: So gebet dem Senator, was des Senators ist
Bremens Innensenator will mit den Kirchenleitungen über das Kirchenasyl reden. Nach seinem Geschmack nehmen Bremer Kirchengemeinden zu oft Menschen auf, um sie vor Abschiebungen zu schützen. Noch vor dem Gespräch teilt er dessen Ergebnis mit
Von Eiken Bruhn
Über den Umgang mit Kirchenasyl wollen am heutigen Mittwoch Vertreter:innen der evangelischen Kirchen in Niedersachsen und Bremen mit Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) sprechen. Nur: Letzterer hat den Ausgang dieser Gespräche bereits vorweggenommen – und die Kirchen widersprechen nicht.
Mit der Bremischen Evangelischen Kirche und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover sei „vereinbart“ worden, „dass die Landeskirchen ihren Gemeinden deutlich machen, dass das Dossier-Verfahren als solches in Zukunft nur Bestand haben kann, wenn die Regeln eingehalten werden“, heißt es in einem Schreiben für die Mitglieder der parlamentarischen Innendeputation, die am Donnerstag, also einen Tag später, tagen wird. Und weiter: „Dies bedeutet insbesondere die Beendigung des Kirchenasyls nach abschließender Entscheidung des Bamf über das Dossier.“
Dazu muss man zunächst Folgendes wissen: Diese „Regeln“, von denen da die Rede ist, gibt es gar nicht. Es kann sie nicht geben, da es sich beim Kirchenasyl, also dem Aufenthalt von Geflüchteten in Gemeinderäumen zum Schutz vor Abschiebung, um ein kirchliches Handeln im Rahmen der Nächstenliebe handelt, ohne Rechtsgrundlage. Bisher hat der Staat dies toleriert und zwischen 2015 und 2023 nur sehr selten Menschen aus dem Kirchenasyl geholt.
Das hat sich zuletzt geändert. Der Grund: Mit zunehmenden Abschiebebemühungen des deutschen Staates stieg auch die Anzahl der Kirchenasyl-Fälle seit dem Jahr 2022 sukzessive an. 2.032 waren es nach Auskunft der Bundesregierung zwischen Januar und Oktober 2024. In Bremen sind es anteilig seit mehreren Jahren besonders viele und Innensenator Mäurer bekam deshalb zuletzt Druck von seinen Amtskolleg:innen.
In jüngster Zeit wurden bundesweit mehrere Fälle bekannt, in denen Polizist:innen auf Veranlassung der Ausländerbehörden in Gemeinderäume eingedrungen sind, um Menschen mitzunehmen, denen die Kirche Asyl gewährt hatte, in zwei Fällen waren sie erfolgreich. Fast alle Fälle spielten sich in den norddeutschen Bundesländern ab, zuletzt eben in Bremen. Es ging um Abschiebungen nach Spanien, Finnland und Schweden. Aus diesen Ländern mehren sich Berichte von nicht bearbeiteten Asylanträgen und damit fehlenden Sozialleistungen sowie im Fall von Finnland Abschiebungen nach Russland.
Bremens Innensenator begründete sein Vorgehen im Dezember damit, dass das Bundesamt für Migration, kurz Bamf genannt, den Fall auf Bitte der Bremer Kirchengemeinde im sogenannten Dossierverfahren erneut geprüft habe, aber keinen Härtefall habe erkennen können.
In den „Dossiers“, von denen auch im Schreiben für die Mitglieder der parlamentarischen Innendeputationdie Rede ist, legen die Kirchengemeinden dar, warum sie das Leben oder die Gesundheit ihrer Gäste für gefährdet halten, wenn sie abgeschoben würden. Fast immer geht es um Dublin-Verfahren, also um Abschiebungen in das europäische Ersteinreiseland, in dem die Geflüchteten Asyl beantragen müssen. Weil das Bamf im aktuellen Bremer Fall zu einer anderen Einschätzung als die Gemeinde gekommen sei, habe es die Ausländerbehörde aufgefordert, die Überstellung des Somaliers nach Finnland zu vollziehen, so Mäurer.
Und hier kommen die eingangs zitierten Regeln ins Spiel: Mäurer behauptete nach der am Widerstand von Unterstützer:innen gescheiterten Abschiebung des Somaliers, es gebe eine Vereinbarung zwischen dem Bamf und den Kirchen in Deutschland, nach der ein Kirchenasyl beendet werden müsse, wenn das Bamf das Dossier abschlägig beurteilt. Letzteres trifft nach Aussage der Pastorin Dietlind Jochims, Sprecherin der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, mittlerweile auf nahezu alle Dossierverfahren zu. Das Bamf verwende zudem Textbausteine und gehe selten auf die konkreten Umstände ein. Auf Nachfrage der taz bestätigte jetzt eine Sprecherin des Bremer Innensenators, dass es eine solche Vereinbarung in schriftlicher Form nicht gebe. Sie verwies stattdessen auf eine Internetseite des Bamf, auf der „ein entsprechendes Merkblatt gefunden werden“ könne: „merkblatt-kirchenasyl.pdf“.
Darin steht unter anderem: „Die abgelehnten Asylbewerbenden verlassen innerhalb von drei Tagen nach dieser Mitteilung das Kirchenasyl.“ Nur: Die Kirchen haben an diesem Merkblatt aus dem Jahr 2022 gar nicht mitgearbeitet. Das Bamf hätte dort also, überspitzt formuliert, genauso gut reinschreiben können, welche Bettwäsche die Gemeinden vorhalten müssen. Und dann auf Einhaltung dieser Regel pochen können.
Die Bremische Evangelische Kirche und die Hannoversche Landeskirche könnten dem Bremer Innensenator an dieser Stelle Paroli bieten und damit ihren Mitgliedsgemeinden – die Bremerhavener Gemeinden gehören zur Hannoverschen Landeskirche – den Rücken stärken. Denn noch im Dezember war nach einem ersten Gespräch mit Mäurer keine Rede davon, dass die Gemeinden dazu aufgefordert werden sollen, sich an die einseitig diktierten Regeln des Bamf zu halten. In einer gemeinsamen Pressemitteilung hatte es geheißen: „Beide Seiten sind sich einig, am bisherigen, bewährten Dossier-Verfahren für das Kirchenasyl festzuhalten, wie es zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland am 24. Februar 2015 grundsätzlich vereinbart wurde.“ Das Bamf hatte dessen Leitgedanken in einem Ergebnisvermerk schriftlich festgehalten: In erster Linie sichern beide Seiten zu, besser zu kooperieren.
Mäurers Sprecherin bekräftigte jetzt in einer Mail an die taz, dass „sich die Landeskirchen und der Senator für Inneres und Sport darüber einig sind, dass die Entscheidung des Bamf akzeptiert werden muss“. Allerdings fehle es den Landeskirchen „an Durchgriffsbefugnissen auf die einzelnen Kirchengemeinden“. Und während sich die Kirchen nicht öffentlich dazu äußern, ob sie wirklich Mäurers Position teilen, erhöht der den Druck auf die Gemeinden.
Thomas Lieberum, Pastor der Vereinigten Gemeinde in der Bremer Neustadt, darüber, dass der Innensenator nahelege, die Entscheidung über das Kirchenasyl liege in der Hand staatlicher Behörden
In der öffentlich zugänglichen Vorlage für die Innendeputierten nennt er alle zwölf Bremer Kirchengemeinden, die im vergangenen Jahr Kirchenasyl gewährt haben, beim Namen. Die Hälfte hat mehr als einen Fall betreut, nur vier mehr als fünf Fälle. Ein Fall kann dabei mehrere Personen betreffen, meistens sind es Alleinstehende, die nur wenige Tage oder Wochen in einer Kirchengemeinde leben, bis eine Frist abläuft, nach der Deutschland für ihr Asylverfahren zuständig ist.
Besonders viele sind es mit 32 Fällen in der Vereinigten Gemeinde in der Bremer Neustadt. Auch der Somalier, der 2024 abgeschoben werden sollte, war dort in Obhut. An anderer Stelle in der Vorlage wird diese Gemeinde noch einmal extra hervorgehoben. Deren Pastor Thomas Lieberum sagte der taz, die Gemeinde wolle den Geflüchteten „in großer Not und Angst beistehen“ und entscheide gemeinsam mit diesen über Anfang und Ende des Kirchenasyls. Es sei „eine Frechheit“, wenn der Innensenator nahelege, das liege in der Hand staatlicher Behörden.
Bremens Innensenator kündigte jetzt an, „mit einzelnen Gemeinden das Gespräch zu suchen.“ Unter den geschilderten Voraussetzungen kann man das auch als Drohung verstehen.
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