das portrait
: Der Letzte seiner Art: Peter von Oertzen zum 100.

Porträtfoto von Peter von Oertzen

Mit seinem Austritt 2005 sorgte er noch einmal für Schlagzeilen: Peter von Oertzen.Foto: dpa

Man hat das ja heute längst vergessen, aber es gab einmal eine Zeit, in der es in der SPD linke Intellektuelle gab. Einer der letzten dieser Spezies, der in der SPD in Niedersachsen und auf Bundesebene eine prägende Rolle spielte, war der Politikprofessor Peter von Oertzen. Am 2. September 2024 wäre er 100 Jahre alt geworden.

Sein Name steht in Verbindung mit vielem, was die SPD einmal heftig beschäftigt hat. Die großen programmatischen Auseinandersetzungen um das Godesberger Programm und die Frage, wie viel sozialistisches Gedankengut man sich noch leisten kann und will, zum Beispiel.

Die sozialdemokratischen Bildungsreformen, die er als niedersächsischer Kultusminister von 1970 bis 1974 umzusetzen hatte, die Einrichtung der Orientierungsstufe (5. und 6. Klasse), die Gründung von Gesamtschulen, der Ausbau der Universitäten – es war das bisher letzte Mal, dass eine Partei sich getraut hat, die Bildungslandschaft derart umzupflügen. Alles im Namen von Demokratisierung und sozialer Durchlässigkeit. Von Oertzen wurde damit bei konservativen Gymnasiallehrern und Professoren regelrecht zur Hassfigur.

Aber auch die Linke war nie uneingeschränkt glücklich mit von Oertzen. Da waren etwa die Auseinandersetzungen um den Radikalenerlass und die Berufsverbote für KPD-Mitglieder, die er zähneknirschend mittrug, in Niedersachsen zurückhaltend anwandte und letztlich als „größten politischen Fehler seines Lebens bezeichnete“. Da waren linke Professoren, die er erst berief und dann mit Disziplinarmaßnahmen abstrafen musste, weil die ganze Bundesrepublik über ihre Unterstützung für die RAF diskutierte.

Lange hat er sich aufgerieben zwischen den hehren theoretischen Ansprüchen einerseits und den Niederungen der Realpolitik andererseits. Als demokratischer Sozialist suchte er nach Wegen die marxistische Analyse mit dem Rechtsstaat und der Demokratie auszusöhnen. Als loyaler Sozialdemokrat versuchte er linke Positionen in der SPD stark zu machen und gleichzeitig den Laden zusammenzuhalten. Dabei gehörte er zu den ersten in der SPD, die die Grünen als Gesprächs- und Bündnispartner ernst nahmen.

Doch mit 80 Jahren, rund 60 Jahre nach seinem Parteieintritt, gab er es auf: Schröders „Agenda 2010“ markierte für ihn 2005 den Punkt, an dem er sich in der SPD „nicht mehr am rechten linken Platz“ sah, wie er der taz damals sagte. Dabei hatte er den jungen Schröder sogar noch gefördert. Doch die große neoliberale Kehrtwende ging ihm zu weit. Das war nicht der dritte Weg, nach dem er gesucht hatte.

Vorher hatten in Niedersachsen zu seinem Leidwesen schon Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) und Kulturminister Thomas Oppermann (SPD) mit der Abschaffung der Orientierungsstufe und der Einführung von Langzeitstudiengebühren die schulpolitische Rolle rückwärts gemacht. Der gesundheitlich schon schwer angeschlagene Peter von Oertzen versuchte es kurzzeitig noch mit der neu gegründeten Protestpartei „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG), schied jedoch auch dort schnell wieder aus. Er starb 2008 in Hannover. Nadine Conti