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Auch die FDP hat mal recht

2026 wählt Baden-Württemberg nach neuem Wahlrecht. Doch die FDP unterstützt das Bürgerbegehren eines einstigen Chemikers. Sie befürchten einen XXL-Landtag mit 20 Millionen Euro Mehrausgaben

Aus Stuttgart Benno Stieber

Die FDP in Baden-Württemberg ist konservativ, die Bürgerbeteiligungsformate werden vom künftigen FDP-Landeschef Hans-Ulrich Rülke schon mal als „Laberrunden“ disqualifiziert. Trotzdem unterstützt die FDP ein eher progressives Bürgerbegehren, das der 81-jährige Bietigheimer Dieter Distler initiiert hat.

Der pensionierte Chemiker wendet sich gegen das neue Wahlrecht in Baden-Württemberg. Unter dem Schlagwort „Landtag verkleinern“ ruft er zu einem Bürgerbegehren auf, das verhindert, dass der Landtag bei der nächsten Wahl im Frühjahr um bis zu 120 Abgeordnete anwächst, was Mehrkosten von 20 Millionen Euro erzeugen könnte.

Die FDP hatte selbst ein solches Volksbegehren angestrengt, war aber an der Zulassung gescheitert. Nun klagt sie vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes gegen die Entscheidung.

Die Wahlrechtsreform, die nach langen Debatten 2022 umgesetzt wurde, war in Baden-Württemberg von Anfang an umstritten. Bislang hatten die Schwaben und Badener mit einer Stimme gewählt, die sowohl für den Direktkandidaten des Wahlkreises als auch für die Sitzverteilung im Landtag galt. Die Kandidaten wurden im Wahlkreis aufgestellt, die Parteien hatten wenig Einfluss auf ihre Vielfalt, aber auch darauf, verdiente Parteimitglieder mit einem Mandat zu belohnen. So ging etwa der CDU-Innenminister und langjährige Parteivorsitzende Thomas Strobl leer aus. Und auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann trat lieber in einem aussichtsreicheren Wahlkreis an, als dem seines Wohnorts Sigmaringen.

Das sollte sich ändern. Mit der Reform zu einem Zweistimmenwahlrecht, das bei der nächsten Landtagswahl zum ersten Mal angewandt werden soll, haben sich Grüne und CDU nach Expertenmeinung genau jene Probleme erst geschaffen, die man für den Bundestag mit einer umstrittenen Reform notdürftig gelöst hat. Zuletzt war der Bundestag um über 130 Mitglieder auf 733 angewachsen. Die so genannte Stimmspreizung zwischen erst und Zweitstimme sorgt dafür, dass über die Erststimme mehr Direktkandidaten gewählt werden, als ihr an Parlamentssitzen über die Zweitstimme zustehen. Damit kommt es zu sogenannten Überhangmandaten, die dann wieder mit Ausgleichsmandaten für andere Parteien kompensiert werden. Dadurch wächst das Parlament.

Das drohe nun auch im Landtag von Baden-Württemberg befürchten Distler und die FDP. Der Mediziner findet, solche Kostensteigerungen, ohne dass mehr Abgeordnete ein mehr an Demokratie bringen, sei in Zeiten angespannter Haushalte nicht zu erklären. Distler schlägt vor, die Sollgröße des Landtags auf nur 68 Abgeordnete zu verkleinern und gleichzeitig die Wahlkreise für die Landtagswahl so verändern, dass sie mit den Bundestagswahlkreisen deckungsgleich sind. Damit würden sich die Wahlkreise von 70 auf 38 verringern.

Aber Wahlrechtsreformen sind nicht gerade politische Gassenhauer und deshalb läuft der Bürgerentscheid gegen die drohende Vergrößerung des Parlaments sehr langsam an. Anfang Dezember hatten knapp 57.000 Menschen unterzeichnet. Distler müsste bis Februar jedoch 770.000 zusammenbringen, was zehn Prozent der Wahlberechtigten entspricht. Das wird schwierig. Vereine wie Mehr Demokratie fordern seit langem, die Hürden für Bürgerentscheide in Baden-Württemberg zu senken.

Im Februar entscheidet das Verfassungsgericht über das Bürgerbegehren der FDP. Bekommen sie recht, könnte ein zweiter Aufschlag erfolgen.

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