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Christa Wolfs „Medea“ in LübeckPulli muss Medea tragen

Zino Wey hat für die Bühnenfassung die Ostalgie aus Christa Wolfs „Medea. Stimmen“ getilgt. Gezeigt wird sie in Lübeck als ein Drama über Fremdenhass.

Medea steht auch in Lübeck allein. Aber Lilly Gropper spielt sie nicht als Monster, sondern als einsame Heldin der Aufklärung Foto: Katrin Ribbe/THL

Die Bühne ist aufgerissen, aus den Tiefen steigen bedeutungsvoll­ Nebelwölkchen auf, dahinter erhebt sich ein Grabhügel, darüber tanzen Bürolichtleisten. Archaisch bis modern erscheint auch das Personal in den Kammerspielen des Theaters Lübeck.

Ein Chor intoniert Fragen oder ­Kommentare – wie sich das für antike Tragödien gehört. Lilly Gropper aber steht als Hauptfigur Medea mit unsicher verknoteter Physis da in einem kunterbunten Pullover Marke selbstgestrickt.

Eine Geflüchtete ist sie, der Gewalt in Kolchis entkommen, und wird zur Ausgestoßenen in Korinth, weil sie sich den Lügen des herrschenden Systems verweigert und eine Leiche im Keller publik macht. Voller Wut konzentriert sie ihre Energie, um sich nicht als Opfer, sondern als aktives Subjekt unabhängig von misogynen Zuschreibungen in der Welt zu verorten.

Rebellisch, rhetorisch gewandt und zielstrebig tritt sie auch in einem nervtötend heutigen Beziehungsknatschdialog mit ihrem Gatten Jason auf und erinnert sich an das Verliebtheitsglück. In ­Lübeck ertüchtigen die beiden Ex-Turteltauben mit Christa Wolfs „Medea. Stimmen“ den Mythos für die Gegenwart.

Geschichte wird gemacht

Regisseur Zino Wey zeigt damit, dass Geschichtsschreibung auch mittels dramatischer Literatur immer interessengeleitet und daher zu hinterfragen ist.

Leider wurde nicht überliefert, warum Euripides in seiner Medea-Tragödie Rufmord betrieben und die sagenhafte Zauberin als antizivilisatorische Furie dargestellt hat. Seine Deutung schreiben bis heute die meisten Adaptionen fort. Vielleicht ging es darum, ihre ­matriarchale Kraft zu bannen.

Dank Wolfs Romanvorlage ist sie in Lübeck nicht als maßlos eifersuchtstrunkenes Ungeheuer, sondern als eine sich wohlüberlegt emanzipierende Frau zu ­erleben. Entsühnt von den ihr zugeschriebenen Taten: Nicht sie hat ihre Kinder gemordet, sondern ein aufgeputschter, xenophober Mob die beiden Jungs zu Tode gesteinigt. Nicht sie hat ihre Nebenbuhlerin getötet, sondern diese große Unglückliche sich selbst. Nicht sie hat ihren Bruder zerstückelt, sondern ihr königlicher Vater ihn einem tödlichen Ritual übereignet, damit seine Herrscherposition nicht von der nachwachsenden Generation gefährdet wird.

Aus Wolfs monologischem Text gewinnt die Lübecker Fassung sogar Interaktion Foto: Katrin Ribbe/THL

In dieser neuen Sicht auf die tradierte Narration ist wenig Platz für differenziert gezeichnete Nebenfiguren. Mit Leukon gibt es nur eine Figur, die auch in Ambivalenzen denken kann, aber aller Einsichten zum Trotz nur in Melancholie versinkt, statt zu handeln. Jason kommt als ein mit Lametta behängter Cowboy daher, der sich der Korinther Königsfamilie andient und Medea verlässt, um selbst Karriere zu machen.

Schauspiel „Medea.Stimmen“

Theater Lübeck, Kammerspiele. Nächste Aufführungen am 14. 12., 24. und 30. 1., jeweils 20 Uhr, sowie am 12. 1., 18.30 Uhr

Der in einem güldenen Kostüm protzende Akamas ist als Gerüchtestreuer ein eitler Diener seines Königs. Aber auch Medeas Exfreundin Agameda wurde aus Eigennutz zur Machtschleimerin und kommt dabei besonders opportunistisch über die Rampe. Mit welch energischer Präsenz und Spielpräzision ­Astrid Färber den Text gestaltet, ist schauspielerisch der Höhepunkt des Abends.

Macht und Mord

Machtarbeit desavouieren, darum geht es ins Lübeck. Und beispielhaft wird der soziale Mechanismus aufgezeigt, wie unangepasste Zu­wan­de­r:in­nen zu Sündenböcken für gesellschaftliche Fehlentwicklungen stilisiert werden: Bald steht Medea allein im Bühnenregen als Vertreterin humaner Übereinkünfte und empört sich, dass Macht noch immer auf Mord gründet.

Christa Wolf hat in elf inneren Monologen das Medea-Personal seine Deutungen der Geschehnisse und konkurrierenden ­Interessen formulieren lassen. Die Inszenierung bringt mit sechs Figuren sogar ein wenig Interaktion in die perspektivenreiche Nacherzählung und Aufarbeitung der Geschichte.

Wolf erzählte damit auch vom Ost-West-Clash: Das etwas rückständige, ausgelaugte, politisch zugrunde gerichtete Kolchis trifft auf das reiche, hochentwickelte, selbstsichere, aber seine Vergangenheit verschleiernde Korinth, wo alle von ihrer Überlegenheit überzeugt sind.

Jason glänzt etwas bilig. Der Chor sieht alles Foto: Katrin Ribbe/THL

Aber die Auseinandersetzung, dass nicht alles schlecht in der DDR, nicht alles gut in der BRD war, findet in Lübeck nicht statt. Entsprechend zu deutende Passagen wurden gestrichen. Es geht eher grundsätzlich um den Umgang mit Mi­gran­t:in­nen in ihrer neuen und die Erinnerungen an die alte Heimat.

Die Regie spendiert eine klare, ruhige und daher umso eindringlichere Inszenierung voller aparter Bilder und Schönklanggesang. Sie bringt den Text mit vitalem Ernst auf die Bühne und zeigt die Titelfigur als einsame Heldin empathischer Aufklärung. So wird die Diskussion eröffnet über eine patriarchal geprägte Sicht auf Medea. Etwas für Freunde des Mitdenkens.

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