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Lieben Sie nicht alles Schöne, lieben Sie mich!

Ein heutiger Blick auf DDR-Kontaktanzeigen offenbart unfreiwillige Komik, aber auch viel Erhellendes über das Liebesleben im Sozialismus – und die Sprachschablonen, die eine Zensur erzwingt

Von Sabine Berking

Welches hübsche Mädchen möchte mit solid. Radsportler in Briefwechsel treten?“, wollte ein unbekannter Junggeselle im Jahr 1966 von der Leserinnenschaft der Ostberliner Zeitschrift Das Magazin wissen. Damals war der Radsportler Täve Schur ein Idol. Aber was genau bedeutet der Zusatz „solide“, und warum wünschte der junge Mann nur Briefkontakt?

Angesichts einer erdrückend langweiligen, durchweg zensierten Medienlandschaft waren Kontaktanzeigen wie diese kleine Lichtblicke. Sie boten Unterhaltung, zum einen mit ihrer oft unfreiwilligen Komik, zum anderen, weil es Spaß machte, zwischen den Zeilen nach Codes zu suchen und die Lage des Inserenten zu interpretieren.

Was zum Beispiel war von einem 22-Jährigen zu halten, dessen Interessen aus „Sammeln von Ansichtskarten“ und „Bierdeckeln“ bestanden? Waren derart merkwürdige Hobbys ein Indiz fürs Abtauchen in die innere Emigration? Sonderbar auch der geschiedene 36-Jährige, der sich 1980 eine „moderne, emanzipierte, häusliche und liebe“ Frau wünscht, die die „Fahrerlaubnis besitzen darf“, was aber „nicht Bedingung“ sei. Hatte man ihm etwa die Fleppen entzogen?

Als Leser machte man sich so seine Gedanken. Welche Verbindungen hatte ein 24-jähriger „Cabriolet-Fahrer mit Interesse für Sommer, Sonne, Sport, Auto, Reisen“ aus Zwickau, dem Zentrum der DDR-Autoindustrie? Warum suchte eine junge Dame im Magazin ausdrücklich nach einem „Herrn mit Englischkenntnissen“? Wären nicht Polnisch oder Russisch praktischer gewesen? Und wieso überhaupt „ein Herr“ im Arbeiter- und Bauernstaat?

In der DDR waren Ehe und Familie, wie die Autorin Anne Kaminsky in ihrem 2016 veröffentlichten Buch „Frauen in der DDR“ schreibt, keine Privatsache, sondern sollten laut Gesetz der Entfaltung sozialistischer Persönlichkeiten und dem gesellschaftlichen Nutzen dienen. Doch Anspruch und Wirklichkeit klafften wie in so vielem auseinander. Bis zu 15 Prozent der Erwachsenen lebten laut Volkszählung von 1981 ohne Partner, das konnte den Genossen nicht egal sein. Waren in den Anfangsjahren wie im Westen die Alleinstehenden vor allem Kriegswitwen oder Frauen, die wegen Männermangels keinen Partner fanden, so kam in der DDR seit den 1960er Jahren zunehmend die Scheidungs­einsamkeit hinzu.

In einem Land, in dem nach früher Heirat jede dritte Ehe geschieden wurde, es an Wohnungen ebenso mangelte wie an Freizeitmöglichkeiten, besonders für die vielen alleinerziehenden, voll berufstätigen Mütter, klangen Heiratsannoncen oft wie ein Hilfeschrei: „Mutti, 28/1,60, bld., schl., hübsch, geschieden, sucht zuverlässigen und aufrichtigen Partner.“ Und auch hier sah man den Staat in der Pflicht, so Anne Kaminsky, die Suchenden zu unterstützen und zu schützen. Was bedeutete, dass auch die Annoncen vorab im Sinne des Sozialismus überprüft wurden.

Neben der wachsenden Zahl von Eheberatungsstellen, die Scheidungen verhindern sollten, entstanden in den 1970er Jahren auch zwei staatlich initiierte „Eheanbahnungsinstitute“. Private Initiativen zur Linderung des Single-Notstands wurden hingegen strafrechtlich geahndet. 1981 sorgte der Fall eines Paares für Furore: Die beiden hatten Tausende Inserenten angeschrieben und gegen eine Gebühr von 5 bis 25 DDR-Mark versprochen, dem Glück nachzuhelfen. Dafür gab es ein Jahr Gefängnis und eine hohe Geldstrafe.

Was aber suchten die einsamen Herzen und in welche Sprachschablonen der DDR-Zensur mussten sie ihre Wünsche zwängen? Die „junge Mutti“ verlangte oft einen charakterfesten, aufrichtigen, zuverlässigen, liebevollen und/oder anpassungsfähigen Mann, „handwerkliche Fähigkeiten“ erwünscht, der ihren Kindern Freund und Ersatzvater sein sollte. Nichtraucher und Nichttrinker (NR/N TR) waren eindeutig im Vorteil, lag der Pro-Kopf-Verbrauch in der DDR doch bei 23 Flaschen Schnaps pro Jahr – europäische Spitze. Da es in der DDR nach Scheidungen keinen Versorgungsausgleich für den Partner, lediglich Unterhaltszahlungen für gemeinsame Kinder gab, galt der Wunsch nach einer Versorgungsehe als tabu. Vermögen war offiziell kein Thema. Doch ein von Frauen gesuchtes „Interesse fürs Eigenheim“ wird wohl nur jener Mann pflegen, der eines besitzt oder anstrebt.

Männer suchten mehrheitlich liebe, nette, gutaussehende Frauen, mit Interesse fürs „gemütliche Heim“, Kinder – auch mehrere – waren für die meisten „kein Hindernis“. Humor war selten ein Thema, weder bei Angebot noch bei Nachfrage.

Auffällig, dass der Bildungsgrad – HSA oder FSA (für Hoch- oder Fachschulabschluss) von Männern sehr viel öfter in den Anzeigen angegeben wurde als von Frauen. Auch Männer mit einer „m/l WA“, einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung, kamen häufiger als das weibliche Pendant vor, wobei laut einer Studie des Linguisten Manfred W. Hellmann weniger als ein Prozent der Anzeigen diesen Ideologiezusatz enthielten. Öfter fand sich der Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche – die Machthaber wollten ganz offensichtlich, dass Gottgläubige unter sich blieben, sonst hätten sie derartige Bekenntnisse, die ja der sozialistischen Moral und Weltanschauung zuwiderliefen, gar nicht erst geduldet.

Kinderlose suchten den intelligenten, unternehmungslustigen Partner mit Interessen wie Camping, Motorsport, FKK, (Auslands-)Reisen, Fotografie oder gleich das inflationär gebrauchte „alles Schöne“. Dazu annoncierte ein trotziger Individualist in einer Ausgabe des Magazins: „Lieben Sie nicht alles Schöne, lieben Sie mich!“

Als Meister der Dechiffrierung erkannten die gelernten DDRler, dass Fotografie oder FKK ein Cover-up für freizügigeren Sex sein konnte, und wenn ein „Reiseonkel“ eine „Reisetante“ im Land der Reiseunfreiheit suchte, dann vielleicht gar für eine Ausreise?

Ostberlin, 1973. Ob eine geteilte m/l WA diese Knutschenden zusammenbrachte? Foto: ddrbildarchiv/akg-images

Mit den Jahren wurde der Ton frecher, die Annoncen vielfältiger. In den 1980er Jahren expandierte die Rubrik „Bekanntschaften“ zuungunsten der Heirat, die lediglich „später“ nicht mehr ausgeschlossen war. Jetzt suchte ein „süßer Kater“ ein „Mäuschen“ mit Interesse an Liebe und Erotik, aus „Kind kein Hindernis“ wird „kleine Kakaotrinker willkommen“ – eine Chiffre, dass der Verfasser die US-Serie „Alf“ gesehen hat.

Eine „Germanistin von großem Liebreiz sucht Gefährten mit Bibliothek. Stuhl vorhanden“. „Unkonventionelle, tolerante, impulsive Ehepaare“ suchen Gleichgesinnte zur gemeinsamen Freizeitgestaltung“, ein Swingerclub also. Und auch gleichgeschlechtliche Partnersuche wird immer häufiger, schließlich war der Paragraf 175 in der DDR, anders als im Westen, schon lange nicht mehr strafrechtlich relevant.

Manche Anzeigentexte aus der Zeit kurz vor dem Mauerfall klingen heute, als ahnte man schon, dass der Systemwechsel bevorsteht: „SOS! UFO-Kommandant auf Nullkurs“ oder „Raus aus dem Fuchsbau“ hieß es beispielsweise 1988 im Magazin.

Mit dem Ende der DDR wurden die Zeitungen dicker, schrumpfte die Kontaktsuche, an ihre Stelle rückten Immobilienanzeigen, Finanztipps, Werbung für billige Busreisen. Hunderte neue Wörter mussten die Ostdeutschen laut Linguist Hellmann nun lernen. Mit den neuen Sprachschablonen verschwand die m/l WA, an ihre Stelle rückten die „Unternehmer im IT-Bereich“. Und aus dem HSA wurde immer öfter der Akademiker.

Gefragt war nun der Partner für den Neuanfang – „privat und beruflich“.

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