Amerika-Gerichtshof verurteilt Kolumbien: U'wa-Indigene bekommen mehr Rechte für ihr Land
Kolumbien darf das Land der U'wa nicht einfach so für Tourismus und Bergbau öffnen. Das sagt der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte.
Mit dem am Freitag veröffentlichten Urteil, das im Juli erging, wird zum ersten Mal ein ganzes indigenes Volk in Kolumbien geschützt. „Dieses Urteil ist nicht nur für die U’wa und Kolumbien von großer Bedeutung, sondern für alle Völker der Region, die mit Bergbau und Tourismusprojekten konfrontiert sind“, sagt Mitklägerin Alejandra Escobar Cortázar vom Anwaltskollektiv Cajar (Colectivo de Abogados y Abogadas José Alvear Restrepo).
Die U’wa sind eines von 102 indigenen Völkern in Kolumbien mit rund 8.000 Menschen. Ihr angestammtes Land ist riesig – 1,4 Millionen Hektar über 4 Departments und eigentlich geht es bis nach Venezuela, sagt Juan Tegría. Er ist U’wa und Anwalt der mitklagenden Indigenenvereinigung AsoU’wa.
Doch zugesprochen hat der Staat den U’wa nur 220.000 Hektar: das Reservat Unido U’wa. Und die Abgrenzung ist nach über 20 Jahren immer noch nicht abgeschlossen. So haben sich auf dem Land seit den 1940er und 1950er Jahren Bauernfamilien niedergelassen, die vor dem Bürgerkrieg geflohen waren, erklärt Tegría. Als das Reservat erweitert wurde, sollten sie vom Staat umgesiedelt werden. Das sollte vor zehn Jahren abgeschlossen sein.
Nationalpark auf indigenem Gebiet
Das Urteil setzt Kolumbien nun dafür eine Frist von einem Jahr. Denn stattdessen hat der kolumbianische Staat ohne Mitsprache der U’wa den teilweise auf ihrem Land eingerichteten Cocuy-Nationalpark eröffnet und Lizenzen für Bergbau vergeben. Es geht um Öl, Gas und Kohle.
Unter anderem sind die kolumbianische teilstaatliche Firma Ecopetrol und die internationale Oxy dort aktiv. Das Herz ihres angestammten Lands ist die Sierra Nevada del Cucuy, ein Andengebirgszug. Er enthält Kolumbiens größtes zusammenhängendes Gletschergebiet. Den U’wa sind die schneebedeckten Berge heilig. „Wir dürfen sie nicht einmal anschauen“, sagt Tegría.
Tourist:innen hingegen schauen dieses Heiligtum nicht nur an und fotografieren es. Für sie wurden Berghütten gebaut, sie urinieren in den Schnee und spielen darauf Fußball. Das entweiht es nicht nur, sondern ist auch eine Belastung für das sensible Ökosystem. Tegría berichtet zudem, dass private Touranbieter illegale Wege angelegt hätten.
Die U’wa haben zeitweise den Zugang zum Park gesperrt und pochen auf Mitsprache. Die müssen sie bekommen, urteilt das Gericht – und betont, dass Naturschutz und die Rechte der Indigenen grundsätzlich vereinbar seien. In Sachen Bergbau ist die Situation komplex. Befragt wurden die U’wa, wenn überhaupt, nur unzureichend, ein Vetorecht steht ihnen in Kolumbien nicht zu.
Bergbau vergiftet Natur
Das Gericht sagt nun: Auch für Projekte jenseits ihres Reservats müssen die Indigenen befragt werden, wenn sie deren Folgen spüren. Das ist ebenfalls bahnbrechend. Der Bergbau hat die Flüsse und die Erde vergiftet. „Neben diesen Schäden haben die Erkundung und der Abbau von Gas und Öl uns den Krieg gebracht“, sagt Tegría.
Die ELN-Guerilla ist berüchtigt für ihre Attentate auf Ecopetrol-Pipelines. „Allein dieses Jahr haben sie die Pipeline Caño Limón-Coveñas sechs oder sieben Mal gesprengt.“ Hinzu kommen Unfälle. Nun hat das Gericht geurteilt: Kolumbiens Staat muss drei Bergbau- und Erdöltitel im Gebiet der U’wa annullieren, und er muss den Schaden durch Lecks in den Pipelines wiedergutmachen – auch wenn der durch Attentate entstand.
Das Gericht verurteilt Kolumbien außerdem, weil es das Recht auf gerichtliche Garantien und Schutz missachtet hat – auch durch Verschleppung der vielen Prozesse. Kolumbiens Regierung verspricht, das Urteil zu befolgen, schreibt die Zeitung El País. Man bleibt skeptisch – vergangene Urteile seien nicht erfüllt worden, sagt Juristin Alejandra Escobar.
Der indigene Anwalt Juan Tegría fordert: „Wir hoffen, dass zumindest die Stimme des indigenen Volkes der U’wa berücksichtigt wird und dass unsere Bräuche und Traditionen, unsere spirituellen und kulturellen Werte respektiert werden. Und dass es uns erlaubt wird, so zu leben, wie wir es seit Tausenden von Jahren getan haben. Wir sind auch Menschen. Wir sind Beschützer von Mutter Erde.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!