: „Nicht herunterspielen, nicht übertreiben“
Das iranische Staatsoberhaupt äußert sich verhalten zum Angriff Israels auf sein Land. Auch der Angriff selbst gilt als moderat. Bedeutet dies ein vorläufiges Ende der Eskalation?
Aus Jerusalem Felix Wellisch
Nach den markigen Drohungen der vergangenen Monaten ist die Ansprache des iranischen Staatsoberhaupts und Religionsführers Ali Chamenei am Sonntag zurückhaltend ausgefallen. „Wie die Kraft und der Wille des iranischen Volkes dem zionistischen Regime verdeutlicht werden sollen, müssen die Verantwortlichen entscheiden“, sagte der 85-Jährige, der in politischen und militärischen Fragen stets das letzte Wort hat.
In der Nacht auf Samstag hatten israelische Kampfflugzeuge zahlreiche militärische Ziele in Iran angegriffen – der erste offen erklärte Großangriff auf das Land seit dem ersten Golfkrieg. Das dürfe in den Worten Chameneis „weder heruntergespielt, noch übertrieben“ werden.
Die israelischen Bomben verursachten dabei offenbar größere Schäden, als die iranische Führung in den Stunden danach vermitteln wollte. Laut der israelischen Armee griffen gegen 2.30 Uhr in der Nacht auf Samstag rund 100 israelische Kampfflugzeuge etwa 20 Ziele an mehreren Orten des Landes an. Explosionen wurden laut iranischen Medien aus Teheran sowie dem nahe gelegenen Karadsch und der Stadt Maschhad im Osten Irans gemeldet. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nannte den Angriff „präzise und mächtig“. Er habe „alle Ziele erreicht“.
Getroffen wurden laut einem Bericht der New York Times Luftabwehrsysteme rund um kritische Anlagen der iranischen Ölindustrie sowie um ein großes Gasfeld. Auch Raketenfabriken und -abschussrampen sollen beschädigt worden sein. Das berichtet das Blatt unter Berufung auf Aussagen von sechs hochrangigen iranischen und israelischen Vertretern. Laut der iranischen Armee wurden mindestens vier Soldaten getötet.
Trotzdem wird der Angriff weithin als moderat aufgefasst: Weder die Ölindustrie selbst noch das Atomprogramm des Landes wurden getroffen. Israel wolle für den Moment keine Eskalation mit Iran, schließen Beobachter. Iran steht damit vor einem alten Dilemma. Einerseits will Teheran keinen offenen Krieg mit dem militärisch deutlich überlegenen Israel riskieren. Andererseits kann es diesen Großangriff auf sein Gebiet kaum unbeantwortet lassen. Das Regime drohte seit Wochen mit Vergeltung und Rache im Falle eines israelischen Angriffs.
Der iranische Präsident Massud Peseschkian sprach den Angehörigen der getöteten Soldaten beim Onlinedienst X sein Beileid aus und schrieb, die iranische Armee werde „furchtlos ihr Land verteidigen und auf jede Dummheit klug und mit Takt reagieren“. Das Außenministerium erklärte: „Iran ist berechtigt und verpflichtet, sich gegen ausländische Akte der Aggression zu verteidigen.“
Verglichen mit den Drohungen gegen Israel nach der Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanijeh im Juli in Teheran fallen die Reaktionen damit aber sehr verhalten aus. Und selbst damals kam lange keine Antwort. Erst als Israel im September den Anführer der mit Iran verbündeten Hisbollah, Hassan Nasrallah, in Beirut getötet hatte und sich anschickte, die über viele Jahre aufgebaute Stellvertretermiliz Teherans und ihr Raketenarsenal zu zerstören, entschloss sich die iranische Führung zum Angriff. Am 1. Oktober schoss Teheran rund 180 ballistische Raketen auf zwei Armeebasen und das Hauptquartier des Geheimdienstes Mossad in Israel.
Dass beide Parteien den Angriff am Wochenende eher kleinreden, lässt vermuten, dass die große Eskalation fürs Erste ausbleibt. Israel hatte Iran offenbar auch am Freitag vorgewarnt, berichtete die US-Nachrichtenseite Axios unter Berufung auf drei Quellen. Über mehrere Kanäle soll Teheran demnach darüber unterrichtet worden sein, „was Israel allgemein angreifen wird und was nicht“.
Stattdessen verlagert sich der Schwerpunkt des Krieges wieder auf den Libanon und den Gazastreifen – und auf Israel selbst. Nördlich von Tel Aviv wurden bei einem mutmaßlichen Terrorangriff auf eine Bushaltestelle mindestens 33 Menschen verwundet, eine Person starb an den Folgen. Ein Lastwagen war in eine Gruppe von Menschen nahe der Militärbasis Glilot gefahren. Beim Einschlag einer Hisbollah-Rakete in der mehrheitlich von palästinensischen Israelis bewohnten Stadt Tamra wurden mindestens drei Menschen verletzt. Im Südlibanon erließ die israelische Armee neue Evakuierungsaufforderungen für 14 Dörfer. Die Bewohner sollten sich nördlich des Awali-Flusses begeben, da in den Ortschaften Hisbollah-Kämpfer vermutet würden.
Bei israelischen Angriffen im Gazastreifen sind nach palästinensischen Angaben am Sonntag mindestens 45 Menschen getötet worden. Die meisten von ihnen seien im Norden des Küstenstreifens ums Leben gekommen, teilen die palästinensischen Gesundheitsbehörden mit. Unter anderem seien 20 Personen bei einem Luftangriff auf Häuser in Dschabalia getötet worden. Das israelische Militär sagte, es habe in den vergangenen 24 Stunden „mehr als 40 Terroristen eliminiert“.
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