das wird: „Es kam überall zu guten Begegnungen“
Das Projekt „Überlandschreiberinnen“ hat literarisch-soziologische Feldforschung betrieben
Interview Frida Schubert
taz: Worum genau ging es bei dem Projekt Überlandschreiberinnen, Herr Leistner?
Alexander Leistner: Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Uni Leipzig und drei Autorinnen. Das Modell ist, dass man vor Ort ist und über das schreibt, was man sieht. Es dokumentiert dabei auch die Landtagswahlen und Umbrüche, die in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gerade geschehen. Wir wollten so eine andere Sprache finden, für Dinge, die in Ostdeutschland passieren. Natürlich haben wir auch ein wissenschaftliches Interesse. Diese komplexen Umbrüche wollen wir durch eine Montage von Beobachtungen beschreiben.
taz: Gibt es ein Ergebnis?
Leistner: Der Forschungsteil ist etwas limitierter in diesem Fall. Es läuft bei uns aber auch viel aus anderen Projekten zusammen. Was wir nebenher an der Uni mitentwickeln, ist ein soziologisches Konzept von Kipppunkten der Demokratie. Das wird durch die Beobachtungen angereichert. Im Idealfall fließen die Erzählungen und die Forschung so ineinander.
taz: Hatten Sie denn ein konkretes Ziel?
Leistner: Wir haben auf jeden Fall einen dokumentarischen Anspruch. Zugleich soll das Projekt produktiv irritieren, indem es den Fokus erweitert. Häufig hat Forschung nur einen Fokus, zum Beispiel die Dauerpräsenz rechtsextremer Demos. Wenn aber die restliche Woche der öffentliche Raum sehr leer ist, erkennt das die Forschung nicht, die nur auf den Montag guckt. Ganz praktisch geschieht auch viel Vernetzung durch das Unterwegs-Sein. Da trifft man dann oft auf unsichtbare Akteure der Zivilgesellschaft, die nicht so im Blickpunkt stehen.
Gespräch mit Alexander Leistner und Manja Präkels von Überlandschreiberinnen, 2. 12., 18 Uhr, Uni Hamburg, Von-Melle-Park 9, Raum S 30, Infos: www.waysacrossthecountry.de
taz: Ist es möglich, gesellschaftliche Entwicklung literarisch zu erfassen?
Leistner: Ich würde sagen: Ja. Es gibt für diese literarische Feldforschung auch Vorbilder wie den bedeutenden Soziologen Siegfried Kracauer. Der hat ja auch in Umbruchzeiten geschrieben. Auf diese Weise erschließen sich ganz andere Perspektiven auf Wirklichkeit.
taz: Wie sind Ihnen denn die Menschen vor Ort begegnet?
Leistner: Das war ganz unterschiedlich. Sicherlich auch wegen der verschiedenen Zugänge der Autorinnen. Barbara Thériault war in der Zeit in einer Stadt und war da dann Lokalreporterin. Das hat natürlich anders Türen geöffnet. Tina Pruschmann war unterwegs, mit dem Fahrrad und ist auch so wahrgenommen worden – als die Frau mit dem Fahrrad. Das war auch gesprächsöffnend. Es kam dadurch überall zu überraschenden, aber durchweg guten Begegnungen.
taz: Sollte das Projekt auch Vorurteile aus dem Weg räumen?
Alexander LeistnerJahrgang 1977, ist Soziologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Leipzig.
Leistner: Wir haben uns von Anfang an freigemacht von den Bildern, die man schon hat und der üblichen Perspektive. Wir haben geschaut, was einem so begegnet. Dadurch sieht man dann auf einmal ganz andere Sachen. Es ging also um neue Blicke und Perspektiven, um neue Bilder. Gleichzeitig sind das aber auch an vielen Stellen alarmierende Beobachtungen gewesen. Also es ging darum, sich zu zwingen zu sehen, was passiert.
taz: Wie geht es mit dem Projekt weiter?
Leistner: Die Reisetätigkeiten sind abgeschlossen, aber das Interesse ist noch da. Wir arbeiten gerade an einem Buch, in dem die Beobachtungen gesammelt und eingeordnet werden.
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