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Schulunterricht in Schleswig-HolsteinLandesregierung will an politischer Bildung sparen

Schleswig-Holstein will die Zahl der Schulstunden in der Oberstufe kürzen. Das soll auch den Geografie- und Politikunterricht treffen.

Die Schü­le­r*in­nen hätten gerne weniger Stunden – aber bitte nicht in Politik oder Geografie Foto: IMAGO/Funke Foto Services

HAMBURG taz | Schleswig-Holstein befindet sich auf Sparkurs, anscheinend auch bei der politischen Bildung. Die Landesregierung plant, die Unterrichtsstunden an Gemeinschaftsschulen und Gymnasien zu reduzieren und damit auch gesellschaftswissenschaftliche Fächer zu schwächen. Zu diesen zählen neben Religion und Philosophie auch Geschichte, Wirtschaft und Politik (Wi-Po) sowie Geografie. Dabei werden gerade in diesen Fächern Krisen wie der Klimawandel, der Rechtsruck und Kriege behandelt.

Die angekündigten Kürzungen sollen folgendermaßen aussehen: Zunächst werden die Stunden bis zur Oberstufe gleichmäßig für jeden Fachbereich reduziert. Hiervon ist Wi-Po zunächst ausgenommen. In der Oberstufe muss dann zwischen Wi-Po- und Geografieunterricht gewählt werden. Bisher musste dasjenige Fach, welches für die Oberstufe nicht gewählt wurde, trotzdem verpflichtend für ein weiteres Schulhalbjahr belegt werden. Dieses verpflichtende Halbjahr fällt nun weg.

Die Ankündigung der Regierung richtet sich gegen die Empfehlung der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz. Diese empfiehlt in einer Stellungnahme im Juli 2024 klar „die langfristige Stärkung der Fächer Politik und Geschichte“. Die Forschungslage zeige, dass den Jugendlichen politisches Wissen und Vertrauen in die Politik fehle.

Dem aktuellen Druck auf den demokratischen Rechtsstaat müsse man in der Schule begegnen, wo noch alle Kinder erreicht werden, finden die Wissenschaftler*innen. Denn an den Schulen würden „demokratiefeindliche, rechtsextremistische, antisemitische, antimuslimische oder andere menschenfeindliche Aussagen offen geäußert“.

Mehr rechte Gewalt an den Schulen

Das gilt auch für Schleswig-Holstein. Im Schuljahr 2023/24 gab es dort 24 dokumentierte Fälle rechter Gewalt an Schulen. Ein Anstieg zum vorigen Schuljahr um 118 Prozent. Und auch in einem der letzten Bundesländer, indem die AfD nicht mehr im Landtag sitzt, war die Partei bei den 16- bis 24-Jährigen zweitstärkste Kraft bei den jüngsten Europawahlen, bei jungen Männern mit fast 20 Prozent sogar stärkste Kraft.

Aus Sicht des Landesbeauftragten für politische Bildung, Christian Meyer-Heidemann, sind die Kürzungspläne im Fach Wi-Po ein „fatales Signal“. Und es sei nicht das erste Mal, dass eine Entscheidung zulasten dieses Faches getroffen werde, berichtet er der taz.

Vor der Oberstufenreform in Schleswig-Holstein 2021 mussten die Schü­le­r*in­nen nämlich zwei von den drei Fächern Religion, Geografie und Wi-Po für die Oberstufe wählen. Durch die mit der Reform eingeführte Privilegierung des Religionsunterrichts, der nun ebenso wie Geschichte bis zum Abitur verpflichtend ist, sei die Konkurrenz zwischen den Fächern Geografie und Wi-Po bereits verschärft worden.

Auch in der Mittelstufe (Klassen 7 bis 10) reicht der Wi-Po-Unterricht nach Ansicht Meyer-Heidemanns nicht aus. Die meisten Schü­le­r*in­nen erhielten erst in den Klassenstufen 9 und 10 zweistündig Wi-Po-Unterricht.

Die politische Bildung muss aber in Zeiten, in denen Jugendliche in sozialen Netzwerken schon viel früher mit politischen Inhalten konfrontiert werden, auch viel früher ansetzen“, fordert Meyer-Heidemann. Im Übrigen widerspreche die geplante Kürzung den Beschlüssen zur Stärkung der politischen Bildung, die von allen Fraktionen im Landtag getragen wurden.

Das schleswig-holsteinische Kultusministerium rechtfertigt die Pläne damit, dass Demokratiebildung ja nicht nur im Fach Wi-Po stattfinde, sondern eine Querschnittsaufgabe sei. Eine Sprecherin verweist zudem auf die internationale ICCS-Studie zur politischen Bildung, die bei Schü­le­r*in­nen in Schleswig-Holstein ein „gutes politisches Fachwissen“ nachgewiesen habe.

Unsere Sorge ist, dass Menschen nicht partizipieren können und dass dies ausgenutzt wird

Lovis Eichhorn, Schleswig-Holsteins Landesschülersprecher

Auch das ist für Meyer-Heidemann kein gutes Argument: „Der Mittelwert ist zwar okay, alarmierend ist aber die große Streuung“, findet er. Es gibt viele Schü­le­r*in­nen, die ein sehr gutes politisches Wissen haben und gleichzeitig viele, die kaum politisches Wissen haben.“ Das gefährde die Demokratie. Denn junge Menschen, die ohne ausreichendes politisches Wissen die Schule verließen, seien besonders anfällig für Desinformation, Populismus und Extremismus, warnt der Landesbeauftragte für politische Bildung.

Auch der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Martin Habersaat, kritisiert die angekündigte Regelung für die Oberstufe. Neben den Fächern Wi-Po und Geschichte sei auch das Fach Geografie, in dem die Globalisierung und der Klimawandel behandelt werden, zentral für das Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen, schreibt Habersaat in einer Pressemitteilung.

Die Landesschü­le­r*in­nenvertre­tung, begrüßt, dass das Stundenkontingent verringert wird. „Die Belastung in der Oberstufe ist extrem hoch. Die Kürzung der Stunden hatten wir uns gewünscht“, sagt Landesschülersprecher Lovis Eichhorn.

Die Regelung bei Wi-Po und Geografie sehen die Schü­le­r*in­nen aber äußerst kritisch: „Wir sehen ein, dass gekürzt werden muss aber, das darf nicht sein.“ Eine Kürzung bei anderen Fächern hätten die Schü­le­r*in­nen bevorzugt. So seien besonders Naturwissenschaften sehr dominant im Lehrplan.

Auch die Schü­le­r*in­nen sehen das Problem des steigenden Extremismus an Schulen und in der Gesellschaft. „Es wird extrem schwierig, die teils sehr komplexen Sachverhalte zu vermitteln“, sagt Eichhorn.„Unsere Sorge ist, dass Menschen nicht partizipieren können und dass dies ausgenutzt wird.“

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1 Kommentar

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  • Wozu die Privilegierung des Religionsunterrichts? Der kann doch nun wirklich ersatzlos in der Oberstufe wegfallen. Der Unterricht in den Schulklassen 5 bis 10 sollten für dieses Fach ausreichen.



    Logisch wäre es, das Fach Wirtschaft und Politik zu privilegieren, da es nicht ab Klasse 5 unterrichtet wird und es in diesem Fach - anders als bei Religion - immer wieder neue Themen gibt.