Jenni Zylka
Cultural Appreciation
: Irritierende Musikuntermalung, oder: Der Monsterjoker im Plattenschrank

Foto: privat

Es ist so eine Sache mit den Antihelden: Eigentlich soll man sie verabscheuen. Dennoch muss man sie spannend genug finden, um sie sich über zwei Stunden (mal länger, mal kürzer) anzuschauen, ihnen zu folgen – obwohl man sie kaum nachvollziehen, geschweige denn verstehen dürfte.

Denn was gibt es zu verstehen bei einer Figur wie „The Joker“, Batmans notorischem Antagonisten, einem (im DC-Film-Universum) mittlerweile verurteilten mehrfachen Mörder, dessen grauenhaftes Lachen seine Verstörung und seinen mentalen Zustand nur anzudeuten vermag? Das zweite dem Irren mit der Clownsschminke gewidmeten Batman-Spinoff „Joker – Folie à deux“, das seit dieser Woche in den Kinos läuft, versucht vielleicht darum auch gar nicht erst, eine in sich geschlossene und durchdachte Geschichte zu erzählen. Interessant ist dennoch, was Regisseur Todd Phillips stattdessen anbietet: Als Musical funktioniert „Folie à deux“ nämlich durchaus.

Zwar ist es nicht das erste Mal, dass Musik als konterkarierendes Element eingesetzt wird – Quentin Tarantino nannte den leichten, von 1970er-Feelgood-Hits geprägten Soundtrack zu seinem 1994 erschienenen Debütfilm „Reservoir Dogs“ einen „Kontrapunkt“ zur grausamen Handlung und erklärte damals im dazugehörigen Presseheft: „Ich nutze und referenziere den Bubblegum-Pop, den man damals hörte.“ Etwas später fand sich diese Art der irritierenden musikalischen Untermalung auch in der TV-Serie „The Sopranos“. Und selbst bei in der Zeit spielenden TV-Serien wie „Mad Men“ haben die Songs, mit denen Matthew Weiner seine Episoden beendet, oft eine bittere, erst durch den Textinhalt und die zeitliche Distanzierung verständliche, gegenteilige Botschaft.

Ein Bösewicht singt selbst

Der Joker, der in der Kinoversion seit ein paar Jahren durch Joaquin Phoenix’ schiefe Physis geprägt wird, ermächtigt sich nun der Musik auf einer noch viel tiefergehenden Ebene: Er (und seine Freundin Harley Quinn alias Lady Gaga) singen selbst. Und man muss gut zuhören, um ihre Botschaften nicht nur zu verstehen, sondern auch deren tiefere Geschichte für die Deutung mit in Betracht ziehen. „Get Happy“ etwa, der 1929 von dem späteren „Some­where over the Rainbow“-Komponisten Harold Arlen und dem Texter Ted Koehler als eine Art weißer Gospel geschrieben war und in dem glücklich und ekstatisch der „Judge­ment Day“ erwartet wird, an dem das irdische Leiden endlich ein Ende hat – eigentlich ein suizidaler Song.

Oder das unter anderem von Stevie Wonder interpretierte „For Once in My Life“, die wohl dringlichsten, anrührendsten Zeilen, die je von jemandem gesungen wurden, der das überwältigende Gefühl von Liebe zuvor noch nie erlebte – so wie der traumatisierte, verletzte Joker. Natürlich ist auch „The Joker“ dabei, im Original von 1964 das bittere Lament eines Menschen, der sich trotz innerer Schmerzen nach außen hin gut gelaunt gibt – zum Film-„Joker“ passt es symbolisch fast schon zu gut. Der thematisch ähnliche Song „Smile“, den Charly Chaplin 1936, inspiriert durch eine Tosca-Arie, für einen Film komponierte, bringt es ebenfalls auf den Punkt.

Jenni Zylkaschreibt über Film.

Subtil ist Todd Phillips’ Songauswahl also wahrlich nicht – komplex aber schon. Zudem wurden die von verschiedenen Orchestratoren neu arrangierten Lieder überwältigend flüssig in den Soundtrack der isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir eingepasst. Alles klingt wie aus einem einzigen, deprimierenden Guss. Dass das zeitweilige Joker-Liebchen Lady Gaga jedoch nun den Hype um den kaputten Helden nutzt, um im Trubel auch noch ein eigenes neues Album mit ebendiesen Jazz- und Musical-Standards zu promoten, kommt einem angesichts der Brutalität ihres Film­charakters fast schon makaber vor. Denn die gruselige Harley Quinn, die rund um sich lügt, tötet und ausnutzt, ist ebenfalls eine echte Antiheldin. Und so eine singende, grotesk weißgeschminkte Mörderin möchte man doch wohl nicht zu Hause im Plattenschrank wissen.