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Misogynie in Berliner Theatern„Durch Lieb ein Weib zu töten“

Gewalt gegen Frauen ist aktuell ein großes Thema auf der Bühne – mal wird es besser, mal schlechter umgesetzt. Eine Theaterrundreise durch die Hauptstadt.

Erinnerung an Dorata L.: „Der Zähmung Widerspenstigkeit“ am Deutschen Theater in Berlin Foto: Walkenhorst/DT

Verliebt, verheiratet, misshandelt. So geht es Julie in „Liliom“. Ferenc Molnár schrieb das Drama 1909. Da dauerte es noch zehn Jahre, bis in Deutschland die Demokratie eingeführt wurde und Frauen wählen durften. Julie verliebt sich in Liliom. Wenig später sind sie verheiratet, und Julie ist schwanger. Liliom ist inzwischen arbeitslos, und die Lebensumstände sind prekär. Liliom schlägt Julie. Immer wieder.

Die Rechtspsychologin Luise Greuel nennt in ihrem Forschungsprojekt „Gewalt­eskalation in Paarbeziehungen“ aus dem Jahr 2009 eine Konstellation, wie Ferenc Molnár sie in „Liliom“ konstruiert hat, „einen „Lebensbankrott“. Da steige „das Risiko einer zunehmenden psychischen Destabilisierung des Gefährders und damit das Risiko eines Tötungsverbrechens“.

Der ungarische Dramatiker be­endete die Gewaltspirale, indem er Liliom nach einem missglückten Raubüberfall den Suizid wählen ließ. Die Fachanwältin für Straf- und Familienrecht Christina Clemm stellt in ihrem 2020 erschienenen Buch „Akteneinsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt“ acht reale Fallgeschichten vor. Molnárs dem Leben abgeschaute Fallgeschichte würde sich weit über hundert Jahre nach ihrer Entstehung nahtlos in Clemms Sachbuch einfügen.

Nur Lilioms Freitod wäre in der Realität etwas ungewöhnlich, zeigen doch empirische Studien, dass in einem vergleichbaren Kontext Männer die (oft tödliche) Gewalt meist nicht gegen sich selbst richten, sondern explizit gegen die (Ex-)Partnerin.

2023 wurden in Deutschland laut Lagebild des BKA über 180.000 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. 155 Frauen überlebten es nicht. Molnárs Rummelplatz-Stück ist also, gerade wenn es um die Beziehungsdynamik geht, zeitlos-aktuell und bringt gleichzeitig eine Thematik auf die Bühne, die gesellschaftlich gerne unter den Tisch gekehrt wird. Bis der nächste Femizid die Öffentlichkeit für kurze Zeit erschüttert.

Jeder Schlag eine Theaterverabredung

Nun hat Christina Tscharyiski „Liliom“ am Berliner Ensemble (BE) in einer Neuübersetzung von Terézia Mora herausgebracht. Liliom und Julie bleiben bei ihr im dunkel-poetischen Bühnenbild von Dominique Wiesbauer wie in einer Blase stecken. Jannik Mühlenweg und Lili Epply agieren in Kombination mit der Live-Musik von Kyrre Kvam und einer Räume nur andeutenden Lichtregie (Hans Fründt) wie in einer Traumsequenz.

Ästhetisch ergeben sich so immer wieder besondere Momente, eine einsam-verdichtete Rummelplatz-Atmosphäre wird erschaffen, aber es fehlt an Unmittelbarkeit. Hier aber bräuchte es Dringlichkeit in der Darstellung. Und vielleicht auch eine Kontextualisierung. Denn während im BE jeder Schlag Lilioms eine Theaterverabredung ist, werden zur selben Zeit hinter deutschen Wohnungstüren Frauen getreten, geschlagen und vergewaltigt.

Liest mensch „Femizide. Frauenmorde in Deutschland“ (2022) von Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes sowie „Gegen Frauenhass“ (2023) von Christina Clemm, öffnet sich ein Abgrund von systematischer Gewalt gegen Frauen, die von Politik, Polizei, Justiz und Gesellschaft oft individualisiert und somit verharmlost wird. Theater kann hier Bewusstsein schaffen und tut es in dieser Version von „Liliom“ zu wenig.

Im Deutschen Theater in Berlin (DT) baut sich derweil die Zahl 938 bühnenhoch vor dem Publikum auf. Benannt wird damit die Anzahl aller versuchten sowie vollendeten Femizide im vorletzten Jahr. Konkret wird in „Der Zähmung Widerspenstigkeit“ an Dorota L. erinnert, die 2020 von ihrem Ex-Partner in einem Teich ertränkt wurde. Als Reminiszenz an sie gibt es einen Mini-Teich auf der Bühne. Der Wachturm, der in der Mitte steht, erzählt vom Kontrollwahn der Männer, die ihre Partnerin als Besitz begreifen, rund um die Uhr überwachen, demütigen, misshandeln und als letzte Konsequenz ihrer Machtdemonstration töten, wie Wolfgang L.

„Manchmal stirbt eine …“

Katja Brunner „zerschreibt“ in ihrem Text für das DT William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ und gibt gleichzeitig Dorota L. eine Stimme. Immer wieder hinterfragt die Schweizer Autorin eingeschliffene Sprachmuster und schreibt sie um. Ihr Sprachrohr sind sieben sprachgewaltige DT-Schauspielerinnen von Maren Eggert bis Regine Zimmermann. Dorota L. begegnet also Katharina, die Ende des 16. Jahrhunderts das erste Mal eine Bühne betritt und, weil Shakespeare es will, von ihrem Ehemann systematisch gedemütigt wird.

Petruchio sagt: „Dies ist die Art, durch Lieb ein Weib zu töten, so beug’ ich ihren harten, störrischen Sinn.“ Derselbe Inhalt, nur etwas anders formuliert, ist fünfhundert Jahre später immer noch en vogue. Brunners Frauenfiguren machen sich Luft: „Ich rede davon, dass uns in der Schule nicht eine Trauerminute gegeben wird für jede von ihrem Ex-Mann getötete Frau.“ Und sie singen ein Lied: „Manchmal stirbt eine mit Vorzeichen, die zu lesen keinem reichen. Manchmal stirbt eine auf dem Nachhauseweg, macht ja nix, raus aus dem Geheg … “

Pınar Karabulut setzt in ihrer Regie auf Empowerment. Die gewaltige Energie, die sich von der Bühne in den Saal ergießt, sollte es rausschaffen auf die Straße, in den Bundestag, in die Justiz, zur Polizei und in die Jugendämter. Denn der Protest gegen Misogynie ist, obwohl die Hälfte der Bevölkerung betroffen ist, in diesem Land keine Massenbewegung.

In der Schaubühne entwickelt Maja Zade wiederum die Figur einer Abgeordneten, die sich für den Erhalt eines Frauenhauses einsetzt. In „changes“ spielt Anna Schudt die professionelle, zugewandte Politikerin Nina. Jörg Hartmann sitzt ihr als Frau gegenüber, die im Frauenhaus endlich Ruhe gefunden hat und in Ruhe gelassen werden will.

Zade hat 23 Rollen für zwei Spielende entwickelt. Regisseur Thomas Ostermeier gibt seinen Stars ein paar Requisiten und konkrete Spielnuancen in die Hand, um im Minutentakt die Figur zu wechseln. Nina aber ist zentral. Ihr Frauenhaus-Thema durchzieht das Stück und wird konkret. Fakt ist, dass es in Deutschland immer noch viel zu wenig Frauenhäuser gibt. Die bestehenden sind konstant unterfinanziert, und von einem Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz ist Deutschland meilenweit entfernt.

Vom Gesetz gedeckt

RichterInnen haben immer wieder Verständnis für die (vermeintlichen) Beweggründe eines Täters, der Gewalt gegen seine (Ex-)Partnerin ausgeübt hat, erfährt mensch bei der Sachbuch-Lektüre. In „Sweeney Todd“, einem Stephen-Sondheim-Broadwaý-Hit aus den 1970ern, wird man mit der Figur eines skrupellosen Richters konfrontiert, der einen Friseur nur darum hinter Gitter bringt, um dessen Frau vergewaltigen zu können. Er bestellt sich zum Vormund der Tochter und möchte sie heiraten, damit er sie vom Gesetz gedeckt vergewaltigen kann.

An der Komischen Oper gibt Jens Larsen einen cis-Mann, der macht- und kontrollversessen sowie triebgesteuert ist und für den Frauen Besitz bedeuten. Es ist das immer wieder auftretende Täterprofil, wenn von Männern die Rede ist, die Frauen gegenüber gewalttätig werden. Solange Frauenfeindlichkeit gesellschaftliche Akzeptanz findet – und wir leben in Zeiten eines starken Backlashs –, ist jede Inszenierung, die Misogynie thematisiert, automatisch politisch.

In „Sweeney Todd“ setzt Regisseur Barrie Kosky auf eine mehr als schonungslose Darstellung des Vergewaltigers. Denn das Theater steht hier in der Verantwortung. Das ist Chance und Aufgabe zugleich.

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