piwik no script img

Nach Femizid in Buxtehude„Die Gesellschaft darf nicht mehr wegschauen“

Um Femizide zu verhindern, sollte die Beratung möglicher Täter verstärkt werden, sagt Carin Huber von der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit.

Protest gegen Gewalt an Frauen Foto: Christophe Gateau/dpa
Gernot Knödler
Interview von Gernot Knödler

taz: Frau Huber, nach einem Femizid im niedersächsischen Landkreis Stade wird diskutiert, eine Beratungsstelle für gewalttätige Männer einzurichten. Ein überfälliger Vorschlag?

Carina Huber: Ja, total, wenn man sich vor Augen führt, dass die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt schon 2018 in Kraft getreten ist. Es ist gar keine Frage mehr, dass es den Bedarf gibt und die Politik in der Verantwortung ist, so etwas anzubieten.

taz: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will bei der Novellierung des Gewaltschutzgesetzes Täterarbeit zur Pflicht machen. Geht das in die richtige Richtung?

Huber: Auf jeden Fall. Bis jetzt scheitert es oft noch daran, dass das ja finanziert werden muss. Das stimmt, aber die Täterarbeit ist ein sehr wichtiger Baustein im Hilfenetzwerk für gewaltbetroffene Personen.

taz: Pflicht hieße, dass Männer da hingeschickt werden, entweder Gewalttäter oder potenzielle Gewalttäter. Wie soll das funktionieren?

Huber: Die Täterarbeitseinrichtungen, die nach Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt (BAG) arbeiten, sind gut vernetzt. Wir haben in Augsburg zum Beispiel mit der Polizei vereinbart, dass, wenn es einen Vorfall häuslicher Gewalt gab und die Person der Datenweitergabe zustimmt, wir von der Polizei die Information bekommen. Um dann Kontakt aufzunehmen und die Person einzuladen. Das ist aber nicht verpflichtend, man erreicht die Menschen nur gut. Manche Menschen bekommen die Beratung aber auch als Bewährungsauflage oder als Angebot der Staatsanwaltschaft zur vorläufigen Verfahrenseinstellung, wenn sie da hingehen; oder die verpflichtende Teilnahme wird in einen Hilfeplan des Amtes für Kinder, Jugend und Familie aufgenommen.

taz: Bei einer Therapie ist eine Voraussetzung für den Erfolg, dass man sich dieser freiwillig unterzieht. Ergibt es Sinn, Menschen zwangsweise zu beraten?

Bild: StMAS/Claudia Michels
Im Interview: Carina Huber

31, ist Sozialarbeiterin und Suchttherapeutin. Sie gehört zum Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt (BAG).

Huber: Den Erstkontakt so zu ermöglichen, ergibt durchaus Sinn. Inwieweit das Erfolg versprechend ist, ergibt sich meistens schon in den ersten paar Gesprächen. Und wir zwingen ja niemanden endgültig. Es gibt ja immer noch die Wahl: Gehe ich zur Beratung oder in das Gefängnis.

taz: Wie erreichen Sie Leute präventiv, bevor es überhaupt zu einer Gewalttat kommt?

Huber: Durch Öffentlichkeitsarbeit, dadurch, dass die Gewalt thematisiert wird, dadurch, dass es flächendeckend diese Angebote gibt und jeder den Zugang hat. Die Gesellschaft darf nicht mehr wegschauen und es sollte gesellschaftlich akzeptiert sein, dass man Hilfe annimmt.

taz: Dafür müsste ich mir aber erst mal eingestehen, dass ich da ein Problem habe. Die wenigsten werden sich das eingestehen.

Huber: Dem würde ich widersprechen. Wir haben in Augsburg ungefähr 50 Prozent Selbstmelder. Die waren vielleicht schon einmal gewalttätig oder haben das Gefühl, sie könnten es in Zukunft werden, und wollen wissen, wie sie das verhindern können.

taz: Wie müsste die Beratungsstelle eines Landkreises aussehen?

Huber: Es gibt die Standards der BAG Täterarbeit. Es gibt eine Weiterbildung, in der man Fachkräfte schult, wie so ein Angebot gestaltet werden kann. Wichtig ist die Vernetzung: dass alle Akteure davon wissen, dass man in der Öffentlichkeit sichtbar ist. Das wäre schon mal ein Anfang.

taz: Finanzieren muss es der Landkreis?

Huber: Bei uns in Bayern finanziert es das Sozialministerium*. Es gibt da aber ganz unterschiedliche Modelle.

taz: Faesers Entwurf für ein Gewaltschutzgesetz wird wohl Makulatur bleiben. Was bedeutet das?

Huber: Das ist ein totaler Rückschlag. Es gibt einen unfassbar hohen Bedarf. Die Ressourcen, die jetzt zur Verfügung stehen, reichen nicht einmal annähernd aus.

taz: Was hätte das Gesetz konkret gebracht?

Huber: Der Gesetzentwurf sah verpflichtende Gespräche in Fällen häuslicher Gewalt vor. Das hätte den Zugang zum Hilfesystem verbessert. Denn wenn ich schon einmal bei einer Beratungsstelle war, dann weiß ich schon: Das ist alles gar nicht so schlimm. Das würde die Menschen erreichen, die nicht von selbst auf die Idee kommen, sich Hilfe zu suchen.

*In Niedersachsen gibt es elf Täterarbeitseinrichtungen, die vom Land gefördert werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Viele Männer müssen einfach mal begreifen, dass Frauen nicht ihr Eigentum sind, ein unbestreitbar Recht auf Unversehrtheit haben und nicht an Weisungen von Partnern gebunden sind. Das zweite Problem ist die Unfähigkeit zur Gewaltlosigkeit in Konflikt Situationen. Dieser Zustand in der Gesellschaft macht einfach nur wütend. Und die hohe Zahl an Opfern Jahr für Jahr macht mich traurig und betroffen. Und zu guter letzt müssen alle (wir Männer vor allem) in ihrem Umfeld auf Anzeichen von häuslicher Gewalt sensibler reagieren. Täter konfrontieren, Betroffene schützen. Auch wenn es "unbequem" ist und im Zweifelsfall "Freundschaften" kostet. Lieber eine "Freundschaft" zerstört als solch gewalttätige Zustände ignoriert.