Afrikanische Flüchtlinge in Tunesien: Sie haben vom Nötigsten zu wenig
Zehntausende Flüchtlinge leben um Sfax in Tunesien ohne Schutz oder UN-Hilfe, viele aus Sudan. Jetzt droht ihnen die Abschiebung Richtung Algerien.
Nach Schätzungen westafrikanischer Aktivisten leben um Sfax seit einem Jahr über 15.000 Menschen im Freien, bis zu 70.000 Migranten und Flüchtlinge warten in ganz Tunesien auf eine Überfahrt nach Lampedusa oder Sizilien.
Weil Hilfswerken der Zugang verweigert wird, grassieren in den an Flüchtlingslager in Kriegsgebieten erinnernden Zeltstädten Tropenkrankheiten. Jede Woche gibt es Tote durch Unterernährung oder medizinische Notfälle.
Ibrahima Fofana, ein 24-jähriger Arzt aus Sierra Leone, betreibt eine Art Feldkrankenhaus und schildert den Notstand: „Ich bin zusammen mit meinen vier Krankenschwestern schon mit den vielen Hautkrankheiten und Geburten völlig überlastet. Wir dürfen nun keine Patienten mehr in lokale Krankenhäuser bringen. Mit der Räumung kommen viele Knochenbrüche und Schlagverletzungen dazu.“
„Sie machten alles dem Erdboden gleich“
Am Mittwoch rückte die Nationalgarde mit Bulldozern am „Kilometer 19“ an, benannt nach der Entfernung zu Sfax, und zerstörte Zelte. In diesem Lager leben vor allem Kriegsflüchtlinge aus Sudan. „Auch an Kilometern 27, 31 und 35 rückten Konvois mit Uniformierten an und machten alles dem Erdboden gleich“, berichtet Mohamed aus Khartum.
Der 22-Jährige war mit dem Versuch gescheitert, per Boot von Sfax nach Italien zu gelangen. Nach zwei Stunden auf dem Mittelmeer stoppte eine Patrouille der tunesischen Küstenwache das Boot. Die 45 Passagiere wurden zurückgebracht.
„Wir Männer mussten die letzten hundert Meter schwimmen, die Frauen brachten die Beamten in den Hafen“, sagt der Sudanese, der seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen möchte. „Drei von uns starben in dem eiskalten Wasser.“
Zusammen mit den anderen Überlebenden marschierte er zurück in die Olivenhaine, wurde aber auf der Landstraße von einer anderen Patrouille angegriffen und am Kopf verletzt. Nun behandelt Dr. Fofanah eine offene Platzwunde an Mohameds Hinterkopf. „Wir hatten noch Glück“, sagt der Sudanese. „Normalerweise werden alle Migranten auf den Straßen zwischen Sfax und den Fischerdörfern verhaftet und mit Bussen in die Grenzgebiete zu Libyen oder Algerien gefahren.“
Medizinische Hilfe offiziell verboten
Fofana und sein Freiwilligenteam behandeln derzeit bis zu 30 Patienten am Tag. Weil die Behörden es untersagen, Migranten zu behandeln, sind seine Feldkliniken – ein einfaches Zelt mit drei Räumen, in denen verschmutzte Matratzen liegen – die einzigen Orte, an denen sie Hilfe finden.
Dank Spenden und der Hilfsbereitschaft mancher Apotheker gelingt es Fofana, Leben zu retten. Lebensmittel spendet die lokale Bevölkerung, manche Olivenbauern überlassen den Migranten ihr Bewässerungswasser. „Doch das Wasser ist so stark mit Bakterien verunreinigt, dass fast alle hier Hautkrankheiten oder Darmkrankheiten haben“, so Fofana.
Derzeit sinken die Temperaturen in den Lagern fast auf den Gefrierpunkt. Ein geschwächtes Immunsystem und ständige Unterernährung hat kürzlich einen engen Freund von Fofana das Leben gekostet. Mohamed Kargbo hatte aus Angst vor einer Räumung unter einem Olivenbaum im Freien übernachtet und sich eine schwere Grippe zugezogen.
Wegen Fieberschüben und Schwindel ließ er sich von einem Schmuggler in das 300 Kilometer entfernte Tunis fahren. „Doch in der von Freunden angemieteten Wohnung starb er an Schwäche“, sagt Ibrahima Fofana.
In den Bergen an der Grenze liegt Schnee
Sollten Tunesiens Behörden die Schulferien tatsächlich dazu nutzen, die Migranten in der Wüste an der algerischen Grenze auszusetzen, dürfte es zu vielen Toten kommen. In Ain Draham und anderen tunesischen Grenzorten liegt Schnee. Schmugglerringe entführen in dem unwirtlichen Grenzgebiet Ausgesetzte und erpressen von Angehörigen Lösegeld.
Fofana ist vor allem über die Tatenlosigkeit von UNHCR und IOM empört. Er zeigt einen Schuhkarton mit Medikamenten: der gesamte Vorrat für neun Flüchtlingslager.
„Ich könnte das Leiden vieler Patienten mit Medikamenten lindern, die es hier in jeder Apotheke gibt“, sagt er erschöpft. „In vielen Flüchtlingslagern in Sudan ist die Lage besser.“
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