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Die Mode und der TodUngespielte Stücke

Glass Skin und Liquid Metal: Die aktuelle Mode tut so, als wäre sie unsterblich. Doch die, die sie tragen, sind es nicht.

Die letzte Stunde vor der Schließung der Galeries Lafayette – ein Abschied, der unserer Autorin überraschend schwerfiel Foto: Paul Langrock

B is zuletzt bin ich in den Berliner Galeries Lafayette spazieren gegangen, die im Juli für immer geschlossen wurden. Die Regale leerten sich, die restlichen Waren wurden zusammengeschoben, ganze Tanzflächen wurden frei. Es war ein Abschied, der mir überraschend schwerfiel. Ganz zum Schluss lagen ein paar Mützen neben seltsamen Smartphonetaschen. Es gab noch Sonnenbrillen, Hosen, glitzernde schwarze Einstecktücher und einen Rest Abendmode.

Die Preisnachlässe hatten über Wochen bei 70 Prozent gelegen. Dinge, an denen man sonst achtlos vorbeigegangen wäre, waren plötzlich einen Versuch wert. Ein Pullover in 1980er-Kupfergold-Farbe, ein frech-dreistes Chanel-Bouclé-Jäckchen-Imitat, eine Lederjacke wie für das Motorrad. Ein Irrtum würde nicht so viel kosten wie gewöhnlich, und wer weiß, vielleicht lernt man eine neue Seite an sich kennen, wenn vorne auf dem Jäckchen goldene Knöpfe blitzen. „The winner takes it all.“ An einem Nachmittag war ABBA über die Lautsprecher zu hören. Ob sterbende Kaufhäuser Sinn für Ironie entwickeln?

„Forget your perfect offering / There is a crack in everything / That’s how the light gets in.“ Leonard Cohen habe ich nicht gehört während meiner Abschiedsrunden am gläsernen Trichter der Galeries entlang. Aber es wäre schön gewesen. Ein Riss, ein Sprung, eine Lücke – was das Selbstbild angeht, wissen die eigenen Kleider eine Menge darüber. Einige von ihnen ließen sich sogar nach Schweregraden der Projektion und Verdrängung sortieren. Ein kurzes weißes Schalkleid, das ich sechzehnjährig unbedingt haben wollte, hatte erkennbar wenig mit mir und meinem eigenen Körper, sondern eher mit einer Sehnsucht nach einer luxuriösen Inszenierung verwöhnter Weiblichkeit zu tun. Mit Linda Evans zum Beispiel. Die Folge war, dass ich es nur ein einziges Mal getragen habe. Es war ein pubertärer narzisstischer Irrtum, ein Fehlkauf, den ich mir hätte sparen sollen.

Andererseits fände ich es schade, das Kleid nur so zu sehen, denn ein paar dieser Fehler bleiben einem auf unverzichtbare Weise erhalten. Sie werden zum Requisitenschatz für nicht gespielte Stücke. Die Nostalgie, die Liebe, die Neugier auf das, was der Irrtum verbirgt, hindern einen, sie zu vergessen.

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Die aktuelle Mode hingegen verhält sich ausgesprochen kühl gegenüber dieser Art der Erinnerung. Eskapistisch wie selten werde sie sich in diesem Herbst präsentieren, so die Prognose der französischen Vogue. Von außen betrachtet, sei vieles zurückgekehrt. Die 1970er, die Liebe zum Weltall und zur technischen Neuerung, ein an den Vorlieben und Empfindlichkeiten des Zeitgeistes angepasster Hang zum Glamour. Von Nostalgie aber keine Spur. Auch nicht von Ironie und Humor, ließe sich ergänzen. Alles ist ernst gemeint, und vermutlich besteht darin der eigentliche Trend.

Glass Skin und Liquid Metal

Ein gegenwärtiges Schönheitsideal, das sich von Südkorea aus dank sozialer Medien in der Welt verbreitet hat, heißt Glass Skin. Verlangt wird tatsächlich die absolute Perfektion. Es genügt nicht, eine straffe Haut zu haben, nein, sie muss porenlos erscheinen. Ihre Durchlässigkeit, ihre Wandelbarkeit, sämtliche lebendige Eigenschaften müssen aushärten und verschwinden. Dazu muss unter Umständen sehr viel Fruchtsäure auf die Haut. Diese soll sich schälen, bis sie die Verbindung zum Alterungsprozess quasi gekündigt hat. Es ist eine Disziplinierung der robusteren Art.

Dazu kommt eine zweite momentane Vorliebe der Mode, genannt Liquid Metal. Sie kann sich auf Möbel beziehen, auf Schmuck oder auf Stoffe, die den Körper wie geschmolzenes Metall umspielen. Die spanische Königin wurde im Sommer nach Gerüchten über den Zustand ihrer Ehe bei einem Filmfest in einem silbernen, fließenden Sommerkleid fotografiert. Die Bild druckte ein Foto, das die Rückenansicht und damit auch den offensichtlich hart trainierten Hintern der Herrscherin zeigt, und titelte „Letizias Rachekleid“.

Die Haut muss nicht mehr atmen. Das Metall gibt seinen Widerstand gegenüber einem für große Hitze begabten Körper auf. Man ahnt, dass sich ein derart gerüsteter Mensch für die Unsterblichkeit, mindestens aber für eine blendende Erbarmungslosigkeit empfiehlt. Den Gedanken an Abschied und Erinnerung gibt er auf. Doch Vorsicht, Metaphern sehen manchmal in Abgründe hinein. Eine Haut wie Glas. Das ist gefährlich. Ein kleiner Stoß, und das Glas zerspringt.

Der Zeitgeist kokettiert unbewusst mit seinem Ende. Das wäre auch eine Möglichkeit. Die Mode ist für den Tod jedenfalls keine Fremde. Für den italienischen Dichter Giacomo Leopardi waren die beiden sogar Geschwister, von der Vergänglichkeit geboren beide. Ihr Zwiegespräch gehört zu seinen zwischen 1824 und 1832 geschriebenen „Operette morali“. Der Tod erinnert sich an nichts, hat kein Gedächtnis und keine Vergangenheit, und die Mode, seine liebende Schwester, tut alles, damit die Menschen vergessen, was ihnen wichtig ist. Es liegt ihr viel an der Anerkennung ihres Bruders.

Die Unsterblichkeit der Mode

Eine Freundin meiner Mutter muss dieses Gespräch belauscht haben. Sie liebte die Mode, und sie war manisch-depressiv. Vor vielen, vielen Jahren hat sie sich in einer der teuersten Boutiquen meiner Heimatstadt eingekleidet und, so die Rekonstruktion der Ereignisse, am selben Tag das Leben genommen. Ich erinnere mich an den Sonntagnachmittag, an dem ich hörte, sie sei seit Tagen verschwunden und dass es sein könnte, dass sie nicht mehr lebe. Ich wollte das nicht glauben. Später wurde ich den Gedanken an die zuletzt gekauften Kleider nicht los. Wenn man so will, hat sich die Unsterblichkeit der Mode, ihr Vergehen und Wiederkommen wie ein Geheimnis über diesen Suizid gelegt.

Ich schicke einem Psychiater eine Mail in dieser Sache. Ein paar Stichwörter kommen zurück. Ich könnte doch mal über den Starnberger See nachdenken, womit wohl der Tod von König Ludwig II. gemeint ist, über das Sprichwort, dass das letzte Hemd keine Taschen habe, über den Wunsch, würdevoll aufgefunden zu werden, über den Übergang, den Stolz und die Eigenverantwortlichkeit. Sicher, verstehe, Diagnosen über den Tod hinaus verbieten sich, und Stolz und Eigenverantwortlichkeit klingen gut, denke ich, und dass dies eben die Eigenschaften der Freundin, nicht die ihres Todes sind.

Mein Mitgefühl, meine jugendliche Bewunderung für sie wünschen sich, dass es ein flaschengrünes Samtkostüm gewesen ist, das sie für ihren Tod gewählt hat. So als wäre ihr Verschwinden im Fluss in einem Kleid dieser ruhigen, tiefen Farbe leichter gewesen, oder als hätte sie sich darin in einen seltsam schönen Fisch verwandeln können, der einfach weiterschwimmt.

Ob sie beim Anprobieren ihrer letzten Garderobe, beim Blick in den Spiegel ihre Absichten für den späteren Tag vergessen hat? Ob sie die neuen Kleider wie einen Begleiter brauchte, um den letzten Schritt nicht ganz allein zu gehen? Oder war es anders, und der Tod kam ihr erst nach dem Kauf der neuen Kleider in den Sinn, nach einem kurzen Flash der Begeisterung, das letzte „Back to Black“?

Kleine Fehler seien mit das Wichtigste für ein richtig gutes Outfit. Unebenheiten, Widersprüche. Das hat sie mal an einem ihrer vor Ideen und Temperament überbordenden Tage gesagt, aber damals habe ich es nicht verstanden. Ich dachte, es ginge dabei um etwas rein Dekoratives, das dazu da ist, den anderen zu sagen, dass man irgendeinen Code beherrscht, ein Geheimnis kennt. Heute denke ich, dass sie etwas anderes gemeint hat. Freiheit vielleicht.

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