: Feuergefecht am israelischen Konsulat
Am Jahrestag des Olympia-Attentats schießt ein 18-Jähriger in der Münchner Innenstadt um sich. Er wird von der Polizei getötet. Diese spricht von einem terroristischen Anschlag
Aus München Dominik Baur
Am Donnerstagmittag hatten sich allem Anschein nach noch immer etliche Menschen in der Nähe des Münchner Karolinenplatzes versteckt und verbarrikadiert – aus Angst vor einer Terrorgefahr. Da ihr dies gemeldet worden sei, so schrieb die Münchner Polizei auf dem Kurznachrichtendienst „X“, wolle man noch mal Entwarnung geben: „Es besteht keine Gefahr mehr für die Bevölkerung.“
Dem war ein Großeinsatz der Polizei in der Münchner Innenstadt vorausgegangen: Der Auslöser: Morgens gegen 9 Uhr soll im Bereich des Karolinenplatzes ein Mann mit einer Langwaffe unterwegs gewesen sein und damit auch mehrere Schüsse abgegeben haben, offenbar auch auf eine Gruppe von mehreren Polizisten. Die Beamten hatten ihrerseits dann das Feuer eröffnet und den Mann niedergestreckt, der noch vor Ort seinen Verletzungen erlag. Bei der Waffe des Mannes habe es sich um einen älteren Karabiner mit angebautem Bajonett gehandelt.
Über die Identität des Mannes will die Polizei sich zunächst nicht äußern. Auf Nachfrage bei einer Pressekonferenz fünf Stunden nach dem Einsatz bestätigt Münchens Polizeipräsident Thomas Hampel immerhin, dass es sich um einen 18-jährigen Österreicher handelt, der dort auch seinen Wohnsitz gehabt habe. Informationen der taz zufolge hieß der Mann Emra I. und soll mit einem Auto zum Tatort gefahren sein. Den deutschen Sicherheitsbehörden soll er zwar nicht bekannt gewesen sein, in Österreich dagegen wurde Emra I. seit Kurzem von den Behörden im Bereich Islamismus geführt.
Über die Motivlage des Schützen wollte sich die Polizei zunächst ebenfalls nicht äußern, am Nachmittag teilte sie jedoch mit, dass „von einem terroristischen Anschlag auch mit Bezug zum Generalkonsulat des Staates Israels ausgegangen“ werden könne. Innenminister Joachim Herrmann sagte bereits auf der Pressekonferenz: Es liege auf der Hand, dass es „mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Zufall“ war, wo der Mann angetroffen wurde.
In der Tat befindet sich in unmittelbarer Nähe seit 2015 das israelische Generalkonsulat. Neben diesem wurde im selben Jahr auch das NS-Dokumentationszentrum eröffnet – an der Stelle, an der die Nazis ihre Parteizentrale, das „Braune Haus“, eingerichtet hatten. Der Platz vor dem Zentrum ist nach dem jüdischen Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer benannt. Am Karolinenplatz steht zudem das Amerikahaus, eine Kultur- und Bildungseinrichtung zur Förderung der transatlantischen Verbundenheit.
Auch das Datum war ein besonderes: Es war der 52. Jahrestag des Olympia-Attentats in München, bei dem palästinensische Terroristen im Olympischen Dorf die israelische Mannschaft überfallen hatten. Elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist wurden damals ermordet. Die Terroristen hatten neun Geiseln genommen und wollten mehr als 200 Gefangene in Israel sowie RAF-Terroristen in Deutschland freipressen. Ein Befreiungsversuch am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck scheiterte jedoch.
Dem Bayerischen Rundfunk gegenüber schilderte ein Augenzeuge des Geschehens vom Donnerstag seine Beobachtungen. Der Zeuge arbeitet in einem Büro der Technischen Universität München neben dem Konsulat. Nachdem er gerade seinen Computer hochgefahren habe, habe einen Schuss gehört. Er habe aus dem Fenster geblickt und einen jungen Mann mit einer rotbraunen Hose und einem schwarzen Oberteil gesehen. „Und dann noch eine Waffe, gefühlt aus dem 18. Jahrhundert.“ Der Mann sei planlos durch den Hof gelaufen und habe willkürlich gegen die Fassade des Konsulats geschossen. Bei jedem Schuss habe sein ganzer Körper gezuckt. „Das sah so aus, als hätte er sich sehr erschrocken. Das war bestimmt kein Profi.“
Innerhalb kürzester Zeit hörten der Zeuge und seine Kollegen jedoch schon Polizeisirenen. Der Schütze habe noch zwei oder drei Schüsse abgegeben. „Dann hörte ich nur noch, wie die Schüsse der Polizei fielen. Das war ein Großfeuergefecht, bestimmt so 50 Schüsse, 30 bis 40 Sekunden lang. Danach wurde es ruhig.“
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kamen am Donnerstagnachmittag zum Ort des Geschehens. Beide dankten den Einsatzkräften sowie die Münchner Bevölkerung, die sich sehr besonnen verhalten haben. Außerdem betonten sie die Bedeutung des Schutzes jüdischer und israelischer Einrichtungen. Ein „schlimmer Tag mit einem am Ende glimpflichen Ausgang“ sei es gewesen, sagte Söder. „Es bleibt ein Warnsignal an uns alle. Es kann jeden Tag etwas passieren.“
Reiter seinerseits nutzte die Gelegenheit zu einem energischen Appell an die Ampelkoalition in Berlin. Er erwarte von ihr, alle Maßnahmen zur präventiven Verbrechensbekämpfung zu unterstützen und den rechtlichen Rahmen für sie zu schaffen, etwa Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung oder anlasslose Personenkontrolle. Die Bundesregierung müsse umdenken.
Im Generalkonsulat selbst hatte es am Morgen eine Gedenkfeier zum Olympia-Attentat gegeben. Die israelische Generalkonsulin Talya Lador-Fresher dankte der Polizei für ihren Einsatz und schrieb auf „X“: „Dieses Ereignis zeigt, wie gefährlich der Anstieg des Antisemitismus ist.“
Auch Israels Staatspräsident Izchak Herzog zeigte sich auf „X“ entsetzt über den Vorfall. Er sprach von einem „Terroranschlag“ und ergänzte: „Gemeinsam sind wir stark im Angesicht des Terrors.“
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