: Glücklich werden
Manchmal muss man sein Leben Stück für Stück angehen. Der Künstler Pharrell Williams nimmt das im Biopic „Piece by Piece“ wörtlich und lässt seine Karriere als Lego-Animation Revue passieren
Von Tim Caspar Boehme
Das Musiker-Biopic gehört zu den eher zwiespältigen Subgenres im Kino. Steht die Geschichte einerseits in ihren Grundzügen fest, lädt sie andererseits zur Beweihräucherung „großer“ Künstlerpersönlichkeiten ein, was gern auf Kosten der Geschichte geht. Manche Filme umschiffen diese Klippe mit eigenwilligen Ideen der Inszenierung, die durch Verfremdung gegen ein Übermaß an Identifikation angehen. Selbstverständlich hängt viel an den Darstellern und den Freiheiten, die ihnen gelassen werden. Am Ende geht man vor allem wegen der Musik in so einen Film.
Der Protagonist von „Piece by Piece“, der Musiker Pharrell Williams, gehört zu den ungewöhnlichsten Künstlern im R & B. Und er hat einige der prägenden Hits des frühen 21. Jahrhunderts zu verantworten: „Drop It Like It’s Hot“ von Snoop Dogg, „Milkshake“ von Kelis, „Hot in Herre“ von Nelly, um nur ein paar zu nennen. Von seinem eigenen Welterfolg „Happy“ mal ganz zu schweigen. Um den Soundtrack zum Film braucht man sich daher keine Sorgen zu machen.
Um zu verhindern, dass die Geschichte, wie diese großartigen Songs ihren Weg auf die Welt fanden, zum drögen Mimenspiel gerät, hat sich Pharrell, wie er als Künstler kurz heißt, mit dem Regisseur Morgan Neville eine so alberne wie geniale Lösung überlegt.
„Piece by Piece“ funktioniert ohne Schauspieler. Wie in einem Dokumentarfilm kommen die Dargestellten selbst zu Wort, im Bild erscheinen sie jedoch nicht. Denn der Film ist eine Lego-Animation. Da Pharrell selbst zu den Produzenten des Films gehört, dürfte es ihm nicht schwergefallen sein, den Regisseur von diesem Schritt zu überzeugen.
Was sich als Idee einigermaßen behämmert anhört, erweist sich im Kino als Gewinn. Beginnend mit Unterwasserszenen, in denen ein gelber Wal durch ein farbenstrahlendes Meer taucht, setzt der Film gleich einen bestimmenden Akzent rund um maritime Angelegenheiten. So wurde Pharrell in der Küstenstadt Virginia Beach geboren und wuchs in einer Siedlung namens Atlantis auf. Er bekundet im Film konsequenterweise, von Wasser „besessen“ zu sein.
Morgan Neville erzählt, wie Pharrell schon als Kind auf Musik besonders reagierte. Man sieht den kleinen Lego-Pharrell, wie er vor der heimischen Anlage sitzt und sich Stevie Wonders Song „I Wish“ anhört. Die Boxen vibrieren dabei nicht bloß als gigantische Kreise, sie werden zu psychedelisch bunten Tunneln in eine andere Welt.
Die Farben erklärt Pharrell mit seiner Veranlagung zur Synästhesie, bei der bestimmte Harmonien und Töne vor seinem inneren Auge unterschiedliche Farben entstehen lassen.
Harmonisch verlief anscheinend ebenso die Kindheit Pharrells. In seinem Viertel herrschte, wie er schildert, eine friedliche Atmosphäre, mit einer Vielzahl von Schulfreunden, die Pharrells Begeisterung für Musik teilten: Der spätere Produzent Timbaland, ein Cousin Pharrells, gehört genauso dazu wie die Rapperin Missy Elliott oder sein Kumpel Chad Hugo, mit dem Pharrell unter dem Namen The Neptunes – noch so eine Meeresanspielung – als Produzentenduo Musikgeschichte schreiben sollte.
Pharrell und Chad Hugo fallen schon bald mit überraschenden Soundkombinationen auf. Sie bauen Beats zusammen, mithin Instrumentalstücke als Basis für Songs von Rappern oder Sängern, und versuchen diese an Plattenlabel zu verkaufen. Einer der schönsten optischen Gestaltungseinfälle sind denn auch diese „Beats“, aus blinkenden Legoteilen zusammengesetzte Objekte, die die Neptunes in Kartons verpackt mit sich herumführen, um sie im passenden Moment auf die Tische von Labelbossen purzeln zu lassen.
„Piece by Piece“ erzählt das Leben von Pharrell als einen langsamen Aufstieg zum Erfolg, der hauptsächlich immer neue Höhen kennt. Zur Musik kamen irgendwann solche Dinge wie eine eigene Modekollektion hinzu, die Marke Billionaire Boys Club, deren Kreationen im Lego-Look zugegebenermaßen nur begrenzt zur Geltung kommen. Als Musiker arbeitete Pharrell zugleich irgendwann mit Popstars wie Madonna zusammen. Eigentlich alles super.
Dass es auf diesem Weg gleichwohl Tiefen gab, verschweigt der Film nicht. Pharrells eigene Erzählung bleibt an diesen Punkten jedoch etwas nebulös, er erwähnt die kreativitätstötenden Einflüsterungen von Musikmanagern, die als eine Art Lego-Vampir-Elvisse ins Bild gesetzt werden. Zur Illustration dieser Phase gibt es die naheliegende Lösung eines Strudels auf offenem Meer, in dem der Lego-Pharrell zu versinken droht.
Viel Konkreteres wäre unter den Entstehungsbedingungen dieses Films ohnehin nicht zu erwarten gewesen. Ist im Übrigen auch nicht schlimm. Denn der Film soll, wie Pharrells eigene Musik, vor allem die Laune heben und die Leute glücklich machen. Ein Erlösungsmoment im Film ist folglich seine Zusammenarbeit mit dem französischen House-Duo Daft Punk, aus der ein weiterer Riesenhit und Tanzflächen-Evergreen hervorging: „Get Lucky“. So macht Hagiografie Spaß.
„Piece by Piece“. Regie: Morgan Neville. USA 2024, 93 Min.
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