piwik no script img

Wo die Tonspuren nachklingen

Die dritte Ausgabe des Festivals Archival Assembly #3 im Silent Green widmet sich der Bedeutung von Ton und Sprache in den sehr reichhaltigen Archiven der Kinogeschichte

Ein aktueller Beitrag zu Archival Assembly ist der Film „Resonance Spiral“ (2024) Foto: Arsenal Institut

Von Silvia Hallensleben

Ein Umzug ist meist Gelegenheit zum Ausmisten. Mit etwas Glück können dabei auch vergessene Schätze auftauchen. Das Kino Arsenal wird nach 25 Mietjahren im Sony Center Anfang nächsten Jahres in ein eigenes Haus in Wedding umziehen. Das Einpacken brachte hier neben Altlasten auch ein Konvolut bespielter Magnettonbänder und Audiokassetten zum Vorschein. Oder mit handschriftlichen Anmerkungen versehene „Textlisten“ vorgeführter Filme zum Live-Einsprechen deutscher Übersetzungen aus der kleinen Kabine hinten im Saal des ganz alten ersten Arsenal in der Welserstraße.

Die analogen Bänder bewahrten unter anderem Mitschnitte der Publikumsgespräche, die nach den Premieren des Berlinale-Forums im Delphi seit Gründung 1971 nicht nur – wie recht bekannt – nach strengem Ritual geführt, sondern auch mitgeschnitten worden waren. Während der erzwungenen Corona-Schließungen (es gab doch Gutes am Virus!) wurden diese Bestände dann von den Projektionisten des Arsenal digitalisiert und können nun am Dienstag in einem zweistündigen Zusammenschnitt in der sogenannten „migas listening bar“ in der Lindower Straße abgehört werden: Nach einem halben Jahrhundert gewaltiger sozialer Umbrüche eine spannende Quelle zur Geschichte der oralen Filmkultur und der oft streitbaren Diskurse dort.

„The Delphi Table 1971 – 1989“ ist ein Mosaiksteinchen der diesjährigen „Archival Assembly“, deren dritter Durchgang wegen des Arsenal-Umzugs ein Jahr vorgezogen wurde und sich schwerpunktmäßig der Bedeutung von Ton und Sprache in den Archiven der Kinogeschichte widmet. „Das von Stefanie Schulte Strathaus kuratierte Programm will damit die Dominanz des Bildes in der Beschäftigung mit dem Medium Film hinterfragen, die auch die Auseinandersetzung mit dem Filmerbe prägt“, heißt es in der Ankündigung der fünf Tage mit fünf Spielorten und unterschiedlichsten Präsentationsformen von der Ausstellung (etwa der oben genannten Textlisten) über Präsentationen bis zur Livemusik.

Im Zentrum steht dabei ein Symposium des Masterstudiengangs „Filmkultur: Archivierung, Programmierung, Präsentation“ der Uni Frankfurt mit Vinzenz Hediger im Kuppelsaal des Silent Green. „Resounding Archives: The Politics of Listening to the Moving Image“ widmet sich in zehn Panels aus unterschiedlichen Perspektiven der Frage, wie das „Nachklingen der Archive“ Mediengeschichte und künstlerische Praxis beeinflusst: Auch eine gute Möglichkeit zum Besuch der neuen Räume des Arsenal, dessen Kinosaal – nach entsprechenden Bauarbeiten und wohl mindestens einem Jahr Pause – hoffentlich ab 2026 dort auferstehen wird.

Die Büros in der Gerichtstraße nebenan sind aber schon bezogen und Heimstatt für mehrere Installationen und den sogenannten Reading Room. Fast direkter Nachbar in der hoffentlich entstehenden Kulturnachbarschaft Wedding ist auch das seit Januar 2023 dort angesiedelte Kinoprojekt Sinema Transtopia, das als Kooperationspartner der „Archival Assembly“ in der Reihe Found Futures unter anderem exilierte Filmarchive aus Kabul und dem Sudan vorstellt. Doch auch Filme selbst gibt es (im Arsenal 1 am Potsdamer Platz), auch hier spielen Übersetzungen und Asynchronitäten eine Rolle.

Etwa wenn nur der Ton eines Films überlebt hat, wie bei dem indischen Spielfilm „Badnam Basti“ (1971, Regie: Prem Kapoor), der vermutlich auch wegen männlicher Homosexualität auf der Leinwand von der indischen Schnittbehörde von 132 auf 83 Minuten gekürzt wurde. Eine 35-mm-Kopie dieser Fassung liegt im Filmarchiv des Arsenal, während im National Film Archive of India Bild- und Tonfragmente eines Negativs auch mit zensierten Stellen zu finden sind. Vorgeführt im Arsenal wird nun eine digitale 122 Minuten lange Restaurierung des Films inklusive einer nur als Tonnegativ erhaltenen Sequenz.

Die analogen Bänder bewahrten Mit­schnitte der Pub­likumsgespräche

Ein besonderer Fall „stummen“ Kinos sind Filmtraditionen, die (ähnlich dem bei uns bekannteren japanischen Benshi) auf orale Synchronbegleitung zurückgreifen. Beispiel einer solchen thailändischen Praxis hier ist die Legendenverfilmung „The Ghost of Mae Nak“ aus dem Jahr 1959: Die populäre Produktion wurde – wie viele andere für den heimischen Markt – aus ökonomischen Gründen auf 16-mm-Film (also stumm) gedreht und dann bei der Vorführung (so auch am Samstag im Arsenal) simultan eingesprochen.

Eine ähnliche Praxis aus dem zeitgenössischen Uganda präsentiert die Vorführung von „Blood Diamond“ (2006, Regie: Edward Zwick), einem Actionthriller um den blutigen Diamantenhandel in Sierra Leone, der zwar mit Ton in Englisch und Afrikaans gedreht wurde, am Mittwoch im Kino aber parallel zu diesem Soundtrack von dem professionellen ugandischen Filmerzähler VJ Junior live (!) begleitet werden wird.

Vom 17. bis 22. 9., verschiedene Spielorte, Ausstellung bis 29. 9.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen