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Güllekrise in den NiederlandenRechte Güllepolitik

Die rechte Regierung der Niederlande will viele Umweltauflagen für die Landwirtschaft abschwächen. Das gelingt ihr nicht immer.

Fressen friedlich Gras, aber machen auch viel Mist: Vor allem durch Kühe stecken die Niederlande in einer Güllekrise Foto: imago

Amsterdam taz | Der Beschluss des niederländischen Parlaments in Den Haag überraschte: Mit einer breiten Mehrheit nahm die Tweede Kamer in der vergangenen Woche ein neues Güllegesetz an, das den Nutzviehbestand deutlich verringern dürfte. Ziel ist es, den enormen Überschuss an Harn und Kot landwirtschaftlich genutzter Schweine und Rinder zu senken.

Nach Berechnungen des Niederländischen Zentrums für Gülleverwertung (NCM) würde sich dieser Überschuss bis 2026 verfünffachen, wenn sich nichts ändert. 400.000 Tankwagenladungen müssten dann entweder exportiert oder professionell und kostspielig verarbeitet werden.

Bemerkenswert daran ist, dass die Novelle ausgerechnet von Landwirtschaftsministerin Femke Wiersma stammt, die der agrarnahen BoerBurgerBeweging (BBB) angehört. Der Aufstieg der 2019 gegründeten Partei vollzog sich vor dem Hintergrund der monatelangen Bäue­r*in­nen­pro­tes­te 2022, die sich gegen Umweltauflagen richteten und auch im Rest der Bevölkerung Rückhalt fanden.

Seit dem Sommer ist die BBB als Juniorpartnerin Teil einer Rechtsregierung in Den Haag, gemeinsam mit der identitären Partij voor de Vrijheid (PVV), der liberal-rechten Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) und dem konservativen Nieuw Sociaal Contract (NSC).

Weniger Tiere nach Gutsverkäufen

Mit dem Gesetz hält die Regierung an der Absicht ihrer Vorgängerin fest, den Viehbestand deutlich zu verkleinern. Dadurch sollen die Emissionen von Stickstoff und Phosphat gesenkt werden, die sich in der Gülle verstecken. Notfalls enteignet werden sollen landwirtschaftliche Betriebe mit hohem Stickstoffausstoß jedoch nicht mehr.

Vorgesehen ist stattdessen, dass die Höchstzahl der zugelassenen Tiere spürbar sinkt, wenn ein Betrieb außerhalb der Familie verkauft wird: 30 Prozent weniger sind es bei Kühen, 22 Prozent bei Schweinen, 13 Prozent bei Hühnern. Gerade von Landwirten mit hohem Schweine- oder Geflügelbestand gab es deshalb Kritik: Der Stickstoff- und Phosphatüberschuss ist vor allem ein Problem der Rinderhaltung.

Die Branchenvertretung LTO Nederland gab sich entsprechend „verärgert“ über das Vorhaben und verwies auf einen eigenen „Gülleplan“ samt „einschneidender Maßnahmen“. Diesen habe die LTO schon zu Jahresbeginn Wiersmas Vorgänger Piet Adema präsentiert, hieß es. Entscheidendes Element sei, dass „alle Maßnahmen, die der Sektor unternehmen kann und will, untrennbar mit der Verlängerung der Derogation und verbesserten Möglichkeiten der Gülleverarbeitung zusammenhängen“.

Mit „Derogation“ ist die europäische Ausnahmeregelung gemeint, wonach niederländische Bäue­r*in­nen bisher mehr Gülle ausbringen dürfen als ihre Kol­le­g*in­nen in anderen Mitgliedstaten. Diese Ausnahme läuft 2026 aus. Fortan muss sich auch Den Haag an die Nitrat- und die Wasserrahmenrichtlinie der EU-Kommission halten. Dass sie sich durch den EU-Rahmen gebunden fühlt, betonte Ministerin Wiersma bereits im Vorfeld der Abstimmung.

„Mit der Faust auf den Tisch schlagen“

Auch Caroline van der Plas, BBB-Gründerin und Galionsfigur, betonte, ohne Eingriffe drohe wegen der Auflagen „aus Brüssel“ ein „erzwungenes Schrumpfen des gesamten Viehbestands“. „Das will ich nicht auf meinem Gewissen haben.“

Damit scheint die Partei mit der Regierungsverantwortung auch in der Realpolitik angekommen zu sein – noch vor nicht allzu langer Zeit hatte die BBB den Wäh­le­r*in­nen versprochen, man werde in Brüssel „mit der Faust auf den Tisch schlagen“.

In anderen Punkten dagegen wird unmissverständlich deutlich, dass die demonstrative Nähe der Regierung zu Bäuerinnen und Fischern – diese werden beispielsweise im Koalitionsvertrag als Ga­ran­t*in­nen der Nahrungsmittelsicherheit gerühmt – nicht nur Worte sind.

So sorgte Wiersma, die offiziell Ministerin für Landwirtschaft, Fischerei, Nahrungsmittelsicherheit und Natur ist, Anfang September für Aufsehen: Kurzerhand erklärte sie das bisherige Programm, mit dem jede Provinz selbst für eine Reduzierung ihrer Stickstoffemissionen sorgen sollte, für beendet.

Dieser Schritt passt dazu, dass die Regierung erklärt hat, sie wolle in der Agrarpolitik grundsätzlich eine Wende hin zu den Land­wir­t*in­nen vollziehen. Nicht nur, weil diese die erklärte Klientel der BBB sind, sondern auch, weil an ihnen beispielhaft gezeigt werden soll, dass die Politik den von ihr Entfremdeten und Enttäuschten wieder zuhöre.

Schon in ihrem ersten Konzept in Frühsommer kündigte die Koalition an, sie wolle dem Sektor Raum für eigene Modelle geben, um das langwierige Stickstoffproblem des Landes ohne „Regel-Überdruck“ zu lösen.

Greenpeace zieht vor Gericht

Staatssekretär Jean Rummenie spricht von einem „neuen Kurs“, bei dem „Nahrungsmittelsicherheit oben steht“ und „Innovation eine zentrale Rolle spielt“. Den Mitte September präsentierten Plänen des Kabinetts zufolge sollen Bäue­r*in­nen künftig nach eigenem Gutdünken zu Naturerhaltung und Biodiversität beitragen.

Die Regierung will solche Initiativen mit einmalig fünf und danach jährlich mit je einer halben Milliarde Euro stimulieren. Was mit dem „Regel-Überdruck“ gemeint ist, steht außer Frage: Umweltstandards, die im Duktus des Kabinetts unternehmerische Initiative einschränken und durch „Auferlegen von Maßnahmen“ die Nahrungsmittelsicherheit gefährden.

Für Umweltschutzorganisationen ist dieser Schwenk Anlass zur Besorgnis – und zum Handeln. So sammelte Greenpeace mehr als 100.000 Unterschriften für eine nachhaltigere Landwirtschaft und übergab sie Anfang Oktober der zuständigen Parlamentskommission.

Zudem reichte die Organisation am Gerichtshof Den Haag Klage gegen die Regierung ein, die sich zu wenig für die Stickstoffreduzierung einsetze. „Es ist keinerlei Fortschritt zu sehen“, zitierte der TV-Sender BNN VARA Greenpeace-Direktorin Marieke Vellekoop. Am 12. November wird die Verhandlung eröffnet.

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5 Kommentare

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  • Bauern aus den Niederlanden exportierten 2023 immerhin 2,6 Millionen Tonnen Gülle, davon knapp die Hälfte nach Deutschland. Es werden dort wesentlich mehr Tiere gehalten als von verfügbarer Fläche und Nahrung her möglich wäre (Futter Import, Gülle Export).



    In Niedersachsen sind die Böden dadurch noch stärker belastet als durch die lokale Haltung alleine.

  • Dieses Argument der gefährdeten Nahrungsmittelsicherheit halte ich für so dermaßen konstruiert. Wir schmeißen täglich Tonnen an Lebensmitteln weg, weil wir eine gigantische Überproduktion in der gesamten westlichen Welt haben und die faseln was davon, dass Umweltauflagen die Nahrungsmittelsicherheit gefährden, ja wollen die einen für dumm verkaufen?

    • @PartyChampignons:

      An der Reduzierung der Lebensmittelverschwendung sollten wir alle unbedingt arbeiten. Bevor das nicht geschieht, würde eine Reduzierung der Produktion aber nur dazu führen, dass wir noch mehr Lebensmittel importieren, als wir es jetzt schon tun. Wir kaufen auch den Ländern was weg, die es dringender brauchen. Von gigantischer Überproduktion können wir hierzulande nicht sprechen. Der Selbstversorungsgrad liegt in Deutschland nur bei etwas über 80 % !!. Wir sind weltweit der 5.größte Netto-Importeur von Lebensmitteln.

    • @PartyChampignons:

      also wen man von Brenneseln und bromberen leben wil ist die Niederlande das land um zu leben. Aber mit der NahrungSicherheit hat das ja gaar nichts zu tun da haben sie volkomen recht, weil die Eiweiß Produktion durch Tiere sehr unproduktiv is das weis jeder in der Niederlande auch die das nicht wissen wollen.



      und man weis auch das für das tier Futter Regenwald gerodet wird eher kontra produktiv ist in Kombination mit Klimawandel.



      So sind auch die meister Gewässer schwer belastet die fische würde ich nicht essen die vogel bestände leiden auch durch die monotone flora insgesamt bricht es die Lebens Qualität ab



      durch Feinstoff, übermessingen land gebrauch, zu niedrigen Wasserstand wodurch das land absinkt, wasser/ Grundwasser Verschmutzung, und wenig Steuer Beiträge die die Bauern leisten.



      und nee die wollen uns nicht nur für dumm verkaufen das ist der agro industrie gut gelungen man kan eher von Geiselnahme sprechen.

  • Willkommen in der Realität!

    Für den Stickstoff heißt Handlungsfaulheit bei Agrar dann eben: Autoverkehr und Neubauten deutlich reduzieren. Ist ja auch aus anderen Gründen eine nachvollziehbare Idee.