: Nicht mal mehr Brot, Bett und Seife
Neue Bescheinigungen an ausreisepflichtige Dublin-III-Fälle schreckenFlüchtlingshelfer in Hamburg auf. Sie befürchten, dass damit die Streichung aller Leistungen nach dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz vorbereitet wird
Von Lotta Drügemöller
Im Norden hält man sich bedeckt. Wie man das neue Asylbewerberleistungsgesetz auslegen werde, dazu sei man noch in der Vorbereitung und der Prüfung, heißt es von Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Eine Bewertung gibt es nicht.
Das Bundesgesetz, um das es geht, ist knallhart, wenn man es ernst nimmt. Wer nach Dublin-Regelung ausreisepflichtig ist, der soll „keinen Anspruch auf Leistungen“ mehr haben. „Längstens“ für einen Zeitraum von zwei Wochen sollen hilfebedürftige Ausländer noch Überbrückungsleistungen bekommen: Unterkunft und Verpflegung, keinesfalls Geld. Danach soll auch diese humanitäre Grundversorgung („Brot, Bett, Seife“) eingestellt werden. Allenfalls „in Härtefällen“ – konkret genannt werden Kinder – könnten auch über die zwei Wochen hinaus Sachleistungen gewährt werden.
Der Gedanke dahinter: Weil die Person anderswo in Europa Asyl beantragen muss, kann sie auch anderswo Sozialleistungen beziehen. Der Hintergedanke: Wenn es in Deutschland nichts mehr gibt, dann gehen sie vielleicht, diese Geflüchteten.
Am 31. Oktober ist das Gesetz in Kraft getreten. Auf seiner Grundlage in die Obdachlosigkeit entlassen oder von der Verpflegung ausgeschlossen wurde – soweit bekannt – noch niemand.
Ein erstes sichtbares Zeichen für Vorbereitungen scheint jedoch ein neuer Bescheid zu sein, der in Hamburg zuletzt an Asylbewerber geschickt wurde: Eine „Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht gemäß der Dublin-III-Verordnung“. Mehrere Menschen sind damit in der Asylberatungsstelle Fluchtpunkt in Hamburg aufgelaufen. Es sei ein „Fantasiepapier“, sagt dessen rechtlicher Berater Heiko Habbe dazu: Das Gesetz sehe so eine Bescheinigung nicht vor.
Eigentlich, erklärt er, müssten die Betroffenen eine Duldung bekommen: Die Dokumente würden schließlich von der Ausländerbehörde zu einem Zeitpunkt ausgestellt, an dem es noch reale Abschiebehindernisse gibt – Flugtermine müssen abgestimmt, die Zustimmung des Aufnahmestaates zu einem konkreten Überstellungstermin muss noch eingeholt werden. Solche tatsächlichen Abschiebehindernisse sind klassische Duldungsgründe.
Der Rechtsexperte geht deshalb davon aus, dass die Bescheinigungen ausgestellt werden, um die Streichung von Leistungen nach dem neuen Gesetz vorzubereiten. Entsprechend aufgeschreckt reagieren einige Helfer von Geflüchteten; die Linke hat eine Anfrage zum Thema an den Senat gestellt. Die Antwort bleibt weitgehend vage – man bereite sich auf das neue Gesetz vor. Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion der Linken ist damit nicht zufrieden: Der rot-grüne Senat verschweige, „dass er längst Bescheinigungen über die Ausreisepflicht ausstellt und zeitgleich einfach keine Leistungen mehr erbringt“, wirft sie der Landesregierung vor.
Tatsächlich legen vereinzelte Berichte nah, dass einigen Familien nach Erhalt der „Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht“ bereits das Geld gekürzt wurde – ohne zusätzlichen Bescheid von einer Behörde, das Geld wurde einfach nicht mehr überwiesen.
In der Hamburger Innenbehörde weiß man nichts von solchen Fällen. Auch beim Hamburger Flüchtlingszentrum sind keine entsprechenden Fälle vorgekommen. Die Gründe für die kolportierten Einzelfälle lassen sich nicht endgültig nachvollziehen – mangels Bescheid und auch, weil die betroffenen Familien anonym bleiben wollen.
Doch auch unabhängig von der tatsächlichen Streichung sieht Ensslen die Haltung Hamburgs als ein Wegducken vor den kritischen Punkten des Gesetzes. „Mit ein bisschen Mut“, so Ensslen, „kann man beschließen, eine offenkundig verfassungswidrige Regelung nicht umzusetzen – Rheinland-Pfalz macht es vor.“
Tatsächlich hat Rheinland-Pfalz eine Art Auslegungserklärung zum neuen Gesetz für seine Landkreise und Städte erstellt, die nur als Absage gelesen werden kann: Besser nichts ändern, so das Fazit, oder so wenig wie möglich. Das Gesetz, so schreibt es das Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration, kollidiere in mehreren Aspekten mit europäischem Recht und dem Grundgesetz. Das Verbot, Geldleistungen zu gewähren, widerspreche der europäischen Aufnahmerichtlinie.
Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der Hamburger Linken-Fraktion
Auch der Hamburger Rechtsexperte Habbe kritisiert, dass das Gesetz mit geltender Rechtssprechung im Konflikt stehe: Der Europäische Gerichtshof hat erst 2021 entschieden, dass Asylsuchende bis zur endgültigen Entscheidung ihres Asylantrags zumindest ein Mindestmaß an Leistungen gewährt bekommen müssen. Allein die Feststellung, dass nach Dublin-III ein anderer Staat zuständig ist, ist keine endgültige Entscheidung über den Asylantrag.
Die Nord-Bundesländer halten sich auf taz-Anfrage mit einer Bewertung des Gesetzes zurück. Schleswig-Holstein spricht davon, die rechtlichen Hinweise aus Rheinland-Pfalz zu prüfen; auch in Hamburg scheint man nicht voll von der Rechtmäßigkeit überzeugt zu sein: Die Sozialbehörde prüfe „die Anwendbarkeit der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf die neuen Regeln“, heißt es.
Am Ende seiner Antwort auf die Anfrage der Linken verweist der Senat auf seine alte Fachanweisung von 2022 – auch dort gibt es einen Abschnitt zu Leistungen für ausreisepflichtige Dublin-Fälle. Demnach soll „hilfsbedürftigen vollziehbar Ausreisepflichtigen (…) im Rahmen der Härtefallregelung im Regelfall weiterhin Überbrückungsleistungen bis zur tatsächlichen Ausreise gewährt werden“. Auf die besondere Verschärfung des neuen Gesetzes geht der Senat damit nicht ein. Aber die Grundrichtung erscheint klar: Das Existenzminimum wird nicht angetastet.
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