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Roman „32. August“Die Landschaft in mir

In wirren Zeiten hat Mischa Kopmann einen ruhigen zeitlosen Sommerroman geschrieben: „32. August“ entfaltet eine ebenso vertraute wie vergangene Welt.

Ob Leo und sein Großvater die riesigen Rauchpilze auch gesehen haben? Waldbrand in der Lüneburger Heide im August 1975 Foto: Wolfram Ehrhardt/dpa

Nein, Leo möchte nicht rauchen. Er ist 13, da hat das noch Zeit. Und sein Großvater steckt die Schachtel, die er ihm eben noch verschwörerisch hingehalten hat, kommentarlos wieder weg. Er selbst raucht in aller Ruhe auf, er kurbelt das Seitenfenster wieder hoch, startet den Motor, drückt aufs Gas – und auf geht es in den Tag.

Es ist ein warmer, auch mal heißer, jedenfalls ein endlos wirkender Sommer irgendwann in den 1970er-Jahren, irgendwo in der Lüneburger Heide. Leo verbringt die Schulferien bei seinen Großeltern, zu Hause gab es Krach, da ist er besser eine Zeit lang woanders. Seine Großmutter ist so warmherzig wie freundlich, folgt aber strengen Regeln, was erlaubt ist und was alles nicht.

Der Großvater dagegen spielte bisher keine Rolle im sommerlichen Alltag. Das hat sich geändert, vor einigen Tagen. Da fragte der Opa morgens: Soll ich den Jungen nicht mal mitnehmen auf meinen Touren? Er ist schließlich Vertreter von Beruf. Das Erste, worüber Leo sich wundern wird: dass die Menschen seinen Großvater überall „Jerry“ nennen, wenn sie ihm einen Kaffee und später einen Schnaps hinstellen, damit das Reden weitergehen kann. Dabei heißt der Großvater doch Wilhelm Gustav August.

„Es ist mein schönster und bester Roman, den ich bisher geschrieben habe“, sagt Mischa Kopmann. Der Stolz und die Zufriedenheit sind ihm anzusehen.

Ich möchte Bücher schreiben, die man genauso gut vor 50 Jahren hätte schreiben können oder in 50 Jahren – ohne modernen Schnickschnack

Mischa Kopmanns literarisches Credo

„Haus in Flammen“ war sein zuletzt erschienenes Buch, 2022 veröffentlicht; ein eher rauer, in kurze, manchmal fast hektische Kapitel aufgeteilter Episodenroman, eine jugendliche Dreier-Geschichte vor dem Hintergrund der damaligen Fridays-for-Future-Welle. In der Absicht erzählt, schreibend zu erkunden, was geschieht, wenn sich Liebe und Freundschaft in die Quere kommen und wie weit man geht, um seinen Idealen treu zu bleiben.

„Diese Aspekte sind nicht beachtet worden“, sagt der Autor heute, „alle haben nur die Klima-Nummer gesehen.“ Er will niemandem einen Vorwurf machen, selbstverständlich könne man ein Buch so lesen, wie man wolle. Aber: „In diese Falle wollte ich nicht noch einmal laufen“, sagt Kopmann. Immerhin lautet sein schriftstellerisches Credo: „Ich möchte Bücher schreiben, die man genauso gut vor 50 Jahren hätte schreiben können oder in 50 Jahren – ohne modernen Schnickschnack.“

So wird „32. August“ vom ersten Erzählmoment an von bedrückender Rücknahme und einer erstaunlichen Langsamkeit getragen, wobei es passend einen biografischen Funken gab, der das Geschehen auf schlichte, schöne Weise entzündete: „Ich hatte einen Cousin, der aus Gründen, die nie ganz klar wurden, seine Sommer bei seinen Großeltern verbringen musste“, erzählt Kopmann. „Ich habe ihn da manchmal für ein, zwei Tage besucht.“ Und eben hier sei die Großmutter die dominante Person gewesen, herzlich, aber streng; der Großvater dagegen überwiegend abwesend, blieb entsprechend lange eine blasse, schwer fassbare Figur.

Aus diesem Dreieck einer resoluten Großmutter, ihrem mysteriösen Mann und dem langsam heranwachsenden wie erwachenden Ich-Erzähler zaubert Kopmann nun einen im klassischen Sinne romantischen Sommerroman von fast Eichendorff’scher Eleganz: Alles, was geschieht, jede Autofahrt, die absolviert wird, jeder Tag, der mit dem Abend endet, erhält einen eigensinnigen Glanz.

Der Roman

Mischa Kopmann: „32. August“. Osburg Verlag, Hamburg, 2025. 192 Seiten, 22 Euro

Auf harte Schnitte, rapide Szenen- oder Perspektivwechsel verzichtet Kopmann. Man sitzt da und schaut lesend zu, wie sich nach und nach eine Welt entfaltet, die einem ebenso vertraut wie aus der Zeit gefallen anmutet: ohne Termindruck, ohne wichtige Nachrichten, ohne die Idee, in der nächsten Stunde ein effektiverer Mensch werden zu müssen: „Dann, plötzlich, war die Landschaft in mir. Und nicht nur das: Ich wusste, sie würde für immer in mir bleiben.“

Geholfen beim Schreiben dieses so ruhigen wie konsequenten Enkel-Großvater-Roadmovies hat Kopmann ein Stipendium: „Reinhard Möller war der einzige Celler Künstler mit einigermaßen Bedeutung in der Nachkriegszeit“, erzählt Kopmann. „Er kam aus einer wohlhabenden Familie, ist jung verstorben, und er hat sein Vermögen und auch sein Wohnhaus mitten in der Innenstadt einer Stiftung vermacht.“

Diese RWLE-Möller-Stiftung fördert nun also Kunst und Literatur, zwei Stipendienwohnungen stehen zur Verfügung, eine eher repräsentative und eine ganz schlichte unterm Dach – die konnte Kopmann ein Jahr lang nutzen, wollte er auch mal woanders sein.

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