Multisystemerkrankung ME/CFS entwickeln soll. Mindestens 2,4 Millionen Menschen in Deutschland sollen von Long Covid betroffen sein.

Editorial: 5 Jahre Corona

Superspreader. Impfdurchbruch. Impfneid. Herdenimmunität. Geisterspiele. Osterruhe. 1G. 2G. 3G plus. Maskenmuffel. Booster. Helden des Alltags. Covidioten. Na, was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese Begriffe lesen? Beklemmung, Abwehr – oder etwa Nostalgie? Der Beginn der Covid-19-Pandemie jährt sich zum fünften Mal, und während die taz-Redaktion normalerweise sehr begeisterungsfähig ist für Sonderseiten zu Jahrestagen aller Art, liefen die ersten Planungsrunden hier eher schleppend an.

Corona? Danke nein, da halten die Leute am Kiosk ganz freiwillig mindestens anderthalb Meter Abstand. Zu nah, zu schmerzhaft, zu kacke war diese Zeit, die Lücken in Familien und Freundeskreise riss, weil jemand starb oder sich abwandte. Die nachweislich bei vielen Spuren in der Psyche hinterließ, insbesondere bei jungen Menschen. Die Krankheitsverläufe hervorbrachte, die den Alltag vieler Menschen auch heute noch massiv einschränken.

Wie also würdigen, dass fünf Jahre vergangen sind – so, dass man es auch lesen will? In Brainstormingrunden kamen wir auf die wildesten Ideen. Wie wär’s denn mit Corona-Sonderseiten, auf denen wir Corona nicht erwähnen? Alles irgendwie auf der Metaebene verhandeln, mit einer Reportage aus einem Ort, an dem es Corona nie gab (dem polynesischen Inselstaat Tuvalu zum Beispiel) oder ein Interview mit Christian Drosten führen, aber übers Fliegenfischen und die Trendfarbe der Saison (ein warmer Braunton).

Wir haben Christian Drosten dann tatsächlich angefragt – nachdem wir eingesehen hatten, dass die Pandemie ausreichend offene Fragen hinterlassen hat, um sich in einem Dossier ernsthaft mit ihr zu beschäftigen. Und so spricht unsere Gesundheitsredakteurin Ma­nue­la Heim mit Deutschlands bekanntestem Virologen über im Labor erzeugte Viren und warum zu seiner Verwunderung auch 2025 noch immer kein Beleg dafür vorliegt, dass die Pandemie einen natürlichen Ursprung hatte.

In einer langen, sehr persönlichen Reportage erzählt unsere Kollegin Shayna Bhalla von ihrer Long-Covid-Erkrankung, die Anfang 2022 begann, als die Menschen um sie herum langsam wieder in Clubs oder auf Reisen gingen. Mit Anfang 20 musste sie lernen, dass Belastung bedeuten kann, sich die Haare zu kämmen. Und dass sie diese Ungewissheit in ihrem Leben so schnell nicht loswird.

Eiken Bruhn beschäftigte sich während der Pandemie viel damit, was dieses Virus gesellschaftlich so anrichtet – und fragt sich heute, ob sie selbst damals zu vorschnell vermeintliche Lösungen herbeischrieb. Ihr Text ist ein Plädoyer, dem Gegenüber zuzuhören – und wirklich verstehen zu wollen, warum jemand denkt, wie er denkt.

Unsere Kolumne „Starke Gefühle“ übernehmen diese Woche sechs Schü­ler­prak­ti­kan­t:in­nen. Sie berichten von techniküberforderten Leh­re­r:in­nen, von ausgefallen Skifreizeiten, von Einsamkeit, aber auch von Zusammenhalt trotz Lockdowns. Gleich daneben steht die Antwort auf die Kinderfrage einer Zehnjährigen, ob Corona denn jetzt schlimmer als die Pest war.

Und schließlich erklärt Lukas Heinser, was alles Schönes von der Pandemie geblieben ist. Vom In-die-Armbeuge-Niesen über Desinfektionsspender-Mahnmale bis hin zu „Stand jetzt“ – der Formulierung, die jede mittel- bis langfristige Planung infrage stellt, die uns zeigt: Alles ist Gegenwart, alles kann sich sofort und vollständig verändern.

Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre, und: Bleiben Sie gesund! ­Leonie ­Gubela

Ein Therapieansatz ist es, die aggressiven Autoantikörper unschädlich zu machen. Positive Resultate zeigte eine Vorstudie mit Menschen, die nach einer Coronainfektion ME/CFS entwickelten. Ihnen wurde per Immunadsorption – einer Blutfiltration – Autoantikörper entfernt.

Bei 14 der 20 Teilnehmer verbesserte sich so der Zustand deutlich. Allerdings fehlte der Studie eine Kon­trollgruppe. Belastbare Ergebnisse wird daher erst eine kontrollierte Folgestudie liefern. Scheibenbogens Team will sie Ende des Jahres vorlegen.

BC007: Status ungewiss

Wenig zurückhaltend hatte bereits im Sommer 2021 die Uniklinik Erlangen erfolgreiche Heilversuche mit einem neuen Wirkstoff öffentlich gemacht und gewaltige Hoffnungen unter Betroffenen ausgelöst: Das DNA-Fragment BC007 sollte schädliche Autoantikörper nicht entfernen, sondern neutralisieren.

Im November 2024 aber räumte der Entwickler, das Start-up Berlin Cures, sein Scheitern auf dem Weg zur Medikamentenzulassung ein. In seiner klinischen Studie hatten Long-Covid-Patienten mit BC007 keinen stärkeren Effekt erzielt als mit einem Placebo.

Die Daten sind bisher nicht publiziert. Beteiligte sahen jedoch große Mängel am Studiendesign, zudem könnte die fast irrationale Erwartungshaltung den Placebo-Effekt in die Höhe getrieben und die Ergebnisse verzerrt haben. Ob BC007 wirkt, lässt sich abschließend wohl noch gar nicht sagen. Der Weg zu einer Zulassung aber scheint erst einmal verbaut.

Neben der Immunadsorption setzt die Nationale Klinische Studiengruppe auf Medikamente, die bereits für andere Erkrankungen zugelassen sind – etwa solche, die bereits die Produktion von Autoantikörpern verhindern. Vor Weihnachten hatte das Bundesforschungsministerium jedoch eine in Aussicht gestellte Förderung für eine Studie zurückgezogen.

Bei einem Teil der Long-Covid-Fälle vermutet man andere Auslöser wie anhaltende Entzündungen – hochdosiertes Cortison soll nun getestet werden. Weitere Studien laufen mit einem durchblutungsfördernden Medikament und der Sauerstoffhochdruckbehandlung.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Warten auf die „Off-Label-Liste“

Wie in der Therapieforschung verhält es sich bei der Versorgung der Betroffenen. Es gibt viele kleine Schritte, während die ganz großen Sprünge fehlen. So sind ärztliche Hausbesuche für bettlägerige Pa­ti­en­t:in­nen weiterhin eher die Ausnahme als die Regel.

Dafür setzt sich in den ärztlichen Empfehlungen, etwa in der Leitlinie für die Long-Covid-Reha und in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, durch, wie wichtig ein Beachten der Post-Exertionellen Malaise ist.

Bei dem Symptom, das vor allem ME/CFS-Erkrankte betrifft, führt ein Überschreiten der individuellen Belastungsgrenze zu einer teils erheblichen und anhaltenden Zustandsverschlechterung. Je nach Ausprägung bedeutet das: Die sonst gängigen, aktivierenden Trainings können sogar schaden.

Was sich medikamentös machen lässt, fasste im September eine von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einberufene Expertengruppe erstmals zusammen. Auf 27 Seiten enthält ihr „Therapiekompass“ Arzneimittel, die Arztpraxen bei bestimmten Symptomen bereits heute auf Kassenrezept verschreiben dürfen. Es handelt sich ausnahmslos um lindernde, nicht um heilende Ansätze.

Noch auf sich warten lässt die längst angekündigte „Off-Label-Liste“. Auf ihr sollen Medikamente stehen, die sich bei Long-Covid-Heilversuchen als hilfreich erwiesen haben, die bisher aber nur für andere Krankheiten zulässig sind. Künftig sollen dennoch Krankenkassen dafür aufkommen. Österreich ist da schon weiter. Eine Liste, welche Off-Label-Medikamente die Gesundheitskasse für Long-Covid-Betroffene bezahlt, liegt seit diesem Januar vor.

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