Bericht des Ostbeauftragten Schneider: Überraschend einig

Der Bericht des Ostbeauftragten zeigt auch Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West: Etwa die Zustimmungswerte zur Demokratie.

Ein Mann hält seine Brille hoch.

Durch die Brille des Ostbeauftragten gesehen, steht es gar nicht so schlimm um die Demokratie im Osten Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin taz | Wenn der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland nach drei Landtagswahlen seinen Bericht zur Lage vorstellt, ist die Neugier groß. Woran liegt es, dass die AfD hier dreimal in Folge rund 30 Prozent der Wäh­le­r:in­nen für sich begeisterte? Vorweg: Direkte Antworten auf diese Fragen liefert der Bericht nicht. Vielmehr lautet ein Fazit von Carsten Schneider: „Das Miteinander ist viel weiter fortgeschritten als viele meinen.“ Die AfD sei auch kein Problem des Ostens, der Osten vielmehr Seismograf für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen. Alles nicht so schlimm im Osten also? Jein.

Schneider selbst konstatiert, dass die AfD-Wahlergebnisse ein „starker Dämpfer“ seien, etwa für die Bemühungen Fachkräfte nach Ostdeutschland zu locken. Außerdem sieht er ein Mismatch zwischen dem, was an gesellschaftlichem Engagement vor Ort nötig und tatsächlich möglich sei. Der Großteil der Stiftungen und des Kapitals für zivilgesellschaftliches Engagement sitze in Westdeutschland.

Es wäre also „sehr wichtig“, sagt Schneider, wenn die Ampelparteien im Bundestag endlich das Gesetz zur Demokratieförderung verabschiedeten, welches Vereinen und Initiativen eine verlässliche finanzielle Basis liefern soll.

Wer brandneue statistische Daten zur Situation in Ost und West sucht, muss eine Weile blättern. Der Bericht ähnelt eher einem Essayband mit durchaus lesenswerten Beiträgen aus polnischer und litauischer Perspektive.

Doch aktuelle Daten zu Einkommen oder zur Alterung der Gesellschaft findet man vor allem in dem in diesem Jahr erschienen Gleichwertigkeitsbericht, der Lebensverhältnisse auf regionaler Ebene untersucht. Und in den genannten Kategorien scheint dort jeweils die Karte der DDR auf – in diesen Regionen wird fast durchweg weniger verdient und die Bevölkerung altert und schrumpft dramatischer als im Westen.

Demokratie und Freiheit hoch im Kurs

Wirklich neue Erkenntnisse liefert der Bericht des Ostbeauftragten vor allem im hinteren Teil. Dort sind erste Ergebnisse einer Befragung zu gesellschaftlichen und politischen Einstellungen veröffentlicht, der sogenannte Deutschland-Monitor. Der repräsentativen Umfrage zufolge steht es gar nicht so schlimm um die Demokratie in Deutschland.

90 Prozent der Bevölkerung wollen in einer Gesellschaft mit demokratischen Grundrechten und -werten leben, eine Gesellschaft, die Gleichberechtigung und ein friedliches Zusammenleben der Religionen garantiert. Auch Freiheitsrechte wie Presse- und Meinungsfreiheit stehen hoch im Kurs. Wobei die Zweifel an deren Verwirklichung in Ostdeutschland höher ist. „Die Skepsis ist vor allem bei Menschen mit Nähe zu AfD und BSW ausgeprägt“, so Marion Reiser, Mitautorin der Studie. Auch das überrascht nicht.

Unterschiede zwischen Ost und West bestehen auch hinsichtlich der Frage, ob man in einer klimaneutralen Gesellschaft leben wolle und in einer, die Zuwanderung als Chance begreift. Da sind Skepsis und Ablehnung gerade bei den älteren Generationen in Ostdeutschland weiter verbreitet. Reiser sieht hier auch einen Zusammenhang mit den Wahlergebnissen für die AfD. „Denn nicht die verbindenden, sondern die trennenden Themen standen in den Wahlkämpfen im Vordergrund.“

Eine Überraschung gibt es aber auch: Demnach ist der Wunsch nach mehr Staat in den letzten Jahren deutlich gewachsen. So sind drei Viertel der Befragten hüben wie drüben der Ansicht, dass der Staat und nicht der einzelne die Verantwortung für auftretende Lebensrisiken wie Krankheit und Arbeitslosigkeit tragen sollte. Zu Beginn der 90er Jahre glaubten noch fast 40 Prozent der Befragten an mehr Eigenverantwortung, mit deutlichen Unterschieden in Ost und West. „Hier hat sich der Westen dem Osten angenähert“, so Reiser.

Allerdings ist man dann wieder bei der Frage, wieso ausgerechnet eine Partei, die soziale Sicherheiten abschaffen will, so hoch im Kurs steht.

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