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Die WahrheitVerwarnung für Krawallwürste

Friedlich und höflich soll es zugehen im Vorfeld der Bundestagswahlen. Unterwegs mit dem Wahlkampf-Schiri, der als Tugendrichter alles im Griff hat.

Hauptwahlkampfrichtermittel ist die gelbe Karte Foto: Reuters

Mit hochrotem Kopf bläst Dr. Severin Winkler in seine Schiedsrichterpfeife. Nach der dritten Ermahnung langt es dem Referee für Anstand und politische Fairness endgültig. Der Mann in brandneuen Fußballschuhen und schwarzem Trikotsatz zeigt Markus Söder für seine Aussage, Habeck sei ein „hirndappiger Pfundshammel“, die gelbe Karte.

Was das bedeutet, ist dem bayerischen Ministerpräsidenten längst klar. Entweder muss er im voll belegten Festzelt auf dem Nürnberger Hauptmarkt demonstrativ eine von Winklers veganen Weißwürsten hinunterwürgen oder es setzt eine mehrwöchige Wahlkampfsperre. Da Deutschlands „Oberster Polit-Schiri“ auch Söders Entourage bereits wegen Grünen-Bashings verwarnt hat, wagt es niemand, gegen die Tatsachenentscheidung Protest einzulegen.

Dass der Bundestag Winkler qua Eilgesetz mit weitreichenden Bestrafungsmechanismen ausgestattet hat, findet der Ex-Verfassungsrichter genau richtig. „Den vollmundigen Versprechungen der Parteien zu gegenseitigem Respekt müssen nun auch Taten folgen. Seitdem ich letzte Woche Alexander Dobrindt wahlkampftechnisch zum Duschen geschickt habe, weiß die ganze Bagage, dass Verunglimpfungen und Beschimpfungen nicht toleriert werden“, raunt uns Winkler auf dem Weg zum Ausgang gutgelaunt zu.

Während die nervöse Menge aus Unionsgetreuen vor dem studierten Rechtswissenschaftler instinktiv eine Gasse bildet, übergibt Winkler die Spielleitung seinem Assistenten. Nach kurzer Fahrt ins benachbarte Greding steigen wir vor dem örtlichen Hippodrom aus Winklers Hightech-Übertragungswagen. Der Jurist will dem AfD-Landesverband Bayern einen Überraschungsbesuch abstatten. Dass die blaubraunen Krawallbürsten sich an der Friedensübereinkunft der übrigen Parteien nicht beteiligen wollen, ist laut Winkler für eine Sanktionierung völlig unerheblich. Zur lückenlosen Dokumentation der Vergehen hat der 41-Jährige gleich mehrere Kamerateams mitgebracht.

Berliner Keller

„Weil ich nicht jedes verfassungswidrige Kennzeichen sofort im Blick haben kann, bin ich auf Meldungen aus dem Berliner Keller angewiesen“, fachsimpelt der Sittenwächter. „Blitzschnell zum Gruß hervorgestreckte und wieder eingeklappte Arme kann ich mir so in aller Ruhe nochmal anschauen.“

Als wir den Saal betreten, werden die rotweißen Retro-Wandbanner aus den Dreißigerjahren gerade hektisch von den Wänden gezerrt. Von der eingeladenen Doppelspitze ist nur Tino Chrupalla nach Franken gekommen. „Frau Weidel absolviert wegen etlicher persönlicher Verfehlungen gerade ein Pflichttraining in Sozialkompetenz bei der VHS Menden“, verrät uns Winkler.

Der AfD-Vorsitzende ist derweil inmitten einer wild fuchtelnden Geste eingefroren. „Chrupalla steht seit seiner Schwalbe beim angeblichen Attentat auf der AfD-Kundgebung in Ingolstadt unter verschärfter Beobachtung“, erklärt uns Winkler spitzfindig.

Ein auf die Bühne geworfener Teddy in HJ-Uniform, der den Lausitzer am Arm trifft, sorgt für das Auflösen seiner Erstarrung. Chrupalla bricht nach drei Schrecksekunden plötzlich schreiend zusammen und rollt im scheinbaren Todeskampf über die Bretter wie Neymar zu seinen besten Zeiten. Für Winkler eine grobe Unsportlichkeit, die er augenblicklich mit Rot ahndet. „Laut Reglement kann sich der Malermeister aus Krauschwitz nun auf eine mehrmonatige Wahlkampf-Zwangspause gefasst machen“, freut sich der Moralapostel. Damit sei seine Arbeit im Hippodrom eigentlich getan und ein Verweilen im miefigen Nazitempel nicht mehr notwendig.

Aufholjagd der FDP

Bis ins Stuttgarter Opernhaus, wo die FDP zur großen Aufholjagd bläst, sind es knapp zwei Stunden. Der Verwendung von martialischen Begriffen aus dem Zweiten Weltkrieg und anhaltender Schummeleien zum Trotz, will Winkler das Spiel hier einfach laufenlassen.

„Als Tabellenletzter und Absteiger vom Dienst bestrafen sich die Liberalen überwiegend selbst“, stellt der Tugendrichter klar. „Durch meine Anwesenheit will ich lediglich sicherstellen, dass Parteichef Lindner nicht wieder sagt, er sei bei etwas nicht dabei gewesen und wisse von nichts.“

Dass sich Winkler wegen der inhaltlichen Irrelevanz der Veranstaltung hier schon mal auf das große Kanzlerduell vorbereiten kann, findet der Advokat praktisch. „Wegen Merz’ möglicher Ausführungen über Homosexualität und Sozialtourismus und Scholz’ Schimpftriaden auf Plattdeutsch wird das wohl eine ganz andere Nummer.“

Gegen eine Teilnahme von Robert Habeck an einem möglichen Triell hätte Winkler, der seine Pfeife dann gegen eine Hochleistungs-Gashupe eintauschen würde, nichts einzuwenden. „Ganz im Gegenteil“, reibt sich der Ordnungshüter mit dem locker sitzenden Kartensatz die Hände. „The more, the merrier!“

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