piwik no script img

Die Lichter, die für Ärger sorgen

In einer spanischen Stadt protestieren Bürger gegen eine ausufernde Weihnachtsbeleuchtung. Es geht um die Umwelt – aber nicht nur

Von Reiner Wandler

Wenn Abel Caballero eines nicht hat, dann sind es Minderwertigkeitskomplexe. „Die Weihnachtsbeleuchtung in New York ist im Vergleich mit uns ein Lehrling“, erklärte der Bürgermeister im nordwestspanischen Vigo stolz.

Eine 300.000-Einwohner Stadt übertrumpft eine Weltmetropole, so gefällt es dem Sozialdemokraten, der einmal mehr bereits Anfang August die Arbeiter losschickte, um die Stadt am Atlantik auf Weihnachten vorzubereiten. Schließlich habe er dank der üppigsten Weihnachtsbeleuchtung auf der iberischen Halbinsel Vigo auf die Weltkarte gesetzt, prahlt Caballero gerne. 11,8 Millionen LEDs tauchen 450 Straßen in gleißendes, buntes Licht. Hinzu kommen 2.318 Bäume mit Lichtergirlanden. Knapp 10 Millionen Euro kostet das die Stadtkasse im Lauf der Legislatur 2023 bis 2026.

Doch mit einem hat der 78-jährige Caballero nicht gerechnet: Dieses Jahr protestieren die Bewohner der Innenstadt. Seit die Lichter am 16. November eingeschaltet wurden, hängen an vielen Balkonen weiße Betttücher, als Zeichen gegen „den Themenpark“ in den sich Vigo einmal mehr bis zum 6. Januar verwandelt. Nachbarschafts- und Kulturvereine sowie Umweltschützer haben eine Initiative gegen „den weihnachtlichen Massentourismus“ und für „das Recht auf Schlaf, Mobilität und Sicherheit“ gegründet. Sie sprechen von „Folter“, wenn sie beschreiben, was sie Jahr für Jahr in den Weihnachtswochen durchleben. Vigo zieht dann so viele Besucher an, wie sonst nie im Jahr. Lärm, Müll, Saufgelage auf den Gehsteigen und Plätzen und mit Fußgängern verstopfte Straßen im Großraum Innenstadt sind die Folgen.

„Niemand ist gegen Weihnachten, aber sehr wohl gegen das Konzept der Stadtverwaltung von Weihnachten, das festlegt, wie wir zu feiern haben“, sagt die Sprecherin der Bürger­initiative Alba Novoa. Caballeros Weihnachtsbeleuchtung und alles drum herum sei „ein Modell, das sich in ein Monster verwandelt hat, das einen Angriff auf jedwede Idee einer nachhaltigen Stadt sowie auf Umwelt und Kulturerbe darstellt“. Bürgermeister Caballero lehnte auch dieses Jahr wieder jeglichen Dialog ab. „Autoritär“ sei die Stadtverwaltung, beschweren sich die Anwohnervereine. Der weihnachtlichen Verschwendungssucht stehe das Fehlen sozialer Leistungen gegenüber.

Dieses Jahr wollte das Bürgermeisteramt gar einen 200 Jahre alten Olivenbaum, eines der Wahrzeichen der Stadt Vigo, weihnachtlich erstrahlen lassen. Die Girlanden hingen bereits. Drei Tage vor Beginn des Lichterfestes wurden sie, als Zugeständnis an die Protestierenden, abgehängt. Sie seien aus Versehen dort aufgehängt worden, hieß es aus dem Bürgermeisteramt.

Die Ansammlung von Besuchern, Lärm und die ständigen Lichter haben nicht nur auf die Menschen ihre Auswirkungen, sie schaden auch der urbanen Fauna. Viele der nun beleuchteten Bäume dienen normalerweise Vögeln als Rückzugsort. „Sie müssen andere, abgelegene Orte finden, an denen sie schlafen können, was einen entsprechenden Energieaufwand mit sich bringt“, erklärt die Koordinatorin des SEO/BirdLife Urban Biodiversity Program, Beatriz Sánchez.

Viele der jetzt beleuchteten Bäume dienen Vögeln normalerweise als Rückzugsort

Weder Klimakrise noch Inflation und Energieprobleme als Folge des Ukrainekrieges konnten dem Weihnachtsrausch etwas anhaben. Es wird weiter beleuchtet, was nur zu beleuchten geht. Vigo ist dabei nicht alleine. Auch andere Städte hat der Lichterrausch gepackt. In der südspanischen Hafenstadt Cádiz wurde dieses Jahr der Haushaltsposten für Weihnachtslichter erhöht. Es werden jetzt 17 Euro pro Einwohner und Jahr und damit doppelt so viel wie in Vigo ausgegeben.

In Madrid und Barcelona wird die Weihnachtsbeleuchtung Jahr für Jahr etwas länger eingeschaltet. Mittlerweile sind es in den beiden größten Städten Spaniens 45 Tage – sehr lange, aber immer noch eine Woche weniger als in Vigo. Alleine durch die Stromerzeugung für die Lichter in Vigo fallen 800 Tonnen CO2 an, so die Berechnung der spanischen Umweltschutzorganisation Amigos de la Tierra. In ganz Spanien ist es ein Vielfaches.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen