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Durchmarsch gegen die Besten

Jannik Sinner verliert beim Turnier der besten acht Tennisspieler in Turin nicht einen Satz und beeindruckt auch im Finale gegen Taylor Fritz. In Italien ist kein Sportler so populär wie er – trotz des Dopingvorfalls in diesem Jahr

Immer vorne dran: Sinner bei einem Ballwechsel im Finale Foto: Guglielmo Mangiapane/reuters

Aus Turin Jörg Allmeroth

Wenn Jannik Sinner mit den Superlativen seiner Centre Court-Arbeit konfrontiert wird, wirkt der weltbeste Tennisspieler stets eher verlegen und zurückhaltend. Große Worte sind seine Sache nicht, große Taten schon eher. „Das bedeutet mir sehr viel. Es ist mein erster Erfolg daheim in Italien“, sagte Sinner, als er am Sonntagabend das WM-Finale in Turin 6:4 und 6:4 gegen den Amerikaner Taylor Fritz gewonnen hatte. Im Konfettiregen hielt er den Siegerpokal mit einem zaghaften Lächeln empor – der Mann, der das erste und letzte mächtige Wort in einer Umbruchsaison im Proficircuit gehabt hatte.

Sinners historischer Triumph hatte hohe Symbolkraft beim Turnier der acht Besten der Spielzeit 2024. Keiner aus der Riege der ehrenwerten Gentlemen, der Big Three, war noch am Start, kein Federer, kein Nadal, kein Djokovic. Und der 23-jährige Naturbursche Sinner untermauerte in jenem Moment geradezu atemraubend seinen Machtanspruch für die Zukunft, als erster Spieler seit Ivan Lendl (1986), der die Weltmeisterschaft ohne Satzverlust für sich entschied. 6:3, 6:4, 6:4, 6:4, 6:3, 6:4, 6:1, 6:2, 6:4, 6:4 – so lauteten die nackten Zahlen und Daten zu Sinners Durchmarsch, seinen fünf makellosen Siegen. Den Zverev-Angstgegner Fritz bezwang Sinner zweimal klinisch sauber, sowohl in der Gruppenphase wie im Endspiel.

Niemand in der Geschichte des Saisonfinales war so überwältigend stark wie Sinner, ließ so wenig gegnerische Spiele zu. „Ein Dominator, der uns Freude macht“, schrieb die Gazzetto dello Sport und rief dem eigenen Helden zu: „Du bist eine Legende.“ Frankreichs Sportfachblatt L’Equipe brachte das Turiner Geschehen so auf den Punkt: „Die Lektion des Meisters Sinner.“ Und Spaniens Boulevardblatt Marca befand, Sinner habe das WM-Turnier mit „eiserner Hand regiert“ und die Konkurrenz teils deklassiert.

Nicht nur sportlich war Sinners Auftritt eine Sternstunde und Offenbarung. Der Himmelsstürmer, der auch „Tennisbaron“ oder „Karotte“ genannt wird, hat in den letzten Monaten eine ungeahnte Euphoriewelle in Italien ausgelöst – die rauschhafte WM-Stimmung in Turin erinnerte an die 90er Jahre in Deutschland mit den WM-Gewinnern Becker und Stich. Mit Sinners Popularitätswerten kann es derzeit kein anderer Sportler zwischen den Alpen und Sizilien aufnehmen, auch die schwelende Dopingangelegenheit konnte bisher keinen nachhaltigen Schaden anrichten. Sinner beteuerte auch während der WM-Tage seine Unschuld, im Sommer war ja bekannt geworden, dass es Ende März zwei positive Tests mit dem Steroid Clostebol gegeben hatte. Das Mittel sei unbeabsichtigt durch einen Masseur auf die Haut aufgetragen worden, dieser Erklärung Sinners schloss sich eine Schlichtungsinstanz an. Gegenwärtig läuft ein Einspruchsverfahren der Welt-Dopingagentur gegen dieses Urteil.

Nicht immer sei es leicht gewesen in den vergangenen Wochen und Monaten, sagte Sinner, „es gab schon Momente mit großem Druck, die man überstehen musste“. Seinem Spiel, seinem ganzen Centre-Court-Auftritt war allerdings nie wirklich etwas anzumerken, schließlich gewann er nach Bekanntwerden der Doping-Causa auch ungefährdet die US Open, das Masters in Schanghai und nun die ATP-WM.

Die Saisonbilanz von Sinner (70:6 Siege) erinnert an die einstige Überlegenheit von Federer, Nadal und Djokovic

Seine Saisonbilanz erinnert an die Überlegenheit, die einst Federer, Nadal und Djokovic auf den Tennisbühnen zelebrierten. Mit 70:6-Siegen geht der 23-Jährige aus der Spielzeit 2024 als Solist heraus, in der Weltrangliste hat er fast 4.000 Punkte Vorsprung auf die Nummer 2, Alexander Zverev. Nur Federer und Djokovic schafften vor Sinner den Titel-Hattrick aus Australian Open, US Open und WM. Einziger Makel für Sinner: Die drei Niederlagen in den drei Saisonvergleichen mit Carlos Alcaraz, dem neuen spanischen Matador.

Vor einem Jahr hatte Sinner das italienische Davis-Cup-Team zum ersten Sieg seit 1976 geführt, es war auch ein Anschuberfolg für die eigene Karriere. Nun will der neue Weltmeister mit seinen Mannschaftskollegen den Titel im spanischen Malaga verteidigen, der Urlaub muss warten. Sinner sagt: „Die Saison ist noch nicht vorbei.“

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