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Kriegstüchtiges Schulfach

Der Historiker Michael Krüger fordert im Zentralorgan für Sportlehrer ein anderes Selbstverständnis des Sportunterrichts. Kinder sollen auch für den Verteidigungsfall fit gemacht werden. Widerspruch bleibt aus

Die deutsche Jugend bei Fitnessübungen im Jahr 1932 Foto: imago

Von Johannes Kopp

Erschrocken sei er im ersten Moment gewesen, versichert Michael Krüger, als Verteidigungsminister Boris Pistorius Ende Oktober 2023 den Satz in die Kamera sprach: „Wir müssen kriegstüchtig werden – wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“ Es hat aber nicht lange gedauert, bis der Sportwissenschaftler und Sporthistoriker sich dazu berufen sah, diesen Satz weiterzudenken. Bevor er vollends in den Ruhestand ging, verfasste er im offiziellen Organ des Deutschen Sportlehrerverbandes (DSLV) namens sportunterricht einen letzten und bemerkenswerten Kommentar. Der emeritierte Professor aus Münster führte aus, für die Verteidigung der freiheitlichen Gesellschaft hier ginge es nicht nur um militärisches Material. Es brauche Bürgerinnen und Bürger, die dazu in der Lage seien. Sportunterricht sei „in diesem Sinn auch Teil der Erziehung zur „Kriegstüchtigkeit“ in einem freiheitlichen Gemeinwesen.

Dass diese konkrete Zuspitzung von Pistorius Worten wiederum Schrecken ausgelöst hätte, kann man nicht behaupten. Vergangenen August schon ist Krügers Kommentar im monatlich erscheinenden Fachmagazin publiziert worden. Der Redaktionsleiter und Leipziger Professor Thomas Wendeborn sagt, es habe darauf keine Reaktionen gegeben. Das Ganze sei eher unter dem Radar geblieben. Die Printauflage der Fachzeitschrift liegt immerhin bei 2.500 Heften. Dazu kommen noch digitale Abos. In einigen Bundesländern erhalten alle Mitglieder der Sportlehrerverbände das Heft automatisch.

Intern, berichtet Wendeborn, habe der Beitrag der Rubrik „Brennpunkt“ ebenfalls nicht zu Debatten geführt. Jedes Redaktionsmitglied sei frei, es gebe keine redaktionelle Zensur. Wendeborn selbst spricht von einem polarisierenden Kommentar. Der Position von Krüger würde er sich in Teilen anschließen. Seine Bedenken? Der Sportunterricht, dem eh schon viel zugemutet werde, könnte mit gesellschaftlichen Erwartungen überfrachtet werden. Er berichtet aber davon, es habe in der Redaktion schon ein, zwei Lehrerzuschriften gegeben, in denen die Frage aufgeworfen wurde, ob man nicht wieder den Handgranatenweitwurf einführen sollte. In der DDR übten diesen Neuntklässler im Pflichtfach Wehrkunde.

„Besorgt“ über den Kommentar von Michael Krüger ist dagegen Martina Schmerr, Referentin im Vorstandsbereich Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie sagt, die Verknüpfung von militärischen Fragen und Bildung habe in Gesellschaft und Politik zwar zugenommen, aber sie sei bislang noch niemandem begegnet, der eine solche Position formuliert habe. Von dem Beitrag Krügers hat sie erst von der taz erfahren.

„Schulen“, sagt sie, „dürfen sich nicht für sicherheitspolitische Zwecke in den Dienst nehmen lassen. Die Schule ist vielmehr die Keimzelle für die Entwicklung friedliebender Gesellschaften.“ Es gehe um Erziehung zur Friedensliebe und gewaltfreien Konfliktlösungen, wie es auch in den Schulgesetzen stünde. „Die Vorstellung, Schule sei auch dazu da, möglichst viele fitte Körper für den Verteidigungsfall zu produzieren, finde ich geradezu verstörend.“ Die GEW hat in den vergangenen Jahren wiederholt gegen den größer werdenden Einfluss der Bundeswehr auf die Schulen Stellung bezogen.

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Der Krieg ist zurück im Alltag Europas. Die Welt wird neu sortiert und Deutschland sucht darin seine Position. Die taz beobachtet die Kämpfe. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:

Michael Krüger selbst will im Gespräch mit der taz nicht in die militaristische Ecke gestellt werden. Er sei der Letzte, erklärt er, der preußischen Drill im Sportunterricht sehen möchte. „Es soll nicht wieder der Handgranatenweitwurf eingeführt werden. Der Schulsport bleibt trotz Kriegstüchtigkeit unhinterfragt eine zivile Angelegenheit.“ Und auch in seinem Kommentar weist er auf die Verdienste von Carlo Schmid, Sozialdemokrat und einer der „Väter des Grundgesetzes“ der BRD, hin, der mit anderen in Westdeutschland dem Sportunterricht eine neue ethische Legitimation verschafft habe und der unseligen Tradition den Rücken kehrte, Leibesübungen als Erziehung zur Militärtauglichkeit zu betrachten.

Krüger stellt klar: Er wolle keine Rezepte für eine andere inhaltliche Gestaltung des Sportunterrichts geben. „Mir geht es um eine Klarstellung des Selbstverständnisses des Fachs. Schulsport unterliegt einem staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag. In einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat beinhaltet dies auch die Verteidigung dieser demokratischen und freiheitlichen Werte und Grundsätze. Dazu gehört neben der Erziehung zur Demokratie die physische Ausbildung der Schülerinnen und Schüler.“ Diese Dimension des Sportunterrichts sei gerade in Westdeutschland aus dem Blick geraten.

„Der Schulsport bleibt trotz Kriegs­tüchtigkeit unhin­terfragt eine zivile Angelegenheit“

Michael Krüger

Vielleicht müssen die Gedankenspiele von Michael Krüger auch in Zusammenhang mit jüngsten Debatte gelesen werden, wie leistungsorientiert Sportunterricht noch sein soll. Ob das Messen und Bewerten bei Bundesjugendspielen nicht zur Diskriminierung von Körpern beiträgt, die nicht der Norm entsprechen. Ob Sportunterricht nicht noch spielerischer werden muss. Pistorius’ Rede von der Kriegstauglichkeit könnte da eine willkommene Richtung vorgeben und bietet zudem die günstige Möglichkeit, dem eigenen Fach eine gesteigerte Bedeutsamkeit zuzuschreiben.

Die ausbleibende Debatte sowohl unter den Lesern der Zeitschrift als auch innerhalb der Sportlehrerorganisation findet Martina Schmerr irritierend. „Ich würde mir eine professionelle und kontroverse Auseinandersetzung mit diesem Thema wünschen.“

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