Wirtschaft: Noch weniger Arbeitskräfte wegen AfD

Ökonomen und Branchenverbände befürchten, dass die Wahlerfolge der fremden- feindlichen Partei in Sachsen und Thüringen den Fachkräftemangel verschärfen könnten

Protest gegen die AfD am 30. August: Die Demonstrierenden nehmen die Kritik der Wirtschaft schon vorweg Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Von Jost Maurin

Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen könnten Wirtschaftswissenschaftlern und Branchenverbänden zufolge dringend benötigte Arbeitskräfte aus dem Ausland abschrecken. Der Fachkräftemängel würde sich möglicherweise verschärfen, sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. „Unternehmensnachfolgen würden erschwert, gegebenenfalls könnte das zu Firmenaufgaben führen“, so die Vorsitzende des Sachverständigenrats Wirtschaft.

Staatliche Institutionen, medizinische und Bildungseinrichtungen litten ebenfalls unter Fachkräftemangel und würden in diesem Fall ihre Leistungen weiter verringern müssen. Die beiden Bundesländer hätten seit der Wiedervereinigung bereits etwa 20 Prozent der Bevölkerung verloren. Einige Landkreise dürften in den kommenden Jahren noch weitere 20 bis 30 Prozent weniger Erwerbsbevölkerung aufweisen. „Die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung ist an der Stelle das falsche Signal, denn sie wird Fachkräfte davon abhalten, diese Bundesländer als Option in Erwägung zu ziehen“, fügte Schnitzer mit Blick auf die AfD hinzu. Ähnlich äußerte sich der Chef des Ifo-Instituts in Dresden, Joachim Ragnitz.

Dabei ist der Fachkräftemangel laut der Bundesagentur für Arbeit in Ostdeutschland schon jetzt größer als im Westen. Wesentlicher Grund sei die Abwanderungswelle junger Menschen nach der Wiedervereinigung, hatte Behördenchefin Andrea Nahles vergangene Woche erläutert. Deshalb sei die Bevölkerung im Osten überdurchschnittlich alt. In den kommenden Jahren gingen viele weitere Ältere in den Ruhestand, der Fachkräftenachwuchs fehle. Während die Beschäftigung in Westdeutschland noch wachse, sinke sie im Osten bereits.

Vor allem die AfD stehe für Protektionismus und eine Abschottung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt, kritisierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, nach den Wahlen. „Vor allem junge, gut qualifizierte und hoch motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren“, sagte der Ökonom. „Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben.“

„Die geplanten Halbleiterfabriken in Sachsen werden wir ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht betreiben können“, ergänzte der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Ralf Wintergerst. „Solche Spitzenkräfte können ihren Arbeitsort frei wählen.“ Auch Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin des Pharmaindustrieverbands Pharma Deutschland, warnte: „Investoren und Fachkräfte werden sich zweimal überlegen, ob sie in ein Umfeld investieren, das von internationaler Ausgrenzung und Abschottung geprägt ist.“

In seltener Einigkeit zeigten sich sowohl Wirtschafts- als auch Umweltverbände besorgt, dass die Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen sehr lange dauern könnten. Sebastian König, Landesgeschäftsführer des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) Thüringen sagte der taz: „Konkret hängen viele Naturschutzvorhaben vom Landeshaushalt ab, und es ist zu befürchten, dass dieser noch auf sich warten lässt“. Dann könnten der BUND und andere Träger von Naturschutzprojekten in Bedrängnis geraten. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, forderte, die demokratischen Parteien müssten nun „Handlungsfähigkeit für Thüringen und Sachsen“ herstellen. (mit rtr, afp)

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