: Sollen wir jetzt auch wählen?
Über Nacht kann alles anders werden:Ein Pro und Contra zu Neuwahlen in DeutschlandDas Ende der alten Weltordnung und die möglichen Folgen der US-Wahlen3–5
Es reicht. Die Ampel sollte ihr Scheitern endlich eingestehen und aufhören. Alle wissen es doch längst: Die Regierung Scholz-Habeck-Lindner hat keine gemeinsamen Ziele mehr, wenn sie denn je welche hatte, und ganz sicher keine Zukunft. Es ist deshalb nicht nur sinnlos, sondern sogar gefährlich, noch ein Jahr lang weiter vor sich hin zu wursteln, unentwegt zu streiten und auch die letzten WählerInnen zu vergraulen, die dann höchstwahrscheinlich noch weiter nach rechts abdriften würden. Ja, ein Ende mit Schrecken wäre besser als ein Schrecken ohne Ende.
An diesem Befund können auch die US-Wahl und der Koalitionsgipfel am Mittwoch in Berlin nichts ändern. Selbst wenn sich die drei Ampelmänner unter dem Eindruck der amerikanischen Ergebnisse oder aus purer Angst vor Neuwahlen noch einmal zusammenraufen und Besserung geloben: Wer soll das noch glauben? Sie selbst am wenigsten, wie die unzähligen Anfeindungen und Abgesänge auf die Ampel aus den eigenen Reihen nicht erst in den vergangenen Wochen deutlich gemacht haben. Das gegenseitige Vertrauen ist schon lange dahin, spätestens seit das unsägliche Heizungsgesetz unabgesprochen an die Öffentlichkeit geriet. Auch das Vertrauen der WählerInnen tendiert seitdem konstant gegen null.
Aber wenn jetzt in den USA das Chaos ausbricht, muss dann nicht wenigstens die Bundesregierung Stabilität ausstrahlen? Ja. Aber genau das ist der Ampel nicht mehr zuzutrauen. Gerade weil die neue US-Regierung Deutschland in jedem Fall vor neue, riesige Herausforderungen stellen wird, wirtschaftlich und militärisch, sollten die WählerInnen neu entscheiden, wer diese neuen Aufgaben mit einer neuen Legitimation angehen soll. Am besten ohne die FDP und ihren Fetisch Schuldenbremse, die den Gestaltungsspielraum der Regierung zu sehr einengt.
Natürlich sind auch Neuwahlen riskant. Die Aussicht auf einen Kanzler Merz ist keine schöne. Aber wer hofft, dass die progressiven Kräfte nach einem weiteren Jahr Ampelgewürge bessere Chancen haben, muss schon an Wunder glauben. Lukas Wallraff
Es sind sich alle ziemlich einig dieser Tage: Diese Regierung ist fertig miteinander. Der ewige Streit nervt. Es sei bloß noch die Angst vor Neuwahlen bei einigen Akteuren, die das Bündnis zusammenhalte. Kann sein. SPD und Grüne dürften mit Blick auf ihre Umfragewerte kaum ein gesteigertes Interesse am vorzeitigen Urnengang haben. Die Grünen haben derzeit nicht mal eine ordentliche Parteispitze.
Und trotzdem: Ein Stand-up-Wahlkampf jetzt sofort, eine Neuwahl vielleicht im März und darauf folgende Koalitionsverhandlungen würden politischen Stillstand bis ungefähr nächsten Sommer bedeuten. Und das bei einer außenpolitisch nicht einfachen Weltlage und einem möglichen US-Präsidenten Trump, der sich bekanntlich zunächst mal um sein eigenes Land kümmern will. Für die Ukraine, nur zum Beispiel, sind die USA und Deutschland die beiden wichtigsten militärischen Unterstützer. Schlecht, wenn die auf absehbare Zeit mit sich selbst beschäftigt sind. Die Frage ist aber auch: Stimmt die Analyse überhaupt, dass sich die Koalitionspartner nichts mehr zu sagen haben? Oder wollen sie bloß nicht mehr?
Dafür, auch das würden im Deutungsgeschäft tätige Journalist*innen dieser Tage nur zu gerne tun, müsste man mal in Christian Lindners Kopf krabbeln. Denn so spalterisch seine ultraharten Positionspapiere wirken: Der Mann macht halt Wahlkampf. Die FDP steht bei 3 Prozent in den Umfragen. Lindner hat nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen, solange es zum Beispiel funktioniert, Geflüchtete gegen Bürgergeldempfänger auszuspielen (die AfD-Wahlerfolge haben es vorgemacht).
Das mag parteistrategisch richtig gedacht sein. Aber es ist eine Missachtung des Wählerwillens, des Souveräns immerhin. Koalitionsverträge, der Auftrag zu regieren: interessiert alles nicht, wenn es um Machtpolitik geht? Das ist das fatale Signal, das von einem Koalitionsbruch ausginge. Der Wahlkämpfer Lindner sollte sich fragen, ob dieser Einsatz 4 Prozent für die FDP im März wert wären. Anna Klöpper
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