: Wichtig, weil er da war
Lothar König war, ist und bleibt eine zentrale Figur antifaschistischen Widerstands im Osten: Jemand, der es über ein ganzes Leben hinweg geschafft hat, Brücken zwischen den Generationen zu schlagen. Diese Woche ist der Thüringer Pfarrer 70-jährig gestorben. Ein Nachruf
Von Jessica Ramczik
Lothar König ist tot: der Pfarrer und Antifaschist, der vor allem im Osten eine ganze Generation junger Antifaschist*innen geprägt und inspiriert hat – und der mit ihnen auf der Straße gefroren hat, wenn es nötig war. Lothar König hinterlässt eine Lücke, die am größten dort ist, wo er tagtäglich gewirkt hat: in Jena, bei der Jungen Gemeinde Stadtmitte und bei seiner Familie. Geboren 1954 in Thüringen, wuchs er in der DDR auf und entwickelte schon als Jugendlicher eine Haltung des Widerstands gegen das diktatorische System, war unangepasst: König gehörte zu jenen, die man in der DDR als „Langhaarige“ bezeichnete, eine abfällige Bezeichnung für Menschen, die sich nicht in das starre Gesellschaftsbild des Staats einfügen wollten. Doch nicht nur sein Aussehen machte ihn zur Zielscheibe, sondern vielmehr seine entschlossene Opposition gegen Unrecht und Unterdrückung – das begleitete ihn ein Leben lang.
Königs Engagement begann in den 1970er Jahren, als er sich der oppositionellen Jugendbewegung anschloss. Besonders in Jena, wo er die Junge Gemeinde Stadtmitte prägte, wurde er zu einer zentralen Figur des kirchlichen und politischen Widerstands. Die Junge Gemeinde war ein Ort, an dem junge Menschen zusammenkamen, um über Alternativen zum DDR-Regime nachzudenken. Das machte sie zum ständigen Ziel der Staatssicherheit, die Spitzel einschleuste und ihre Mitglieder systematisch überwachte. Doch König und seine Mitstreiter ließen sich nicht entmutigen. Die Gemeinde wurde zu einem wichtigen Ort des Austauschs, der kritischen Reflexion und des stillen Protests.
Auch in den späten 1980er Jahren, als die DDR ihrem Ende entgegenging und die staatliche Repression immer stärker wurde, blieb König standhaft. Und auch, als es 1989 zu einer Reihe rechtsextremer Angriffe auf die Gemeinde kam, die schließlich zur vorübergehenden Schließung ihrer Räumlichkeiten führten.
Nach der Wende nahm Lothar König seine Arbeit als Stadtjugendpfarrer in Jena auf, und unter seiner Leitung wurde die Gemeinde auch in der neuen Bundesrepublik bald wieder zu einem lebendigen Ort des politischen Engagements. Mit Lothar König mittendrin – ob als Pfarrer, als Fußballer, als Kumpel, der er für viele meiner Freunde und Bekannten war.
Für viele Jugendliche wurde Lothar König in den vergangenen Jahrzehnten zum Freund, zum Mitstreiter zum Genossen: Einer, der nach dem Punk-Konzert auch mal mit einem durchmachte und trotzdem am nächsten Tag zur Demo auf der Matte stand. Für ihn war das Christentum keine abstrakte Lehre, sondern eine Verpflichtung, aktiv gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung vorzugehen. Sein Engagement gegen rechtsextreme Bewegungen und sein Einsatz für die Schwächsten der Gesellschaft machten ihn weit über die Grenzen Jenas hinaus bekannt.
Besonders in Dresden, wo Neonazi-Aufmärsche anlässlich der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg immer wieder für Aufsehen sorgten, stand Lothar König an der Spitze der Gegendemonstrationen. Für ihn war dies nicht nur eine politische Pflicht, sondern auch ein Akt des gelebten Glaubens. Er war überzeugt, dass wahre Christen nicht schweigen durften, wenn Unrecht geschah. So wurde er zu einem Symbol des Widerstands gegen Rechtsextremismus und für eine offene, tolerante Gesellschaft. Stets gewaltfrei, aber bereit, in den richtigen Augenblicken zu intervenieren.
Immer wieder geriet er in Konflikt mit der Staatsmacht, die seine Aktivitäten kritisch beäugte. In einem besonders aufsehenerregenden Fall wurde er wegen seiner Teilnahme an Protesten gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Dresden 2013 vor Gericht gestellt. Der Vorwurf: Anstiftung zu Gewalt, schwerer Landfriedensbruch. Doch König blieb standhaft, wies alle Vorwürfe zurück. Für ihn war klar, dass sein Widerstand legitim und notwendig war, um die Ausbreitung rechtsextremen Gedankenguts zu verhindern.
In der von seinem Sohn gedrehten Doku „König hört auf“ spricht Lothar König beim Fahren über die Einstellung des Prozesses: dass dies eben auch bedeutete, die Lügen der vorgeladenen Polizisten mit abzunicken. Das tut einem nicht nur für Lothar König leid, sondern vor allem auch als Antifaschist weh.
Denn Lothar König war einer von ihnen, einer von uns: einer der den braunen Osten weniger unerträglich hat werden lassen. Ob in Freital, in Dresden, in Chemnitz oder vor der Haustür in Jena: Lothar König und sein blauer Bus waren da. Und das war nicht nur tröstlich, sondern auch deshalb wichtig, weil Lothar König, der ewige Rauchende, vor dem man als junge Antifaschistin auch ein kleines bisschen Angst hatte, wichtig war: Wichtig, als der derjenige, der er war. Wichtig, als derjenige, der mit einem dort war, wo man eben war: frierend, schwitzend auf den vielen Gegen-rechts-Demos der vergangen Jahre. Wer in den 00er und 10er Jahren als Antifaschist*in in Ostdeutschland unterwegs war, für den war Lothar eine Instanz, jemand der mit einem kämpfte, gefühlt einer der wenigen der Eltern- und Großelterngeneration, die es ernst genommen haben, wenn man gegen Nazis demonstrierte.
Lothar König, sein T4 Van, die Selbstgedrehte im Mundwinkel auf einer ostdeutschen Demo: Für viele ist dies eine Kollektiverinnerung. Eine, die bleibt. Die Lücke, die König hier hinterlässt, kann ich an dieser Stelle nur erahnen. Für viele ist sie sicher unermesslich. Neben seinem politischen Engagement blieb König auch immer ein Seelsorger. Viele Jugendliche, die in schwierigen Lebenssituationen zu ihm kamen, fanden in ihm einen verständnisvollen Zuhörer. Er war nicht nur ein Prediger, sondern auch ein praktischer Helfer, der bereit war, sich für die Belange anderer einzusetzen. Seine Fähigkeit, auf Augenhöhe mit den jungen Menschen zu sprechen, machte ihn zu einer respektierten und geliebten Figur.
Auch nach seinem offiziellen Ruhestand blieb König aktiv, setzte sich unermüdlich für eine offene, tolerante Gesellschaft ein und erhob seine Stimme gegen jede Form von Diskriminierung. Seine Kirche war für ihn immer ein Ort des Widerstands, nicht nur gegen staatliche Repression, sondern auch gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit. In einer Zeit, in der rechte Bewegungen in Deutschland wieder Zulauf fanden, blieb Lothar König ein unbequemer Mahner, der sich nicht scheute, auch schwierige Wahrheiten auszusprechen.
Lothar König verkörperte bis zu seinem Tod das Ideal eines Christen, der nicht nur predigt, sondern handelt. Für ihn war der Glaube kein Rückzug ins Private, sondern manifestierte sich im Einsatz für andere. Sein Leben war geprägt von Widerstand, Solidarität und der tiefen Überzeugung, dass eine gerechte und friedliche Welt möglich ist – wenn man bereit ist, für sie zu kämpfen. Seine unorthodoxe, manchmal unbequeme Art, Brücken zwischen den Generationen zu schlagen, wird vielen in Erinnerung bleiben. Sein Tod hinterlässt eine Lücke, aber sein Vermächtnis wird weiterleben – in den Herzen der Menschen, die er inspiriert und geprägt hat.
Und dazu gehörte für uns junge Antifaschist*innen eben auch die Erkenntnis, dass symbolische Handlungen oft nicht ausreichen. Menschenketten um Frauenkirchen und Dresdner Innenstädte verhindern keine Neonazi-Aufmärsche. Dafür braucht es kollektiven zivilen Ungehorsam und mutiges Handeln.
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