: Jugend schützt vor Pessimismus nicht
Der niedersächsische Demokratie-Monitor untersucht alle zwei Jahre die Einstellungen im Land. Die zentrale Erkenntnis der Erhebung: Das Vertrauen in die Politik schwindet
Von Nadine Conti
Zwei Befunde, sagen die Wissenschaftler vom Göttinger Institut für Demokratieforschung, hätten sie besonders alarmierend gefunden: Das Vertrauen darin, dass Politik in der Lage ist, die aktuellen Probleme wahrzunehmen und zu lösen, sinkt und der Optimismus in die Zukunftsfähigkeit des Landes auch –selbst bei jungen Menschen, die sonst immer ein bisschen optimistischer waren als ältere.
Alle zwei Jahre versucht der niedersächsische Demokratie-Monitor herauszufinden, wie gut sich die Niedersachsen im aktuellen politischen System so aufgehoben fühlen. Dazu werden 1.000 zufällig ausgewählte Menschen über 16 Jahre mit Wohnsitz in Niedersachsen telefonisch befragt. Die Interviews wurden zwischen dem 12. Oktober 2023 und dem 18. Dezember 2023 durchgeführt – also lange vor dem Bruch der Ampelkoalition.
Das muss man hier wohl betonen, weil die Versuchung groß sein könnte, die Ergebnisse mit diesem tagespolitischen Geschehen in Verbindung zu bringen. Die Befragung zeigt aber: Schon Ende 2023 waren die Vertrauenswerte deutlich im Sinkflug.
Nur noch 13 Prozent der Befragten sagten, sie hätten Vertrauen in Parteien, zwölf Prozent sagten das über Politiker – im Jahr 2019 hatten diese beiden Werte noch knapp über 30 Prozent gelegen. Im Gegensatz dazu trauen 79 Prozent der Polizei, 67 Prozent dem Bundesverfassungsgericht und 50 Prozent dem Verfassungsschutz, aber nur noch 40 Prozent den Medien.
Mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) glaubt, dass die Politik die wichtigsten politischen Probleme ignoriere. 32 Prozent trauen der Politik keine Lösung der Probleme mehr zu. Als wichtigste Probleme benannt wurden dabei: Migration/Zuwanderung mit sehr weitem Abstand, die Klimakrise und die steigenden Energiepreise.
Dabei hängen die Zustimmungswerte aber auch stark von der politischen Ebene ab, nach der gefragt wird: Mit ihrer Gemeinde- und Landespolitik sind die Menschen anscheinend erheblich zufriedener als mit der Bundespolitik, die sogar noch schlechter abschneidet als die EU.
Allerdings bietet der Demokratie-Monitor auch beruhigende Botschaften, für denjenigen, der danach sucht. So gibt es in Niedersachsen immer noch hohe Zustimmungswerte für abstrakte demokratische Grundwerte. Die meisten Befragten verorten sich irgendwo in der politischen Mitte und stimmen grundsätzlich der Aussage zu, dass alle Menschen gleiche Rechte haben sollten.
75 Prozent lehnen die Aussage „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“ ab. 62 Prozent glauben, dass für eine Bekämpfung des Fachkräftemangels eine Zuwanderung Hochqualifizierter unverzichtbar ist.
Deutliche Ablehnung gibt es dagegen für klassische rechtsextreme Aussagen wie „Der Stärkere sollte sich durchsetzen“ (72 Prozent), „Das NS-System hatte auch seine guten Seiten“ (86 Prozent), „eine Diktatur wäre die beste Staatsform“ (95 Prozent). Ein geschlossen rechtsextremes Weltbild sieht die Studie dann auch in Niedersachsen noch seltener als im Bundesdurchschnitt.
Aber immer noch rund ein Viertel der Befragten stimmte einzelnen rassistischen Äußerungen zu oder sagt, sie seien es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören. Auch scheinen Niedersachsen einen gewissen Hang zur Autoritätsgläubigkeit zu pflegen, konstatieren die Forscher: Immerhin 35 Prozent stimmen voll und ganz zu, wenn sie gefragt werden, ob man härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen sollte, 19,9 Prozent stimmen eher zu.
Zum ersten Mal untersucht hat die Studie, welche Rolle das Gefühl des Abgehängtseins spielt. Gefragt wurde dabei nach der Zustimmung zu Sätzen wie „Die Menschen in anderen Teilen von Deutschland verstehen und respektieren nicht, wie die Menschen in meiner Region leben“, „Die Politik in Hannover (oder Berlin) hat zu wenig getan, um die wirtschaftliche Situation meiner Region zu verbessern“ oder „Die Politiker in Berlin (oder Hannover) interessieren sich nicht für die Region, in der ich lebe“.
Dabei kam heraus, dass das Gefühl des politisch und wirtschaftlichen Abgehängtseins offenbar verbreiteter ist als das kulturelle Abgehängtsein. Rund um Hannover fühlt man sich weniger abgehängt als im Nordosten. Die Autoren beschreiben einen Halbkreis, der von Lüneburg über Celle und Braunschweig bis nach Göttingen reicht. Dabei scheint einerseits die Erreichbarkeit von zentraler Infrastruktur eine Rolle zu spielen, andererseits aber vor allem mangelnde wirtschaftliche Perspektiven.
Das scheint für die Vertrauensfrage momentan auch entscheidender zu sein als der Rückblick auf vergangene Krisen: Immerhin 68 Prozent der Befragten haben ein positives Bild von der Bewältigung der Coronakrise. Und 66 Prozent glauben an eine ähnlich positive Bewältigung der Klimakrise.
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