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#MeToo nach Gelbhaar-AffäreGlaubt den Frauen – immer noch

Carolina Schwarz
Kommentar von Carolina Schwarz

Die Affäre Gelbhaar ist eine, in der es nur Verlierer_innen gibt. Sie sollte jetzt nicht auch noch an feministischen Selbstverständlichkeiten wie „Believe the Women“ rütteln.

In einer patriarchalen Welt sollte man weiblichen Stimmen Achtung schenken Foto: Bryan Dozier/imago

S tellen Sie sich einmal vor, jeder Fehler und jedes Vergehen eines Mannes würde an der männlichen Vorherrschaft rütteln. Bei so viel Gerüttel wäre das Patriarchat schon längst in sich zusammengebrochen. Doch dafür gibt es leider noch keine Anzeichen. Denn selbst wenn es um Verfehlungen wie Missbrauch oder geschlechtsspezifische Gewalt geht, behandeln wir die Taten der Männer noch viel zu oft als traurige Einzelfälle anstatt als Fortschreibung eines Systems.

Ganz anders sieht es aus, wenn (vor allem feministische) Frauen Fehler machen. Dann wird aus einem Einzelfall ganz schnell ein systemisches Versagen konstruiert. Und hart erkämpfte feministische Grundsätze werden ohne Nachdenken über Bord geworfen. Diese Ungleichbehandlung zeigt sich gerade wieder einmal im Umgang mit der Affäre Gelbhaar.

Im Dezember, kurz vor der Wahl der Berliner Landesliste zur Bundestagswahl, hatte eine junge Grünen-Politikerin Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar erhoben. Sie sprach nicht für sich selbst, sondern im Namen anderer. Danach folgte eins aufs andere: Über ein Dutzend Vorwürfe gingen bei der Ombudsstelle der Grünen ein, der RBB machte mit seinen Recherchen die Vorwürfe öffentlich. Gelbhaar wies alle Vorwürfe von sich, doch er trat nicht noch einmal als Direktkandidat an.

Mittlerweile ist klar: Ein Teil, und zwar der schwerste, der Vorwürfe gegen Gelbhaar ist erfunden. Eine eidesstattliche Erklärung, die dem RBB vorlag, ist wohl gefälscht. Die Redaktion hat journalistisch unsauber gearbeitet, weder hat sie die mutmaßlich Betroffene getroffen noch ordentlich gecheckt, ob sie überhaupt existiert. Recherchen legen nahe, dass die Politikerin, die alles ins Rollen brachte, hinter der Fälschung steckt. Mittlerweile ist sie von ihren Ämtern zurück- und aus der Partei ausgetreten. Sie hinterlässt einen enormen Schaden, den eine ganze Bewegung nun beseitigen muss.

Ein gefundenes Fressen

Denn für die Mehrheit scheint jetzt klar: Gelbhaar ist das Opfer einer Intrige, die Frauen haben gelogen. Warum? Dafür gibt es vielzählige Theorien. Doch fest stehe, der Mann habe eine Entschuldigung verdient, gehöre rehabilitiert und feministische Grundsätze seien überholt. „Believe the Women“, das zeige dieser Fall, funktioniert nicht. #MeToo sei zu einer Waffe der Frauen geworden.

Die Affäre ist ein gefundenes Fressen für alle, die ohnehin nichts auf Frauenrechte geben. Doch Kritik an feministischen Grundsätzen und dem Ansatz der Ombudsstelle der Grünen, dass die „Perspektive der Betroffenen handlungsleitend“ sei, kommt auch von anderer Seite.

Unabhängig davon, zu welchen Ergebnissen die Aufarbeitungen kommen, sollte am Ende nicht MeToo der große Verlierer sein

Dabei ist in diesem Fall bisher wenig klar. Viele Fragen sind offen. Nur eine sorgfältige und transparente Aufarbeitung kann wirkliche Klarheit darüber bringen, ob der Ruf Gelbhaars rehabilitiert gehört oder an den bestehenden Vorwürfen etwas dran ist. Es muss untersucht werden, welche Fehler passiert sind und welche Änderungen im Umgang mit Belästigungsvorwürfen nötig sind, um solche Fehler in Zukunft zu vermeiden.

Schlecht ist nicht das ganze System

Der Sender hat eine Aufarbeitung versprochen und auch die Grünen haben eine Kommission eingerichtet, um den Fall aufzuarbeiten. Und das haben alle Beteiligten verdient. Denn bislang gibt es in diesem Fall nur Verlierer_innen. Auf der einen Seite Stefan Gelbhaar selbst, dessen Karriere im Bundestag vorerst beendet ist und der nun um seinen Ruf kämpfen muss. Auf der anderen sind da noch sieben Frauen, die laut der Partei an ihren Vorwürfen gegen Gelbhaar festhalten – aber denen jetzt nun nur noch Misstrauen entgegenschlägt.

Doch unabhängig davon, zu welchen Ergebnissen die Aufarbeitungen kommen, sollte am Ende nicht MeToo der große Verlierer sein. Denn nur weil eine einzelne Person ein Hilfesystem missbraucht, heißt es nicht, dass gleich das ganze System schlecht ist. Das Narrativ, Frauen würden systematisch Vorwürfe erfinden, um Männer zu stürzen, ist zwar virulent – hat aber wenig mit der Realität zu tun. Falschbeschuldigungen kommen nur in den seltensten Fällen vor.

Die Realität dagegen ist, dass Männer weltweit noch immer ihre Macht schamlos missbrauchen. Versucht eine Frau sich dagegen zu wehren, schlägt ihr oft Misstrauen, bösartige Unterstellungen und Hass entgegen. Dem will der Slogan „Believe the Women“ etwas entgegensetzen. Er will sagen: Wir könnten das als Gesellschaft auch anders lösen und den Frauen erst einmal glauben. Nicht mehr und nicht weniger.

„Believe the Women“ rechtfertigt also keine journalistische Schlampigkeit, setzt keine Unschuldsvermutung außer Kraft, ersetzt keine juristische Aufarbeitung. Aber „Believe the Women“ versucht in einer Welt voller männlicher Vorherrschaft, ein kleines bisschen Gerechtigkeit zu bringen. An diesem hehren Ziel sollte auch die Affäre Gelbhaar nichts ändern.

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Carolina Schwarz
Ressortleiterin taz zwei
Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.
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2 Kommentare

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  • Das Problem hier ist:



    "Believe the Woman" ist eine feministische Perspektive. Der Rechtsstaat indessen kennt die Unschuldsvermutung bei gleichzeitiger kritischer Aufklärung der Geschehnisse vor Gericht.



    Und nein, die Affäre Gelbhaar kennt nicht "Nur Verlierer". Sie kennt ein klares Opfer: Gelbhaar. Warum? Weil man vergessen hat: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Prüfe, bevor Du urteilst.

    • @Kartöfellchen:

      "Believe the Woman" ist eine feministische Perspektive"

      Keineswegs. Jedes ordentliche rechtsstaatliche Verfahren in einem Fall von sexueller Belästigung oder sexueller Gewalt verläuft nach dem Prinzip die Glaubwürdigkeit der Betroffenen zu Beginn eines Erkenntnisverfahren nicht in Frage zu stellen.

      Das ist die Voraussetzung dafür das ein Ermittlungsverfahren auch zu einer Anklage führt und nicht eingestellt wird, wenn Aussage gegen Aussage steht. Die Unschuldsvermutung gegenüber dem Angeklagten wird dabei nicht angetastet. Im Gegenteil, denn die objektive Ermittlungen seitens Polizei und Staatsanwaltschaft können auch zur Entlastung des Angeklagten führen.



      Es findet in diesem Sinne also keine Vorverurteilung statt. Die Wahrheitsfindung obliegt dann dem Gericht und hier gilt "in dubio pro reo".

      Von daher ist in "Believe the Woman" und der "Unschuldsvermutung" nicht von vornherein ein Widerspruch angelegt.