konflikt um telegram
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Pawel Durow – oder Paul de Rouve

Der in Frankreich festgenommene Telegram-Gründer ist französischer Staatsbürger. Wie er das schnell und unbürokratisch werden konnte, gibt Rätsel auf. Nun wurde die Haft des in Ungnade Gefallenen verlängert

Aus Paris Rudolf Balmer

Die Gunst am Hofe ist ein Wendehals. Wer gestern in Ehren stand, kann morgen schon in die Wüste geschickt werden. 2021 war Telegram-Gründer Pawel Durow aufgrund einer von der Zeitung Le Monde vermuteten direkten Unterstützung höchster Stellen Bürger der französischen Republik geworden. Staatspräsident Macron, der sich gern als Chef einer „Start-up-Nation“ bezeichnet, ist wohl fasziniert von legendären jungen Unternehmern, die praktisch aus dem Nichts ein weltweites Imperium schaffen und in wenigen Jahren Milliardäre werden.

Anders als mit einer Anweisung von der Staatsspitze lässt sich laut Le Monde nicht erklären, dass Durow damals in einem Eilverfahren und nicht in einer normalen und gewöhnlich langwierigen Prozedur eingebürgert wurde. Wer genau dafür gesorgt hat, lässt sich heute nicht eruieren, weil auf Anfrage der Le Monde-Redaktion die eventuell Zuständigen entweder nicht antworten oder die amtliche Geheimhaltung in einem privaten Dossier vorschützen. Auch das Gesuch, einen Reisepass mit dem mehr französisch klingenden Namen Paul de Rouve zu bekommen, wurde unbürokratisch schnell bewilligt.

Durow erfüllte in keiner Weise die Kriterien für die Erlangung der Staatsbürgerschaf: Er besitzt keinen Wohnsitz und nicht mal ein Büro in Frankreich, hat keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Auch sucht man vergeblich nach besonderen Leistungen im Interesse der Republik – es sei denn, man betrachtet die Tatsache, dass mehrere französische Ministerien und Behörden Telegram wegen der Verschlüsselung der Kommunikationsdaten benutzen, als seinen speziellen Verdienst.

Durow hatte wohl keine Sekunde lang damit gerechnet, bei seiner Ankunft aus dem aserbaid­schanischen Baku auf dem Pariser Flughafen Le Bourget von Polizeibeamten begrüßt und in Handschellen abgeführt zu werden.

Ein Versehen oder amtlicher Übereifer ohne Zustimmung von oben war die Festnahme wohl nicht: Nach Angaben der Nachrichtenagentur afp verlängerte der zuständige Untersuchungsrichter am Sonntagabend Durows Haft. Damit darf sie bis zu 96 Stunden dauern. Nach Angaben seines Anwalts wolle Durow „nicht kooperieren“.

Bestimmt wusste Durow grundsätzlich, dass gegen ihn ein Haftbefehl vorlag. Die französische Polizeibehörde Ofmin, die mit der Bekämpfung von Pädokriminalität und allen Formen der Gewalt gegen Minderjährige betraut ist, wollte ihn seit Längerem wegen einer mutmaßlichen Beihilfe bei Verbrechen gegen Minderjährige oder Verbreitung illegaler Inhalte zur Rechenschaft ziehen.

Gesucht wurde Durow unter an­de­rem wegen Beihilfe zur Ver­breitung illegaler Inhalte

Vorgeworfen wird ihm insbesondere seine absolute Weigerung, die Kommunikation auf seinem Netzwerk in irgendeiner Weise zu kontrollieren und so die Nutzung von Telegram durch Kriminelle oder Terroristen oder auch die massive Verbreitung von Fake News nicht zumindest einzuschränken.

Doch wie andere Internetunternehmer wähnte er sich wohl zu mächtig und irgendwie über den nationalen Gesetzen erhaben. Nach Informationen französischer Medien hatte sich Durow zuvor mehrfach in Frankreich aufgehalten, in Luxushotels – oder auch laut Le Monde in Antibes an der Côte d’Azur, als Gast in der Villa des russischen Oli­garchen Roman Abramowitsch. Dieses Mal aber griff die Polizei zu, und Durow ging in ihre Falle.

Die Festnahme kann man durchaus auch als Signal an die Internetgiganten verstehen. Denn die tun sich mit der Kooperation zur Verhinderung eines kriminellen Missbrauchs ihrer Netzwerke bekanntlich schwer – wohl im Namen der Freiheit, Toleranz und Neutralität.