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Gesetz zur Sterbehilfe in Großbritannien

Labour-Abgeordnete Kim Leadbeater stellte einen Gesetzesentwurf zur Sterbehilfe vor. Die Mehrheit der Briten spricht sich dafür aus

Aus London Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

Sarah Fenton steht mit weiteren Ak­ti­vis­t:in­nen der die Sterbehilfe unterstützenden Gruppe „Dignity in Dying“ vor dem britischen Parlament in London. In der Hand hält sie ein großes Porträt ihres Mannes Keith. „Auf diesen Tag habe ich sieben Jahre gewartet“, sagt sie und erzählt von ihrem Mann, der an der Huntington-Krankheit litt und vor sieben Jahren mit Hilfe des Sterbehilfeunternehmens Dignitas in der Schweiz starb. Den Suizid habe er gewählt, da bereits seine beiden Geschwister an der vererbbaren Erkrankung gestorben waren, so die 62-jährige Witwe. Sollte der am Mittwoch dem britischen Parlament vorgestellte Gesetzesentwurf der Labour-Hinterbänklerin Kim Leadbeater zur Sterbehilfe verabschiedet werden, müssten Menschen wie Keith Fenton nicht mehr über 15.000 Euro an Sterbehilfeorganisationen zahlen, argumentiert seine Witwe.

Leadbeaters Gesetzesantrag soll nur Menschen, deren Lebenserwartung aufgrund einer Krankheit im Endstadium nicht mehr als ein halbes Jahr beträgt, die Sterbehilfe ermöglichen. Der taz erklärte Leadbeater, dass Absicherungen im Mittelpunkt ihres Antrags stünden. Die Sterbehilfe gelte nicht für Menschen mit Behinderung, psychischen Krankheiten oder hohem Alter. „Es geht um eine Option für Menschen, deren letzte Lebenswochen und -monate unmittelbar bevor stehen. Nur sie sollten ihren Todeszeitpunkt selbst wählen dürfen.“

Vorgesehen ist derzeit, dass zwei Ärzt:innen, von denen ein/e die betroffene Person nicht kennen darf, und ein/e britische Hoch­rich­te­r:in bei dem Antrag auf Sterbehilfe involviert sind. Außerdem müssten sich die Sterbewilligen die tödliche Dosis selbst verabreichen. Die beiden Ärz­t:in­nen müssten die geistige Gesundheit der An­trag­stel­le­r:in­nen und die Unabhängigkeit der Entscheidung bestätigen und den Betroffenen palliative Versorgungsmöglichkeiten erklärt und angeboten haben. Der Todeswunsch müsste jederzeit, auch mündlich, revidierbar sein.

Auch Ak­ti­vis­t:in­nen gegen Sterbehilfe versammelten sich am Mittwoch vor dem britischen Parlament hinter Pappmaché-Grabsteinen. Tim Dieppe von der Gruppe „Christians Concerned“ (Besorge Christen) erzählt der taz von seiner Frau, die an Krebs starb. Der 54-jährige Witwer hält Sterbehilfe für gefährlich und unnötig. „Es setzt Menschen im schwächsten Moment ihres Leben unter Druck, ihr Leben zu beenden. Das hat nichts mit Empathie zu tun.“ Dieppe plädiert stattdessen für Schmerzlinderung, Fürsorge, Liebe und gute Hospize. Starke Gesetze könnten, so wie auch beim Abtreibungsgesetz, über Jahre verwässert werden, warnt er.

Keine Sterbehilfe für Menschen mit Behinderung oder psychischen Krankheiten

Neben Dieppe schildert Karen Kenward, 71, der taz, dass sie heute nicht mehr leben würde, hätte es Sterbehilfe gegeben, als sie mit Guillain-Barré-Syndrom auf der Intensivstation lag und sich nicht mehr bewegen konnte. „Heute weiß ich, dass man sich im Leben nie sicher sein kann, wie etwas ausgeht“, sagt die Rollstuhlfahrerin energisch. Es sei vielmehr wichtig, die Palliativpflege auszubauen. Auch Erzbischof Justin Welby, das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, sprach sich diese Woche gegen die Sterbehilfe aus.

Am 29. November soll es eine Unterhausdebatte zu dem Gesetzesentwurf geben, bevor darüber abgestimmt wird. Der Entwurf gilt zunächst für England und Wales, ein paralleler Antrag läuft jedoch durch das schottische Parlament. Eine Meinungsumfrage vom 16. Oktober im Auftrag von Humanist UK ergab dass 74 Prozent aller Bri­t:in­nen für ein Sterbehilfegesetz sind, eine weitere Umfrage kam auf 67 Prozent.

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