: Viel Freude, trotz Hass
Dank Beef mit dem kanadischen Langweiler Drake hat der kalifornische Rapper Kendrick Lamar auf seinem wütenden Album „GNX“ zu neuer Stärke gefunden
Von Marius Magaard
Nach der künstlerischen Selbstentblößung seines Doppelalbums „Mr. Morale & the Big Steppers“ (2022) zog sich der bislang einzige mit einem Pulitzerpreis geehrte US-Rapper Kendrick Lamar dorthin zurück, wo er die fünf Jahre zuvor verbrachte: fernab des Rampenlichts. Wahrscheinlich wäre er dort auch lange geblieben. Doch dann behauptete Lamars Konkurrent J. Cole im Song „First Person Shooter“ Ende 2023 dreist, er und sein kanadischer Song-Coautor Drake wären in einer Liga mit Lamar. „We the big three like we started a league“, hieß es da größenwahnsinnig.
Lamar ließ die denkbar lustigste Reaktion folgen, die er danach zur tönenden Therapiesitzung weiterverarbeiten konnte: „Motherfuck the big three, it’s just big me“, schoss er Anfang 2024 zurück. Cole wollte Beef vermeiden und warf bald das Handtuch. Doch Drake, in puncto Medienpräsenz und kommerziellem Erfolg der gefühlt größte nordamerikanische HipHop-Star, konnte das so nicht stehen lassen. Und trat mit seinen Beleidigungen in ein Wespennest. Im Sommer folgte eine historische Schlammschlacht. Sie gipfelte in Lamars bis dato größtem Hit: „Not Like Us“, eine clubtaugliche West-Coast-Hymne, in der er sich als der blutüberströmte Sieger im Kampf gegen seinen Kontrahenten Drake darstellte, den er als pädophilen Kolonialherrn bezeichnete.
Einer der schmutzigsten Rap-Beefs der HipHop-Geschichte nahm an Fahrt auf, aber trotz seiner Schmutzigkeit wurde kreatives Feuer in Kendrick Lamar geweckt. Anders als noch bei „Mr. Morale & the Big Steppers“, bei dem er sich an intergenerationellen Traumata abarbeitete, die Schattenseiten einer Liebesbeziehung durchexerzierte und Ängste vor der Vaterschaft. Stargast war damals der spirituelle Coach Eckhart Tolle. Ob Gehirnklempner Tolle heute stolz auf seinen Ex-Patienten wäre? Wahrscheinlich nicht.
Aber für den HipHop ist der Beef zwischen Lamar und Drake ein Geschenk, wie Lamars am Freitag überraschend veröffentlichtes Album „GNX“ nachdrücklich demonstriert. Es ist sein am meisten fokussiertes Werk bis dato geworden – und beginnt mit purer Verachtung. Anstatt weiter gegen den Widersacher Drake zu wettern, sind im Auftaktsong „Wacced out Murals“ alle anderen Konkurrenten an der Reihe, die ihn gekreuzt haben, von Lil Wayne bis Snoop Dog. Lamar spuckt seine Reime jedoch nie mit Bitterkeit aus. Sondern er reimt mit ansteckender Kampfeslust. Vom Selbsthass und Märtyrerkomplex, wie sie noch die Vorstellungswelten in den Tracks von „Mr. Morale …“ kennzeichneten, ist auf „GNX“ wenig zu spüren. Stattdessen rappt Kendrick Lamar wieder um sein Leben. „I’ll kill ’em all / Before I let ’em kill my joy.“
Und in den Texten der zwölf Songs auf „GNX“ gibt es ziemlich viel „joy“, dem Hass zum Trotz. Die Beats kommen hart, ruppig und tief in der Geschichte des Westcoast-HipHop verankert. „Squabble up“ ist ein G-Funk-Throwback, mit Call-and-Response-Passagen und 80er-Jahre-Electro-Sample. Lamar, der in seinen Strophen ständig Inflektionspunkte, Akzent und Stil wechselt, rappt in „Reincarnated“ in bestem Tupac-Shakur-Gedächtnis-Flow. Titeltrack „GNX“ verbindet ein finsteres Piano-Sample mit stressig synkopierten Drums. Mustard, der Produzent von „Not Like Us“, spendiert Lamar gleich zwei Kopfnicker in seinem basslastigen „hyphy“ Markenzeichensound. Lamar ist dem Schmied seines größten Hits dafür dankbar: In „TV Off“ schreit er seinen Namen mit der Inbrunst von Mel Gibsons sterbender Hauptfigur in „Braveheart“: „Mustaaaaaaard!!!“
Solche oktanhaltigen Stücke werden mit seidenlakenen R&B-Songs ausbalanciert, wie beim Duett „Luther“ mit SZA. Gerade die softeren Songs profitieren vom ungewöhnlichsten Gast auf „GNX“: US-Starproduzent Jack Antonoff, der die balladesken Tracks mit glamourösen Streicherarrangements veredelt hat.
„GNX“, benannt nach dem Auto-Typ, in dem sein Vater ihn einst nach der Geburt aus dem Krankenhaus abholte, wäre aber kein Kendrick-Lamar-Album ohne therapeutische, selbstkritische Momente. Nur diesmal sind sie präziser als je zuvor. „Reincarnated“ beginnt als Ode an verstorbene Inspiratoren und entwickelt sich zu einem Zwiegespräch von Lamar mit seinem Vater. „I’m tryna push peace in L. A.!“, sagt er. „But you love war“, antwortet der Vater. „No I don’t!“ „Yes, you do!“ Kendrick Lamar scheint eines über sich verstanden zu haben: Er gewinnt die spannendste Musik aus seiner kreativen Ader, wenn er wütend ist.
Kendrick Lamar: „GNX“ (PGLang/Interscope/Universal)
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